Demografischer Wandel und Erwerbsbeteiligung: Deutschland braucht künftig Zuwanderung
Studie: Insbesondere mehr Frauen und ältere Menschen nehmen am Arbeitsmarkt teil – Zugewanderte aus der EU haben eine höhere Erwerbsbeteiligung als Deutsche
Deutschland konnte bislang den demografischen Wandel, das heißt die Alterung der Gesellschaft, durch eine höhere Erwerbsbeteiligung kompensieren. Doch in Zukunft wird das schwierig. Das geht aus einer aktuellen Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) hervor, in der die Ökonomen Karl Brenke und Marius Clemens die Erwerbsbeteiligung in Deutschland nach Geschlecht, Nationalität und Altersgruppen auf Basis amtlicher Daten näher untersucht haben. Demnach ist die Zahl der in Deutschland verfügbaren Arbeitskräfte im vergangenen Jahrzehnt gestiegen – obwohl die Zahl der Einwohnerinnen und Einwohner im erwerbsfähigen Alter (15 bis 74 Jahre) abnimmt.
Insbesondere die Erwerbsbeteiligung von Frauen und älteren Menschen nahm spürbar zu. Die DIW-Forscher plädieren dafür, dass gerade das Potential der Älteren nicht durch politisch motivierte Fehlanreize wie Frühverrentung oder Altersteilzeit vorzeitig verloren geht. »Die Privilegierung der Altersteilzeit bei Steuern und Abgaben ist unter dem Aspekt der Erwerbsbeteiligung kontraproduktiv«, konstatiert Karl Brenke.
Auch die Zuwanderung nach Deutschland – vor allem aus der EU – hat in jüngerer Zeit einen deutlichen Effekt auf das Erwerbspersonenpotential gehabt. Inzwischen weisen die Zugewanderten aus der EU eine höhere Erwerbsbeteiligung auf als die Deutschen. »Das liegt insbesondere an der günstigen Altersstruktur der Zugezogenen aus der EU«, sagt Studienautor Karl Brenke. Vor allem viele Unter-30-Jährige sind aus EU-Ländern nach Deutschland gekommen und deren Erwerbsbeteiligung ist seit 2011 gestiegen, während sie bei den jungen Deutschen im Alter von 15 bis 29 sank. Bei den Zugewanderten aus Nicht-EU-Staaten ist dagegen die Erwerbsbeteiligung deutlich geringer und in den vergangenen fünf Jahren in fast allen Altersgruppen gesunken, was auch am fehlenden Zugang zum Arbeitsmarkt bei Asylsuchenden liegt. Hinzu kommt, dass Frauen aus Drittländern eine sehr geringe Erwerbsbeteiligung vorweisen.
Erwerbspersonenpotential wird bis 2040 schrumpfen
Die DIW-Wissenschaftler haben nicht nur die Entwicklung in den vergangenen Jahren untersucht, sondern auch durchgerechnet, wie sich demografische Einflüsse sowie eine weiter steigende Erwerbsbeteiligung auf das künftige Potential an Arbeitskräften in Deutschland auswirken kann. Die Modellrechnungen zeigen: Deutschland wird im Hinblick auf das Erwerbspersonenpotential weiterhin auf Zuwanderung angewiesen sein. In allen vom DIW durchgerechneten Szenarien schrumpft das Erwerbspersonenpotential bis 2040 – es variieren lediglich das Ausmaß und der Zeitpunkt, ab dem es zu einer Abnahme kommt. Selbst bei Wanderungsgewinnen von jährlich 200.000 Personen ist mit einem Rückgang des Erwerbspersonenpotentials zu rechnen. »Eine Lücke gibt es auch dann. Wir sollten also verstärkt darauf setzen, dass mehr Menschen im erwerbsfähigen Alter nach Deutschland kommen. Umso leichter ist die Alterung der jetzt ansässigen Bevölkerung ökonomisch zu bewältigen«, sagt Studienautor Marius Clemens.
All diese Aspekte zusammengenommen machen deutlich, wie wichtig es ist, dass Politik und Arbeitgeber bessere Möglichkeiten für die Zuwanderung vor allem von qualifizierten Arbeitskräften schaffen. Die DIW-Forscher gehen davon aus, dass der Markt über Angebot und Nachfrage dafür sorgt, dass mehr Personen nach Deutschland kommen wollen. »Höhere Löhne könnten Arbeitskräfte aus dem Ausland anziehen – und zwar in denjenigen Marktsegmenten, in denen die Knappheit am größten ist«, ist Karl Brenke überzeugt. Dabei dürfte es sich vor allem um anspruchsvolle Tätigkeiten handeln, für die nur entsprechend qualifizierte Kräfte in Frage kommen.
VERWEISE