Digitale Teilhabe Älterer: Unterstützungsbedarf höher als erwartet

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Älterer Mann mit Notebook auf Bank

Niemand soll bei der beschleunigten Digitalisierung aller Lebensbereiche abgehängt werden. Aber gerade viele ältere Menschen können das nicht alleine – sie brauchen dabei Hilfe.

Eine Studie unter wissenschaftlicher Leitung des ifib - Institut für Informationsmanagement Bremen an der Universität Bremen hat jetzt erstmals untersucht, welchen Unterstützungsbedarf ältere Menschen genau haben. Das Fazit: Art, Umfang und Kosten werden stark unterschätzt.
 
Wenn es um die Unterstützung älterer Menschen bei der Digitalisierung geht, konzentrierten sich Politik, Verwaltung und Sozialverbände bislang auf die Förderung von Lern- und Erfahrungsorten. Hier lernen Seniorinnen und Senioren mit Hilfe überwiegend ehrenamtlicher Digital-Lotsen, Internetbotschafterinnen und -botschaftern oder anders bezeichneten Unterstützungskräften. Wie kommuniziert man mit Smartphone oder Tablet? Wie sucht man Informationen? Wie bestellt man etwas im Internet?

Bisherige Angebote reichen nicht aus

Eine Bremer Studie hat nun erstmals untersucht, ob die bisher offerierten Angebote auch tatsächlich dem Bedarf entsprechen und ob so auch wirklich alle älteren Menschen digital teilhaben können. »Unsere breit angelegte Untersuchung zeigt deutlich, dass diese Angebote nicht ausreichen, weil sie nur einen Teil der Älteren erreichen« sagt Professor Herbert Kubicek, Senior Researcher am Institut für Informationsmanagement Bremen (ifib) an der Universität Bremen.

Der Informatik-Professor leitete die Studie, die auf der auf der bisher größten Stichprobe für die Altersgruppe ab 60 Jahren basiert. »Bisher dachte man, es müssten nur genügend gut erreichbare niedrigschwellige Lern- und Erfahrungsmöglichkeiten geschaffen werden – dann würden die älteren ‚Offliner‘ ohne digitale Erfahrung schon kommen, digitale Kompetenzen erlernen und die Online-Möglichkeiten zukünftig nutzen. Die Daten aus der Umfrage belegen, dass dies zu kurz gedacht ist!«

Tausende von Offlinern in Bremen und Bremerhaven

In der umfassenden Erhebung haben insgesamt 11.331 Männer und Frauen geantwortet. Davon waren 17,9 Prozent in der Stadt Bremen und 22,3 Prozent in Bremerhaven noch nie im Internet. »Hochgerechnet auf die ältere Bevölkerung heißt das, dass es in Bremen mindestens 27.700 und in Bremerhaven mindestens 7.300 Offliner gibt«, so Kubicek. Die Quote steige mit zunehmendem Alter: »In der Altersgruppe 85 – 89 Jahre sind bereits weit mehr als die Hälfte ohne jeglich Online-Erfahrung.« Dabei handelt es sich zu einem Drittel um Männer und zu zwei Dritteln um Frauen.

Bundesweiten Umfragen zufolge ist es vor allem der Bildungsstand, der die Internetnutzung von Älteren beeinflusst – »je gebildeter, desto mehr werden die bisher geschaffenen Lern- und Erfahrungsorte genutzt«, sagt Herbert Kubicek. »Wir haben jedoch gezielt nach weiteren Faktoren gefragt, die eine dauerhafte Aneignung von digitalen Kompetenzen über aufzusuchende Lern- und Erfahrungsorte erschweren.« So habe sich gezeigt, die die Gedächtnisleistung, die Mobilität, der Gesundheitszustand anhand des Pflegegrades, der Bezug von Sozialleistungen sowie die Wohnsituation einen nachweisbaren Einfluss auf die Internetnutzung haben. Große Unterschiede wurden auch zwischen den Stadtteilen festgestellt: Die Offliner-Quote variiert in Bremen zwischen 7 und 27 Prozent, in Bremerhaven zwischen 15 und 28 Prozent.

Wie erreicht man Desinteressierte, Skeptiker und Verweigerer?

Doch was kann getan werden, um die Offliner-Quote zu verringern? »Mit mehr Lern- und Erfahrungsorten alleine ist es nicht getan«, lautet Kubicek zufolge ein wichtiges Ergebnis. Die Mehrzahl der Offliner gibt an, für sich keinen Nutzen zu sehen. Sie hat die Frage nach verschiedenen Formen der Unterstützung daher auch nicht beantwortet. Kubicek sieht darin eine bisher nicht thematisierte Herausforderung: »Diese Desinteressierten, Skeptiker und Verweigerer haben das größte Risiko, den Anschluss zu verlieren, wenn in Zukunft viele Dienstleistungen nur online verfügbar werden. Und wir haben bislang keine erprobten Wege, wie wir sie davon überzeugen können, ihre Vorurteile zu überprüfen.«

Für noch wichtiger hält Kubicek die Erkenntnis, dass sich der Unterstützungsbedarf nicht auf die Offliner beschränkt. Nur rund die Hälfte derer, die das Internet zumindest »ab und zu« nutzt, gibt an, dies selbständig ohne gelegentliche Hilfe zu können. Dieser Anteil sinkt auf 44 Prozent in der Altersgruppe 80 – 84 Jahre und auf 25 Prozent ab einem Alter ab 90 Jahren. »Zwischen 30 und 50 Prozent der Onliner hätten gerne Unterstützung bei der Einrichtung ihres Geräts, bei der Bedienung, im Zusammenhang mit WLAN oder Passwörtern. Wenn sie keine Verwandten oder Nachbarn haben, die ihnen helfen, wünschen sie sich – je nach Thema – verschiedenartige Unterstützung. Zwischen 10 und 20 Prozent hätten liebsten Hausbesuche, 6 bis 11 Prozent würden gerne eine telefonische Hotline anrufen, 6 bis 9 Prozent eine Sprechstunde aufsuchen.«

»Politik sind Ausmaß und Kosten nicht bewusst«

Der Informatik-Professor ist sicher, dass den verantwortlichen Politikerinnen und Politikern »das Ausmaß und die Kosten dieser Herausforderung auch nicht annährend bewusst ist. Es wird zwar vollmundig versprochen, niemanden bei der Digitalisierung zurückzulassen. Aber wir haben anhand der Daten den in der Stichprobe geäußerten Bedarf auf die Gesamtzahl der Onliner in Bremen herausgerechnet. In zwei verschiedenen Szenarien kommen wir auf einen jährlichen Bedarf von 10.000 bzw. 70.000 Hausbesuchen, 6.600 bis 69.000 Anrufen bei einer Hotline und 5.000 bis 25.000 Besuchen von Sprechstunden! Weiß die Politik, was so etwas kostet und welchen organisatorischen Aufwand es dafür bedarf?«

Bremen und Bremerhaven liegen mit entsprechenden Möglichkeiten bundesweit nach Kubiceks Einschätzung dabei übrigens in der Spitzengruppe. Die Angebote von 30 Einrichtungen, die sich in einem Netzwerk Digitalambulanzen austauschen, haben im vergangenen Jahr jedoch weniger als ein Prozent dieses Bedarfs abgedeckt.

Die Studie enthält daher auch Empfehlungen für diese Einrichtungen sowie für Politik und Verwaltung, wie sie schrittweise die Angebote situationsgerecht ausbauen können. Kubicek hält dafür strukturelle Anpassungen der Altenhilfe an die weitere Digitalisierung für dringend geboten. So könne die große Zahl erforderlicher Hausbesuche nicht alleine mit ehrenamtlichen Kräften geleistet werden: »Diese Arbeit sollte in die ambulante Pflege und aufsuchende Altenhilfe integriert werden.«

Hintergrund
Die Studie »Internetnutzung älterer Menschen in Bremen und Bremerhaven. Ergebnisse und Schlussfolgerungen einer Bevölkerungsumfrage 2021« wurde von der Senatorin für Soziales, Jugend, Integration und Sport des Landes Bremen und dem Magistrat Bremerhaven im Rahmen der Begleitforschung zum Projekt »Netzwerk Digitalambulanzen Bremen und Bremerhaven« in Auftrag gegeben. Dieses Projekt wird Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat als Open Government Labor gefördert. Die wissenschaftliche Leitung hat Professor Herbert Kubicek, Senior Researcher am Institut für Informationsmanagement Bremen (ifib), einem An-Institut der Universität Bremen. Er ist auch Autor des Berichts. Die Befragung wurde vom Statistischen Landesamt Bremen durchgeführt. Dazu wurden Personen ab 60 Jahren aus den Melderegistern von Bremen (30.000) und Bremerhaven (10.000) zufällig ausgewählt. Der Rücklauf betrug 11.331 (28%).

 

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