»Generation What?«: Junge Menschen haben Angst vor Nationalismus in Deutschland
18- bis 34-Jährige sind gleichzeitig zurückhaltend gegenüber der EU
Hätte ein Kandidat wie Donald Trump in Deutschland eine Chance? Vermutlich nicht – zumindest wenn es nach den 18- bis 34-jährigen Deutschen geht. Denn die Angehörigen dieser Altersgruppe sind mehrheitlich weltoffen, lehnen nationalistische Tendenzen ab und sehen Zuwanderung als Bereicherung an.
Zu diesen Ergebnissen kommt die Studie »Generation What?«, an der sich mehr als 940.000 junge Menschen zwischen 18 und 34 Jahren aus 35 Ländern Europas beteiligt haben und deren Endergebnisse für Deutschland nun vorliegen. Die größte vergleichende Studie dieser Art wird von der Europäischen Rundfunkunion EBU koordiniert und in Deutschland vom Bayerischen Rundfunk zusammen mit dem ZDF und dem SWR begleitet.
Weitgehend unabhängig von Alter, Geschlecht und Bildung nehmen 75 Prozent der befragten jungen Deutschen besorgt einen zunehmenden Nationalismus in Europa wahr und bewerten diesen negativ. Nur 12 Prozent können keine entsprechenden Tendenzen erkennen. Bedenkenswert ist allerdings, dass ebenfalls 12 Prozent einen steigenden Nationalismus beobachten und diese Entwicklung auch positiv finden. Hier ist der Anteil bei den Männern doppelt so hoch wie bei den Frauen (16 Prozent vs. 8 Prozent) und bei den Niedriggebildeten doppelt so hoch wie bei den Hochgebildeten (14 Prozent vs. 7 Prozent).
In zahlreichen anderen europäischen Staaten sind nationale und anti-europäische Tendenzen deutlicher spürbar. So bewerten in Österreich 21 Prozent und in den Niederlanden immerhin 19 Prozent den steigenden Nationalismus in Europa als positiv.
Geringes Vertrauen in die EU
Doch auch bei den jungen Deutschen stellt Europa offenbar keine Herzensangelegenheit dar. Auf die Frage, was Europa für sie bedeutet, antworteten 36 Prozent, Europa sei in erster Linie ein notwendiges Konstrukt. Für 18 Prozent ist es sogar nicht mehr als nur der Name eines Kontinents. Jeweils 9 Prozent betrachten Europa als historische Illusion bzw. als ein System der Herrschaft.
Lediglich 26 Prozent sehen darin das einzig wahre Projekt für die Zukunft. Einen vollständigen Bruch mit Europa scheinen sich die deutschen Jugendlichen aber dennoch nicht zu wünschen. 78 Prozent der Befragten stellen sich gegen einen Austritt Deutschlands aus der Europäischen Union.
Der Studienleiter des SINUS-Instituts, Maximilian von Schwartz, bewertet die Ergebnisse so: »Trotz ihrer Fehler wird die Europäische Union von den jungen Deutschen als nützlich wahrgenommen. Sie ist für sie aber nicht die große Hoffnung für die Probleme unserer Zeit«.
Ein grundlegendes Problem des politischen Europas scheint die nur gering vorhandene Identifikation der jungen Generation zu sein. Zwar bejahten fast 78 Prozent der deutschen Studienteilnehmer die Frage, ob sie sich als Europäer fühlten.
Auf die Frage, wozu man sich am meisten zugehörig fühle, antworteten jedoch nur 9 Prozent mit »Europa«. Demgegenüber fühlen sich 42 Prozent ihrer Stadt bzw. Region am meisten zugehörig, 23 Prozent ihrem Land und 24 Prozent der Welt als Ganzem.
Im europäischen Vergleich sind die jungen Deutschen gemeinsam mit den Spaniern (21 Prozent) am wenigstens ihrer Nation verbunden. Bei den irischen (58 Prozent) und auch den österreichischen Befragten (40 Prozent) steht die Identifikation mit der eigenen Nation dagegen deutlich höher im Kurs. Fasst man alle Nationen zusammen, die an der Studie teilnehmen (Belgien, Deutschland, Frankreich, Griechenland, Irland, Italien, Luxemburg, Niederlande, Österreich, Schweiz, Spanien, Tschechien und Wales), zeigt sich, dass sich die europäische Jugend stark mit der eigenen Region bzw. der eigenen Stadt identifiziert (30 Prozent), was aufgrund der lebensweltlichen Nähe und der alltäglichen Vertrautheit mit Landschaft, Gebräuchen und Sprache als plausibel erscheint.
Interessant ist aber auch, dass die Identifikation mit Europa (11 Prozent) deutlich schwächer ausfällt als mit der Welt (31 Prozent). Insgesamt ist die europäische Jungend somit eher »glokalistisch« eingestellt: Sie identifiziert sich besonders mit der Welt und der eigenen Region.
Die geringe Identifikation mit Europa spiegelt sich auch in dem Befund, dass nur ein sehr geringer Anteil der jungen Deutschen (5 Prozent) »völliges« Vertrauen in Europa hat. Dreimal so viele (15 Prozent) zeigen hingegen »überhaupt kein« Vertrauen in Europa. Die meisten Befragten sammeln sich aber in zwei gleich großen Lagern: Jeweils 39 Prozent vertrauen Europa mehr oder weniger bzw. mehr oder weniger nicht.
40 Prozent der Deutschen Jugendlichen würden sich an einem Aufstand beteiligen
Dennoch sollten die Ergebnisse der Generation What?-Studie die Politik nachdenklich stimmen – zum Beispiel auch die Antworten auf die Frage »Würdest Du Dich an einem Aufstand gegen die an der Macht beteiligen?«. Selbst die im Vergleich eher zurückhaltenden deutschen Teilnehmer beantworteten die Frage zu 40 Prozent mit »Ja«. Auch wenn man bezweifeln kann, ob sich wirklich 40 Prozent an einer Revolution beteiligen würden, zeugt dieses Ergebnis von einem massiven Vertrauensverlust in die etablierten Kräfte und Strukturen.
Abschlussbericht mit den Ergebnissen für Deutschland
Das mit der Auswertung der deutschen Ergebnisse betraute SINUS-Institut hat mittlerweile einen umfangreichen Abschlussbericht vorgelegt. Einen weiteren Bericht mit den Ergebnissen der einzelnen Teilnehmerländer und auch einem gesamteuropäischen Ausblick wird die EBU im Januar 2017 veröffentlichen.
Hintergrund
Die Umfrage umfasst 149 Fragen von Politik über Religion bis hin zu Sexualität und Lebensglück und gilt als größte vergleichende Studie dieser Art. Auch nach der Veröffentlichung der Endergebnisse können junge Menschen zwischen 18 und 34 Jahren auf www.generation-what.de noch bis April 2017 an der Umfrage teilnehmen und selbst ein Bild ihrer Generation zeichnen.