Zwischen Euphorie und Phobie: Report zeigt, wie Deutschland in die digitale Zukunft blickt
Rund die Hälfte der Angestellten hadert noch damit, alle Aufgaben digital zu erledigen. Die Unternehmen hinken bei der Ausstattung der Arbeitsplätze hinterher. Demnach ist es kein Wunder, dass kollaboratives Arbeiten in 60 Prozent der Fälle noch umständlich und zeitaufwendig ist. Das sind Ergebnisse der von Host Europe und dem Forschungsinstitut YouGov durchgeführten Digital-Working-Studie.
Diese Sicht von 1.000 Büroangestellten auf den Ist-Zustand an ihrem Arbeitsplatz kombiniert der Digital Working Report 2016 mit den Visionen von 13 Experten. Aus ganz unterschiedlichen beruflichen Perspektiven skizzieren sie ihre Ideen, wie die Digitalisierung gelingen kann. Mit der Veröffentlichung startet Host Europe als Initiator des Projekts eine Debatte über die Zukunft der Arbeit auf digitalesarbeiten.de.
Deutschland arbeitet noch nicht so digital, wie es könnte. Die Digital-Working-Studie zeigt: Ein Großteil der alltäglichen Routineprozesse wird noch nicht vollständig digital ausgeführt. Fast die Hälfte der Befragten gibt an, dass sie einige Aufgaben schlichtweg nicht digital erledigen will. Das ist übrigens keine Frage des Alters: Die Zustimmung zu dieser Aussage liegt in allen Altersgruppen nah beieinander zwischen 43 und 49 Prozent, mit der höchsten Quote in der Gruppe der 18-24-Jährigen. Dass auch die Rahmenbedingungen vielfach nicht stimmen, macht es nicht einfacher: Erst wenige Arbeitsplätze sind so ausgestattet, dass Mitarbeiter rundum digital und ortsflexibel arbeiten können.
»Die Digital-Working-Studie zeigt großen Nachholbedarf. Besonders der Mittelstand darf sich bei der Digitalisierung nicht abhängen lassen. Als mittelständisches Technologieunternehmen mit verschiedenen, multilingualen Standorten haben wir früh begonnen, Prozesse zu digitalisieren und in den vergangenen fünf Jahren große Fortschritte gemacht. Doch auch wir stehen dabei vor Herausforderungen, wie zum Beispiel die Durchgängigkeit der eingesetzten Technologien sicherzustellen«, so Dr. Claus Boyens, Geschäftsführer von Host Europe. »Die Kernfrage für mich ist, wie wir Digitalisierung so gestalten, dass sie den Arbeitsalltag aller Mitarbeiter sinnvoll bereichert und gleichzeitig das Unternehmen voranbringt. Um uns und andere zu inspirieren, haben wir die Initiative ergriffen und Experten aus unterschiedlichen Fachrichtungen eingeladen, ihre Vision mit uns zu teilen«.
Flexibel: Alternativen zu festen Büro- und Arbeitszeitstrukturen
Ein Faxgerät gibt es an deutschen Arbeitsplätzen noch sehr viel häufiger als etwa Laptops, Smartphones, Tablets oder Equipment für Videokonferenzen. Mit der Standardausstattung, die Unternehmen bieten, ist flexibles Arbeiten nicht immer möglich. Doch die Lebenskonzepte besonders jüngerer Generationen werden individueller, damit einhergehend steigt der Wunsch nach flexiblen Erwerbsmodellen. Das bestätigt Anastasia Umrik, die aus der Perspektive einer jungen Selbständigen nachvollziehen kann, warum sich ihre Generation mit 9-to-5-Bürojobs nicht mehr anfreunden kann. Dass auch andere Ansätze funktionieren können, weiß Anna-Lena Müller, die das Modell der Vertrauensarbeitszeit und -ort bei Microsoft schätzen gelernt hat.
Digital: Kognitive Systeme halten Einzug in die Arbeit
Kaum eine Bürotätigkeit wird aktuell bereits voll digital ausgeführt – obwohl vielfältige Software und Tools dafür bereitstehen. Über 60 Prozent derjenigen, die kollaborativ arbeiten, geben in der Digital-Working-Studie an, dass das gemeinsame Erstellen von Dokumenten im Team unter den jetzigen Bedingungen oft umständlich und zeitaufwändig ist. Stefan Pfeiffer von IBM und Dr. Peter Geißler, der Unternehmen zu Digitalisierungsprozessen berät, sehen im Einsatz von Bots und kognitiven Systemen eine Chance, Wissensarbeiter zu unterstützen und durch Automatisierung von Routineprozessen zu entlasten.
Motiviert: »Digital Convenience« für alle Mitarbeiter
Für Führungskräfte sollte es zur Priorität werden, Digitalisierung so voranzutreiben, dass Mitarbeiter gerne digital arbeiten. Dr. Claus Boyens beschreibt das Konzept als »Digital Convenience«. Grundlage dafür sei eine klar definierte Digitalisierungsstrategie mit gut durchdachter Auswahl der eingesetzten Technologien. Es brauche klare Regeln, wie die Digitalisierung von Prozessen in Teams zu gestalten ist, aber auch Spielraum, um auf individuelle Präferenzen einzugehen. Neben einer Digitalisierungsstrategie, die alle Mitarbeiter gleichermaßen involviert, ist auch die Arbeitsplatzgestaltung ein wesentlicher Motivationsfaktor. Immobilienentwickler Michael O. Schmutzer betont, dass verschiedene Arbeitsweisen unterschiedliche Raumkonzepte erfordern.
Sicher: IT-Sicherheit und Arbeitnehmerschutz sind neuralgische Punkte
IT-Sicherheit bleibt ein Knackpunkt bei der Digitalisierung: 30 Prozent der Büromitarbeiter ergreifen keine entsprechenden Maßnahmen am Arbeitsplatz. Christoph Magnussen mahnt an, dass Sicherheit nicht auf Emotionen beruhen kann, sondern rationaler Entscheidungen bedarf. Neue Arbeitsformen verlangen nicht nur ein anderes und breites Verständnis für IT-Sicherheit, sondern auch neue rechtliche und versicherungstechnische Vereinbarungen, die den Arbeitnehmer schützen und absichern. Fachanwalt Christian Oberwetter verweist darauf, dass das klassische Arbeitsrecht praktikable Antworten für Phänomene wie Crowdworking finden muss.
Vernetzt: Diversität und Coworking fördern Innovation
Wissenstransfer, Entscheidungsfreude, Innovationen – all das sind Ziele, die Unternehmen mit Social Collaboration, dem Einsatz von Tools und Technologien für eine vernetzte Zusammenarbeit in Teams, verfolgen. Startups haben in diesem Punkt einen Vorsprung vor Branchengrößen: Sie agieren flexibler und adaptieren neue Technologien schneller. Unternehmen machen sich die kleinen Angreifer immer häufiger zu Partnern, sei es durch eigene Inkubatoren oder den Einzug in Coworking Spaces. Tobias Schwarz sieht in Coworking eines der wichtigsten Elemente der Zukunft der Arbeit. Auch Diversität vernetzt Ideen: Silvernerd Ilse Mohr plädiert für altersgemischte Teams, ein Ansatz, mit dem Unternehmen wissenschaftlich nachgewiesene Erfolge erzielt haben.
Selbstbestimmt: Statt Digitalphobie auf die menschlichen Stärken besinnen
Wie können wir einen selbstbestimmten Weg in Zeiten von Robotik und Automatisierung finden, die einigen Studien zufolge Millionen Arbeitsplätze obsolet machen werden? Dr. Ole Wintermann warnt vor der typisch deutschen Digitalphobie und plädiert dafür, dem Wandel mit Neugier zu begegnen. Eine Chance sieht Lars Gaede darin, dass wir uns im Wettbewerb mit Maschinen auf die ureigenen menschlichen Talente besinnen. Digitalisierung stelle neue Anforderungen an die Unternehmensführung, verlange aber auch mehr Eigenverantwortung von jedem Mitarbeiter: Hanna Drabon sieht sie künftig stärker in der Rolle von Prosumenten, die stärker unternehmerisch handeln. Die Frage nach der Zukunft der Arbeit ist damit auch eine Frage nach der Zukunft des Menschseins.
Hintergrund
Die Daten der »Digital-Working-Studie 2016« basieren auf einer gemeinsamen Umfrage von YouGov und Host Europe im April und Mai 2016. An der Studie nahmen 1.000 Büro-Angestellte in Deutschland teil, repräsentativ quotiert nach Alter, Geschlecht und Bundesland.
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