Fernpendeln belastet die Psyche
Lange Arbeitswege für die Psyche nicht gesund
Mit der Entfernung zwischen Wohn- und Arbeitsort steigt bei Pendlern die Wahrscheinlichkeit für eine psychische Erkrankung. Das ist das Ergebnis einer Fehlzeitenanalyse des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO). Die Fehltage aufgrund psychischer Erkrankungen liegen bei Arbeitnehmern, die mindestens 500 Kilometer zum Arbeitsplatz pendeln, um 15 Prozent höher als bei denjenigen, die maximal zehn Kilometer Wegstrecke zurücklegen müssen.
»Lange Fahrstrecken zum Arbeitsort belasten die Psyche. Wird die Distanz zum Arbeitsort durch einen Wohnortwechsel verkürzt, kann die relative Wahrscheinlichkeit von Fehltagen aufgrund einer psychischen Erkrankung um bis zu 84 Prozent reduziert werden«, so Helmut Schröder, Stellvertretender Geschäftsführer des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO). Dies konnte mit Hilfe einer Analyse der Arbeitsunfähigkeiten der AOK-versicherten Beschäftigten in den letzten fünf Jahren ermittelt werden.
Bei knapp 58 Prozent der mehr als 13 Millionen erwerbstätigen AOK-Mitglieder des Jahres 2017 liegen Wohn- und Arbeitsort bis zu zehn Kilometer auseinander. Dahingegen müssen 10,6 Prozent von ihnen Distanzen von mehr als 50 Kilometern zum Arbeitsort überbrücken. Ihr Anteil ist in den letzten fünf Jahren von 9,8 auf 10,6 Prozent gestiegen. Am deutlichsten sind die Pendelstrecken bei den 30 bis 39-Jährigen (durchschnittliche Distanz 26,5 Kilometer). Tendenziell nehmen Männer einen längeren Arbeitsweg in Kauf als Frauen (Distanz 26,2 zu 20,4 Kilometer).
AOK-versicherte Beschäftigte, die maximal zehn Kilometer Wegstrecke zum Arbeitsplatz zurücklegen, wiesen 2017 durchschnittlich 11 Arbeitsunfähigkeitsfälle je 100 Mitglieder aufgrund psychischer Erkrankungen auf. Bei einer Wegstrecke von mindestens 50 Kilometern sind es bereits 12 und bei mehr als 500 Kilometern zur Arbeit waren es 12,6 Fälle. Nicht nur die Anzahl der Krankschreibungen, auch die durchschnittlichen Fehlzeiten aufgrund psychischer Erkrankungen steigen dabei von 2,9 auf 3,4 Fehltage pro AOK-Mitglied. Treiber ist dabei die Diagnose »Reaktionen auf schwere Belastungen und Anpassungsstörungen« (ICD F43). Hierunter fallen depressive Verstimmungen, Ängste, Sorgen und das Gefühl, mit den alltäglichen Gegebenheiten nicht zurechtzukommen.
Für seine Analysen hat das WIdO auch die Fehltage-Verläufe innerhalb eines Fünfjahreszeitraumes dahingehend analysiert, ob ein Wohnortwechsel mit einer Veränderung der Entfernung zum Arbeitgeber Auswirkungen auf die Fehltage aufgrund von psychischen Erkrankungen hat. Bei den knapp fünf Millionen kontinuierlich AOK-versicherten Beschäftigten haben 5,1 Prozent in diesem Zeitraum die Entfernung zwischen Wohn-und Arbeitsort verkürzt, bei 6,1 Prozent ist die Strecke länger geworden. Bei einem Vergleich der Fehltage ein Jahr vor und ein Jahr nach dem Wohnortwechsel zeigt sich: Bei einer Verkürzung der Wegstrecke steigen die psychisch bedingten Fehlzeiten unterdurchschnittlich, eine Verlängerung erhöht sie überdurchschnittlich. Bei der Gruppe der Arbeitnehmer, die nach einem Wohnortwechsel zu Fernpendlern werden, also einen Fahrweg von mindestens 50 Kilometern zum Arbeitsort in Kauf nehmen, war der Anstieg der Fehltage aufgrund von psychischen Erkrankungen am größten (plus 54,4 Prozent). Kann die Distanz hingegen auf unter 50 Kilometer verkürzt werden, ist der Anstieg mit 7,9 Prozent deutlich geringer. In der Vergleichsgruppe derjenigen, die in den letzten fünf Jahren keinen Wohnortwechsel vorgenommen haben, lag der Anstieg bei 49,4 Prozent.
»Vergleicht man Beschäftigte, die in einem Fünfjahreszeitraum nicht umgezogen sind, mit denjenigen, die durch einen Umzug ihren Arbeitsweg auf unter 50 Kilometer verkürzen konnten, zeigt sich, dass die relative Veränderung der Fehltage aufgrund einer psychischen Erkrankung um bis zu 84 Prozent sinkt«, so Helmut Schröder. »Es lohnt sich also, wenn Beschäftigte ihren Arbeitsweg verkürzen oder Arbeitgeber ihre Mitarbeiter beispielsweise bei der Wohnungssuche vor Ort unterstützen«.
In den letzten Jahren kann unter allen Beschäftigten ein kontinuierlicher Anstieg von Ausfallzeiten aufgrund psychischer Erkrankungen beobachtet werden. Angesichts von großen Studien in Deutschland, die keine Zunahme von psychischen Störungen in Deutschland verzeichnen, sind die Gründe einer Verlagerung in Richtung psychischer Erkrankungen nicht abschließend geklärt. »Ein Faktor sind sicherlich die veränderten Anforderungen an die Beschäftigten, von denen viel Flexibilität verlangt wird. Mobilität und ständige Erreichbarkeit beispielsweise bieten viele Chancen, aber eben auch Risiken«, sagt Schröder.
Krankenstand bleibt stabil
Insgesamt ist der Krankenstand im Jahr 2017 wie in den beiden Vorjahren mit 5,3 Prozent konstant geblieben. Damit hat jeder AOK-versicherte Beschäftigte im Durchschnitt 19,4 Tage aufgrund einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung im Betrieb gefehlt. Die Fehltage aufgrund psychischer Erkrankungen sind in den letzten zehn Jahren konstant angestiegen (67,5 Prozent). Psychische Erkrankungen führen außerdem zu langen Ausfallzeiten. Mit 26,1 Tagen je Fall dauerten sie mehr als doppelt so lange wie der Durchschnitt mit 11,8 Tagen je Fall im Jahr 2017.
Der Analyse des WIdO liegen die Daten von 13,2 Millionen AOK-versicherten Arbeitnehmern zugrunde, die 2017 in mehr als 1,5 Millionen Betrieben beschäftigt waren.