Midijob-Reform entlastet Geringverdienende, vor allem teilzeiterwerbstätige Frauen

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DIW3

Reform entlastet Geringverdienende bis zu 23 Euro im Monat 

Die geplante Midijob-Reform entlastet die Begünstigten um durchschnittlich 17 Euro im Monat. Sie kostet die Sozialversicherungen jährliche Beitragsausfälle von etwa 400 Millionen Euro, einschließlich Mehreinnahmen bei der Einkommensteuer entstehen staatliche Mindereinnahmen von insgesamt rund 300 Millionen Euro. Die Reform entlastet überwiegend untere und mittlere Einkommen.

Ein Drittel des Entlastungsvolumens entfällt auf die obere Hälfte der erwerbstätigen Bevölkerung, da die Midijob-Entlastung keine Bedürftigkeitsprüfung oder Zusammenveranlagung im Haushaltszusammenhang vorsieht. Insoweit ist die Reform nicht zielgerichtet auf die Entlastung von Haushalten mit niedrigen Einkommen zugeschnitten. Sie fördert zumeist Teilzeitarbeit, die weitgehend von Frauen geleistet wird. Ein Drittel des Entlastungsvolumens entfällt auf Frauen mit Kindern unter 18 Jahren. Inwieweit durch die Reform bestehende Anreize zur Teilzeit- statt Vollzeittätigkeit verstärkt werden, ist eine empirische Frage, die hier nicht untersucht wurde. Eine Ausweitung der Teilzeitarbeit hätte negative Konsequenzen für die aktuellen Einkommen sowie für die Alterssicherung.

Die Große Koalition will die Entlastung der Arbeitnehmerbeiträge bei den »Midijobs« ausweiten. Nach dem vorliegenden Referentenentwurf soll die obere Einkommensgrenze der Gleitzone von derzeit 850 Euro je Monat auf 1 300 Euro je Monat erhöht werden. Anders als bisher sollen die reduzierten Rentenbeiträge nicht zu verringerten Rentenansprüchen führen.[1] Dies stößt auf Kritik, alternativ könnten die Beitragsentlastungen durch eine Aufstockung des Bundeszuschusses zur Rentenversicherung ausgeglichen und damit breiter über das Steueraufkommen finanziert werden.[2]

Die Midijob-Gleitzone wurde 2003 eingeführt. Sie soll den starken Anstieg der Sozialbeiträge bei Entgelten knapp oberhalb der geringfügigen Beschäftigung (»Minijob«) mildern. So werden bei der geringfügigen Beschäftigung nur Arbeitnehmerbeiträge zur Rentenversicherung mit einem Beitragssatz von derzeit 3,6 Prozent erhoben (Abbildung 1), von denen sich die Arbeitnehmer befreien lassen können (»opt-out«). Ferner sind die pauschalen Beiträge zu den Sozialversicherungen in Summe[3] niedriger als bei Normalarbeitsverhältnissen, und es fällt nur pauschale Lohnsteuer von zwei Prozent an. Lohneinkommen über 450 Euro im Monat sind dagegen regulär sozialbeitrags- und lohnsteuerpflichtig.

In der Midijob-Gleitzone ab 450 Euro Bruttomonatseinkommen setzen die Arbeitnehmerbeiträge mit einem ermäßigten Satz von derzeit gut zehn Prozent ein, damit werden sie gegenüber dem regulären Beitragssatz um knapp zehn Prozentpunkte ermäßigt (Abbildung 1).[4] Diese Ermäßigung wird mit steigendem Einkommen linear bis zum Ende der Gleitzone vollständig abgeschmolzen, so dass bei derzeit 850 Euro Monatseinkommen der reguläre Arbeitnehmerbeitragssatz von gut 20 Prozent erreicht wird. Durch die Abschmelzung der Entlastung steigt die Grenzbelastung mit Arbeitnehmerbeiträgen in der Gleitzone um elf Prozentpunkte auf gut 31 Prozent und die gesamte Grenzbelastung einschließlich Arbeitgeberbeitrag auf knapp 51 Prozent.[5] Für die Arbeitgeberbeiträge gibt es keine Vergünstigung.

Die Midijob-Entlastung gilt für alle sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungen bis auf Ausbildungsverhältnisse oder das freiwillige soziale Jahr, bei mehreren gleichzeitigen Beschäftigungen werden die Einkommen zusammengerechnet. Es gibt weder eine Bedürftigkeitsprüfung wie bei Grundsicherung, Kinderzuschlag oder Wohngeld noch eine Zusammenveranlagung bei Ehe oder Lebenspartnerschaft wie bei der Einkommensteuer. Das heißt, die Midijob-Entlastung wird auch gewährt, wenn Selbständigen- oder Vermögenseinkommen neben den begünstigten Arbeitseinkommen bezogen werden, wenn der Partner oder die Partnerin ein höheres Einkommen erzielt oder wenn höhere Vermögen vorhanden sind.

Fazit
Die geplante Midijob-Reform erweitert den Kreis der begünstigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer erheblich. Im Durchschnitt werden die Begünstigten um 17 Euro je Monat entlastet. Die Beitragsausfälle der Sozialversicherungen halten sich mit jährlich etwa 400 Millionen Euro in Grenzen, bei der Einkommensteuer entsteht ein Mehraufkommen von gut 100 Millionen Euro, so dass der Staatssektor insgesamt mit rund 300 Millionen Euro belastet wird.

Die Reform entlastet überwiegend Erwerbstätigenhaushalte mit unteren und mittleren Einkommen. Aber auch auf die obere Hälfte der erwerbstätigen Bevölkerung entfällt ein Drittel des Entlastungsvolumens, da es für die Entlastung keine Bedürftigkeitsprüfung im Haushaltszusammenhang gibt und auch keine Zusammenveranlagung mit Partnern stattfindet. Insoweit ist die Reform nicht zielgerichtet auf die Entlastung von Haushalten mit niedrigen Einkommen zugeschnitten. Sie fördert zumeist Teilzeitarbeit, die weitgehend von Frauen geleistet wird. Ein Drittel des Entlastungsvolumens entfällt auf Frauen mit Kindern unter 18 Jahren.

Eine empirische Abschätzung der Arbeitsangebotswirkungen liegt noch nicht vor. Während für einen Teil der Personen mit niedrigen Löhnen durch die Reform positive Anreize zur Aufnahme oder Erweiterung ihrer Erwerbstätigkeit entstehen, besteht auch die Gefahr einer Verstärkung der »Teilzeitfalle«. Den intendierten positiven Verteilungswirkungen der Reform stehen Mitnahmeeffekte und möglicherweise auch negative Arbeitsanreizeffekte gegenüber.

 

Fußnoten

[1] Entwurf eines Gesetzes über Leistungsverbesserungen und Stabilisierung in der gesetzlichen Rentenversicherung (RV-Leistungsverbesserungs- und -Stabilisierungsgesetz). Referentenentwurf des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales, Bearbeitungsstand: 12.07.2018 13:55 Uhr (online verfügbar).

[2] Im Referentenentwurf ist lediglich eine pauschale Erhöhung des Bundeszuschusses in den Jahren 2022 bis 2025 vorgesehen, die der Einhaltung der Beitragssatzgrenze von 20 Prozent dienen soll (vgl. a.a.O., S. 2). Eine Steuerfinanzierung der aufgestockten Rentenansprüche wird von der Deutschen Rentenversicherung gefordert (online verfügbar). Wegen der Verletzung des Äquivalenzprinzips wird eine Steuerfinanzierung auch von Hagist und Bührer (2018) gefordert, Christian Hagist, und Christian Bührer (2018): Wer gewinnt hier eigentlich was? – Die Ausweitung der Midijob-Grenze im Rentenpaket. Ökonomen Blog INSM (online verfügbar). Für weitere Kritik vgl. u.a. Johannes Steffen (2018): Hintergrund. Mini- und Midi-Jobs im Koalitionsvertrag, Inhaltliche Widersprüche und Fragwürdigkeiten (online verfügbar); GDV (2018): Stellungnahme des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft zum Referentenentwurf des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales Entwurf eines Gesetzes über Leistungsverbesserungen und Stabilisierung in der gesetzlichen Rentenversicherung (RV-Leistungsverbesserungs- und -Stabilisierungsgesetz) (online verfügbar) und BDA (2018): Das Rentenpaket ist in der Summe teuer und ungerecht (online verfügbar).

[3] Aktuell beträgt die Summe der pauschalen Beiträge 29,2 Prozent bei gewerblichen Minijobs. Hinzu kommen bei Versicherungspflicht in der Rentenversicherung Arbeitnehmerbeiträge von 3,6 Prozent (Abbildung 1).

[4] Der Beitragssatz ist bei der Gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung individuell unterschiedlich. Er hängt von der Krankenkasse sowie bei der Pflegeversicherung von der Zahl der Kinder ab.

[5] Steuertechnisch entspricht die Midijob-Entlastung einem begrenzten Freibetrag, der über die Gleitzone abgebaut wird.

  

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