Lehren für die Arbeitswelt der Zukunft
Die Einschätzungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg, des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln e.V. (IW) sowie des Lehrstuhls für Soziologie an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) waren am Montag (11.02.2019) Thema einer öffentlichen Anhörung der Enquete-Kommission »Berufliche Bildung in der digitalen Arbeitswelt« gewesen. Die externen Sachverständigen sprachen in der 7. Sitzung des Gremiums über bisherige Veränderungen in der Arbeitswelt und beruflichen Bildung. »Wir wollen sowohl einen Blick zurückwerfen, aber auch fragen, welche Schlussfolgerungen für kommende Entwicklungen gezogen werden können. Das ist relevant für unseren Abschlussbericht«, sagte der Vorsitzende der Kommission, Stefan Kaufmann (CDU).
Im verarbeitenden Gewerbe habe man für das Jahr 2016 festgestellt, dass ungefähr 54 Prozent der Tätigkeiten von Maschinen und Robotern erledigt werden können. Dies betreffe 21,5 Prozent der Beschäftigten, sagte Britta Matthes (IAB) in der Anhörung. Auch bei den Finanz- und Versicherungsdienstleistungen finde man mit 48 Prozent einen ähnlich hohen Anteil, dort betreffe es allerdings relativ wenige Beschäftigte. »Im Gegensatz dazu findet sich im Gesundheits- und Sozialwesen mit 5,4 Prozent ein relativ geringer Wert. Der betrifft allerdings 14,2 Prozent der Beschäftigten«, berichtete Matthes weiter. Fast 50 Prozent der Betriebe nutzen zwar digitale Technologien, dabei falle jedoch auf, dass sich kleinere Betriebe häufig weniger stark mit diesen auseinandergesetzt haben.
»Zwischen 1994 und 2014 ist der Einsatz von zwei Robotern pro Beschäftigten auf acht angestiegen«, berichtete die Arbeitsmarktexpertin, gab aber auch zu bedenken, dass die Beschäftigung insgesamt stabil geblieben sei und es keine negativen Beschäftigungseffekte gegeben habe. Verluste seien etwa im Bankensektor und in der metallverarbeitenden Industrie festzustellen in den vergangenen fünf Jahren. Gewinne haben man bei Helfertätigkeiten in der Lagerwirtschaft sowie bei Fachkräften in der Kinderbetreuung verzeichnen können. Dem Verlust von insgesamt vier Millionen Arbeitsplätzen stehe ein Zuwachs von etwa 3,3 Millionen gegenüber - bei einem gesteigerten Qualifikationsniveau und steigenden Anforderungen. Mit Blick auf die Ausbildung sei zu befürchten, dass ein Auseinanderdriften zwischen den Auszubildenden im Hinblick auf digitales Wissen stattfinden könne, wenn die Berufsschulen nicht zu einem zentralen Ort der Wissensvermittlung würden. Insbesondere überbetriebliche Ausbildungseinrichtungen böten Chancen für einen überregionalen und branchenübergreifenden Dialog und Wissenstransfer, sagte Matthes.
Dirk Werner (IW) verwies auf große Unterschiede in den Branchen und Berufsgruppen insbesondere was den Aufbau von Beschäftigung angehe: In der Digitalisierung komme man deshalb nicht weiter, weil es einen gravierenden Fachkräfteengpass gebe, berichtete er. »Am IW haben wir eine Engpassquote entwickelt, die gezeigt hat, dass die Realitäten regional sehr heterogen sind«, sagte Werner. Mehr als 85 Prozent der Stellen in Baden-Württemberg würden demnach in Engpassberufen ausgeschrieben, in Berlin sei es etwa die Hälfte. »Die beruflich Qualifizierten sind der größte Engpass am Arbeitsmarkt, gefolgt von den Spezialisten und dann kommen erst die Akademiker«, betonte Werner. Hinsichtlich der Ausbildungsangebote könne festgestellt werden, dass diese in Engpassberufen gestiegen seien, allerdings müsse die Berufsorientierung noch besser werden, weil viele Angebote nicht die seien, die von jungen Menschen nachgefragt würden. Insgesamt sei die Digitalisierung aber ein starker Treiber für die Weiterbildung, sagte Werner: »Wir sehen, dass sich zwei Drittel der Unternehmen mit Digitalisierung in der Ausbildung beschäftigen, ein Drittel jedoch nicht. Das ist ein vergleichsweise hoher Wert«, berichtete er und verwies weiter darauf, kleinere Unternehmen nicht mit Ausbildungsordnungen abzuhängen, die sie nicht umsetzen könnten.
Sabine Pfeiffer (FAU Erlangen-Nürnberg) plädierte dafür, mehr über die Gestaltung der Digitalisierung und weniger über Prognosen von Beschäftigungseffekten zu reden. »Für validere Aussagen ist eine andere Forschung ist nötig und dafür müssten die Ressourcen der Beschäftigten noch stärker genutzt werden«, betonte sie. Man gehe derzeit von einer disruptiveren Entwicklung aus als in den vergangenen Jahrzehnten. Bisherige Digitalisierungs-Schübe hätten allerdings begrenzt gewirkt und die zeitlichen Effekten seien nicht bekannt, sagte die Soziologin. »Plausibel ist lediglich, dass Technik selten eins zu eins Berufe und Tätigkeiten ersetzt«, sagte Pfeiffer. Eine Reorganisation sowie eine additive Anreicherung von Tätigkeiten seien hingegen wahrscheinlich.
Als Ressource für die Innovationsfähigkeit der Unternehmen würde die Mitbestimmung der Beschäftigten oftmals unterschätzt, erklärte Pfeiffer weiter: »Viele erleben eine Kluft zwischen dem, was diskutiert wird, der digitalen Realität am Arbeitsplatz und der privaten Nutzung von Technologien«, sagte sie. Den medialen Diskurs mit der Zuschreibung, dass Beschäftigte oft Angst vor dem technologischen Wandel hätten, könne sie in ihrer Empirie nicht bestätigen: »Ich würde es eher Skepsis nennen, weil die Beschäftigten oftmals nicht gefragt und einbezogen werden«, sagte die Soziologin. Insgesamt werte sie das Berufsbildungssystem aber als Garant für die Innovationsfähigkeit der deutschen Wirtschaft. Verbesserungsbedarf bestehe vor allem in der Ausstattung der Berufsschulen und im Prüfungswesen, bei der Annahme von Fortbildungen in der Praxis und bei der Durchlässigkeit des Systems.
Die Abgeordneten und Sachverständigen konzentrierten sich in ihren Nachfragen auf die dringendsten Probleme und Lehren. Sie fragten danach, ob zukünftig Korridore von Beruflichkeiten entwickelt werden müssten, ob der Einfluss der beruflichen Bildung in Start-ups wachsen und informell erworbene Kompetenzen stärker anerkannt werden müssten. Außerdem fragten sie danach, ob mehr betriebliche Mitbestimmung nötig sei. Auch für die rechtlichen Bedingungen beim Online-Lernen interessierten die Mitglieder der Enquete-Kommission sowie für die Verbindlichkeit von Zusatz- und Wahlqualifikationen.
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