Entscheidungen zur Berufswahl in der Diskussion
Mit einem neuen Format hat sich die Enquete-Kommission »Berufliche Bildung in der digitalen Arbeitswelt« in einer öffentlichen Anhörung beschäftigt. Zur 9. Sitzung der Kommission waren neben den Bildungswissenschaftlern Marc Calmbach (SINUS Markt- und Sozialforschung) und Klaus Hurrelmann (Hertie School of Governance, Berlin) auch zwei ehemalige Auszubildende als externe Sachverständige geladen, die von Annalisa Schnitzler (Bundesinstitut für Berufsbildung) zu ihren persönlichen Erfahrungen mit dem Berufsbildungssystem befragt wurden.
»Die Erfahrungen junger Menschen, insbesondere aus der Generation Y und Z, sind in der deutschen Bildungsdiskussion oft ein blinder Fleck«, führte der Vorsitzende des Gremiums, Stefan Kaufmann (CDU) ein. Deshalb wolle man sich in der Kommission nun mit den Erwartungen und Kriterien der jungen Menschen an den Beruf beschäftigen, um herauszufinden, welche Rolle Reputation, Gehalt, Work-Life Balance, Hierarchien, Aufstiegsoptionen und Teamatmosphäre für sie spielen.
»Die Betriebe in unserer Region tun sich schwer, geeignete Auszubildende zu finden. Deshalb wollten wir mehr über die Gründe der Auszubildenden bei der Berufswahl wissen, damit die Unternehmen Argumente finden können und attraktiver werden«, sagte Thomas Weise (Industrie- und Handelskammer Region Stuttgart). Dafür wurden mit der IHK-Jugendstudie des Sinus-Instituts im Jahr 2014 über 1000 Internetnutzer zwischen 14 und 24 Jahren befragt. »Ein Ergebnis war, dass die Hälfte der Jugendlichen in Bezug auf die Arbeitswelt einen Leistungsdruck wahrnimmt und auch Selbstzweifel äußert«, berichtete Studienleiter Marc Calmbach den Kommissionsmitgliedern.
Schulische Zeugnisse würden vor allem im niedrigen Bildungsbereich oftmals als »eine Signatur des Scheiterns« wahrgenommen. Trotzdem verfügten viele Jugendliche über einen Bewältigungsoptimismus und die duale Ausbildung habe über alle Bildungsgruppen hinweg ein sehr gutes Image, sagte Calmbach. Aufällig sei, dass die weichen Faktoren bei den befragten Jugendlichen deutlich wichtiger gewesen seien als die monetären: Der Spaß an der Tätigkeit, die Vereinbarkeit mit dem Privatleben und das Entsprechen des Berufs mit den eigenen Fähigkeiten seien die Top-3-Anforderungen, dann erst werde ein hohes Einkommen genannt. Auf die Unternehmen bezogen komme dem Betriebsklima, den Karriereaussichten, flachen Hierarchien, sowie abwechslungsreichen Aufgaben eine hervorgehobene Bedeutung zu.
Als störend empfinden 60 bis 70 Prozent der Studienteilnehmer, wenn am Arbeitsplatz veraltete Technik zum Einsatz komme, viele Überstunden und Wochenendarbeit sowie Tätigkeiten abseits des eigenen Aufgabengebietes geleistet werden müssten. »Gleichzeitig zeigen die Ergebnisse, dass sehr viele junge Menschen bereit sind, Verantwortung zu übernehmen und sich weiterzubilden«, berichtete Calmbach. Was die Zugänge zum Berufsbildungssystem angehe, würden unmittelbaren Quellen wie etwa Praktika, persönliche Gespräche aber auch die Homepages der Unternehmen am höchsten bewertet, wohingehen Informationen über soziale Netzwerke ganz am Ende rangierten. »Es fehlt weniger an Informationen im Allgemeinen als an einer zielgruppenspezifischen Aufbereitung dieser angepasst an die unterschiedlichen Lebenswelten der Jugendlichen«, plädierte der Wissenschaftler.
Der Bildungswissenschaftler Klaus Hurrelmann, bekannt als Autor der Shell-Jugendstudien, ordnete die Generation der nun auf den Arbeitsmarkt strömenden jungen Menschen soziologisch ein: »Die Generation Y, also die zwischen 1985 bis 2000 Geborenen, ist die fragende Generation, die zwar in Krisenzeiten, aber bereits digital aufgewachsen ist.« Alle Studien zeigten, dass dies die Generation oftmals pragmatisch und nüchtern mache, sodass flexible Entscheidungen, eine offene Haltung, aber auch Sondieren und Taktieren zu den prägenden Eigenschaften gehörten - auch, weil die Ungewissheit die dominierende Zukunftsperspektive sei. Gleichzeitig dringe nun die Generation Z, die der nach 2000 Geborenen, auf den Arbeitsmarkt, die durch den Fachkräftemangel nicht mehr um Jobs zittern müssten und dadurch auch politischer seien als noch die Generation Y, sagte Hurrelmann.
»Diese jungen Menschen erleben das Bildungs- und Berufssystem als zwei auseinanderdriftende Inseln, von denen man nicht weiß, wie es auf der anderen aussieht«, verdeutlichte er. In dieser Situation treiben vor allem die Eltern die Kinder zu bestmöglichen Abschlüssen. »So dicht wie heute war die Bindung an die Eltern selten«, sagte der Bildungsforscher. Gleichzeitig habe sich die Situation für Menschen mit niedrigen oder gar keinem Abschluss verschärft: »Ein Fünftel einer Generation lässt sich dazu rechnen. Es sind oftmals junge Männer, die den Anschluss verloren haben«, betonte Hurrelmann. Nötig sei für ebendiese eine genaue Potenzialanalyse. Junge Frauen der Generationen seien hingegen besonders erfolgreich, sagte er.
Die intuitive digitale Fähigkeit der Jugendlichen würde in den Schulen, die »gerätefreie Räume« seien, noch zu oft untergraben und die Kompetenzen somit dem Privaten überlassen. Eine stärkere Beteiligung von Jugendlichen, Arbeiten in intergenerationalen Gruppen in Betrieben sowie hybride Strukturen seien nötig, um die Systeme stärker aneinander zu rücken. »Dass weniger junge Menschen das Abitur ablegen werden, ist ein Irrglaube. Das Abitur ist der Standard-Abschluss«, sagte Hurrelmann. Dies sei für ihn keine negative Tendenz. Die berufliche Bildung müsse dabei aber verstärkt in die Gymnasien dringen, plädierte er.
Dies bestätigten Magdalena Krüger, Auszubildendenvertreterin und stellvertretende Vorsitzende der Jugend- und Auszubildendenvertretung von Hilton Hotels München, sowie Matthias Weingärtner, Schüler an einer beruflichen Oberschule und Absolvent einer Ausbildung zum Veranstaltungskaufmann. »Für mich war nach dem Abitur das Argument finanziell unabhängig zu werden ausschlaggebend für die Ausbildung«, sagte Krüger. »Mir hat der Beruf nach dem Realschulabschluss gut gefallen und die flachen Hierarchien meines Arbeitgebers haben mich überzeugt«, berichtete Weingärtner. Die Eltern hätten beiden Freiräume bei der Berufsfindung gelassen und sie aktiv bei der Suche unterstützt. »Meine Freunde haben allerdings alle sehr klar ein Studium angestrebt und waren weniger begeistert davon, dass ich mich für die Hotelfachfrau-Ausbildung entschieden habe«, sagte Krüger.
Die Inhalte an den Berufsschulen seien oftmals veraltet gewesen, verdeutlichte Krüger den Kommissionsmitgliedern. Zudem habe sie den Eindruck, dass sehr betriebsspezifisch ausgebildet würde und weniger Wert auf ein überbetriebliches Verständnis von Prozessen gelegt würde. Wenn E-learning eingesetzt werde, fehle es zudem oftmals an einem pädagogischen Konzept. Weingärtner plädierte zudem Instrumente zu stärken, die Jugendlichen mehr Hinweise auf ihre Stärken und Kompetenzen geben und individueller gestaltet seien als ein Zeugnis.
In ihren Nachfragen konzentrierten sich die Fraktionen auf mögliche Lehren für das Berufsbildungssystem. Die CDU/CSU-Fraktion wollte wissen, wie die Eltern als Zielgruppe besser eingebunden werden könnten in den Berufsfindungsprozess. Die AfD-Fraktion fragte, wie Haupt- und Realschulen stärker gefördert werden könnten. Ein Abgeordneter der FDP-Fraktion interessierte sich für Unterschiede in der Mobilität zwischen Studenten und Auszubildenden. Eine Abgeordnete der Fraktion Die Linke fragte danach, wie »abgehängte Jugendliche« neugierig auf das Berufsbildungssystem gemacht werden könnten. Bündnis 90/Die Grünen interessierte sich dafür, wie aus Sicht der Wissenschaftler die Gleichwertigkeit der beruflichen und akademischen Bildung in die Realität übersetzt werden könne. Die SPD-Fraktion fragte nach Instrumenten für Unternehmen, die Zeitsouveränität stärker in die Hände junger Menschen zu legen.