Der Arbeitsmarkt Kindertagesbetreuung erreicht neue historische Höchstmarke
Zentrale Ergebnisse des Fachkräftebarometers Frühe Bildung 2019
Mit fast 770.000 Beschäftigten arbeiteten 2018 mehr Menschen in Kindertageseinrichtungen und in der öffentlich geförderten Kindertagespflege als jemals zuvor. 57.000 junge Menschen werden im Schuljahr 2018/19 voraussichtlich eine Ausbildung abschließen, die zu einer Tätigkeit in der Frühen Bildung befähigt – so viele wie noch nie.
»Derartige Größenordnungen – auch im Vergleich zum gesamten deutschen Ausbildungs- und Arbeitsmarkt – waren zu Beginn der 2000er-Jahre noch völlig undenkbar. Diese Zahlen belegen eine der erstaunlichsten Wachstumsdynamiken des Bildungswesens der letzten hundert Jahre«, so Professor Dr. Thomas Rauschenbach, Direktor des Deutschen Jugendinstituts und Leiter der Autorengruppe Fachkräftebarometer. Gleichzeitig wachsen die fachlichen Anforderungen an das pädagogische Personal und die Kita-Leitungen. Das sind zentrale Ergebnisse des Fachkräftebarometers Frühe Bildung 2019, die die Weiterbildungsinitiative Frühpädagogische Fachkräfte (WiFF) am 25. Juni 2019 in Berlin vorab präsentiert hat. Der gesamte Bericht wird im Juli veröffentlicht. Er liefert auf Basis amtlicher Daten ein empirisches Fundament für die Beantwortung der Frage, wie sich Ausbildungssystem, Personalstruktur und -ressourcen in der Frühen Bildung entwickeln und gibt Hinweise auf fachpolitische Herausforderungen.
2018 wurden rund 3,6 Millionen Kinder in 56.000 Einrichtungen betreut. Dem vorangegangen ist ein enormer Personalausbau: Seit 2006 ist die Zahl der pädagogisch und leitend Tätigen um 76% auf aktuell 620.700 gestiegen. Mit der Expansion gewachsen sind auch die Kindertageseinrichtungen und ihre pädagogischen Teams. Die durchschnittliche Anzahl der pädagogisch und leitend Tätigen in den Teams ist von 7,5 im Jahr 2007 auf 11 Personen 2018 gestiegen. In jeder vierten Einrichtung sind Teams mit mehr als 14 Fachkräften tätig. Während die Beschäftigung in Kindertageseinrichtungen anhaltend boomt, verzeichnet die Kindertagespflege dagegen kaum Personalzuwachs. Die Zahl der Tagesmütter und -väter ist im selben Zeitraum nur um 1,6% auf 44.200 gestiegen.
Aufgabenspektrum der Kita-Fachkräfte wächst
Der Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz für ein- und zweijährige Kinder, das bildungspolitische Bekenntnis zur Inklusion sowie die wachsende kulturelle Vielfalt in der Gesellschaft verändern das pädagogische Profil der Kindertageseinrichtungen nachhaltig. So ist die Zahl der Kita-Kinder unter drei Jahren von 279.000 im Jahr 2007 auf über 665.000 im Jahr 2018 gestiegen. Mittlerweile nehmen vier von fünf Kindertageseinrichtungen auch unter Dreijährige auf. Im selben Zeitraum hat sich zudem die Zahl der Kinder mit besonderem Förderbedarf von rund 57.100 auf 84.600 (+48%) erhöht. Entsprechend arbeiten mehr Einrichtungen integrativ: Während 2007 nur rund ein Viertel mindestens ein Kind mit einer (drohenden) Beeinträchtigung betreute, waren es 2018 bereits fast vier von zehn Kitas (37%). Und schließlich ist in Kindertageseinrichtungen die Zahl der Kinder, die in ihren Familien eine andere Sprache als Deutsch sprechen, seit 2007 von 447.000 auf knapp 695.000 (+55%) gestiegen.
Länder setzen auf neue Modelle der Erzieher*innenausbildung
Um die Zahl der dringend benötigen Nachwuchskräfte weiter zu erhöhen, haben die Länder die Fachschulen für Sozialpädagogik, an denen Erzieherinnen und Erzieher ausgebildet werden, enorm ausgebaut. 32.000 Absolvent*innen haben dort im Schuljahr 2016/17 eine Ausbildung abgeschlossen. Eine zuvor nie erreichte Zahl von 38.000 Personen hat im Schuljahr 2017/18 eine Ausbildung zur Erzieherin und zum Erzieher begonnen. Doch die jährlichen Zuwächse bei den Anfängerinnen und Anfängern werden schwächer und auch die demografische Entwicklung zeigt nach unten: 2016 haben 12% weniger Schüler*innen als noch 2006 eine allgemeinbildende Schule beendet. Um dennoch genügend angehende Erzieher*innen zu gewinnen, bieten die Länder neben der Regelausbildung, die in Vollzeit und ohne Vergütung erfolgt, weitere Modelle in Teilzeit oder berufsbegleitend, mit und ohne Anstellungsvertrag in einer Einrichtung an. Ein hohes Rekrutierungspotenzial verspricht sich die Politik vor allem durch die vergütete, praxisintegrierte Ausbildung (PIA), die 2018 in Bayern, Baden-Württemberg, Bremen, Hessen, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein angeboten wurde. In diesen Ländern sind die Anfänger*innenzahlen im Zeitverlauf insgesamt stabiler.
Niedrige Akademiker*innenquote
Diese Nachwuchsstrategie hat zur Folge, dass in den Einrichtungen das Qualifikationsprofil der Erzieherin und des Erziehers nach wie vor klar dominiert: Sieben von zehn Fachkräften haben diesen Berufsabschluss. Obwohl sich die Anzahl der Beschäftigten mit einem einschlägigen Hochschulabschluss etwa in den Studiengängen der Sozialpädagogik, Erziehungswissenschaft oder Kindheitspädagogik seit 2006 verdreifacht hat, ist ihr Anteil von 3% auf nur 6% gestiegen. Diese Entwicklung bleibt hinter den fachpolitischen Erwartungen, vor allem aber hinter den Anteilen in der übrigen Kinder- und Jugendhilfe zurück und steht in einem starken Kontrast zu den vollakademisierten Bildungsberufen in Schule, Hochschule und Weiterbildung. »Die Professionalisierungsansprüche für die Frühe Bildung drohen aufgrund der angespannten Personalsituation zunehmend in den Hintergrund zu geraten«, so Professorin Dr. Anke König von der Universität Vechta, die die Autorengruppe Fachkräftebarometer gemeinsam mit Professor Dr. Thomas Rauschenbach leitet. »Das ist fatal, denn um die steigenden Anforderungen konzeptionell bewältigen zu können, sind gerade akademische Fachkräfte gefragt«.
Zu wenig Zeit für Führung und Management
Während die Managementaufgaben von Kita-Leitungen wachsen, bleibt ihre Ressourcenausstattung konstant: Seit 2011 liegt die durchschnittliche Zahl der wöchentlichen Leitungsstunden pro Kopf der pädagogisch und leitend Tätigen in der Einrichtung bei 2,1 Stunden. Zurückgegangen ist hingegen der Anteil der Einrichtungen, die ohne ausgewiesene Leitung auskommen müssen – von rund 30% im Jahr 2011 auf rund 10% im Jahr 2018. Ausgebaut wurde vor allem das Leitungsmodell der anteilig freigestellten Leitungen. Mehr als die Hälfte (57%) der rund 57.000 Kita-Leitungen übernimmt neben Führung und Management weitere Aufgaben, etwa die Gruppenleitung. »Die bisher bereitgestellten Ressourcen für Leitungen reichen nicht ansatzweise aus, um ihren erhöhten Steuerungsaufgaben gerecht zu werden und eine gute pädagogische Qualität im Team zu entwickeln«, so Professorin Dr. Anke König.
Zukünftige Herausforderungen: Ausreichend Fachkräfte für verlässliche Betreuung und gute Bildungsqualität
Um sein Angebot weiter auszubauen und zu verbessern, steht das Arbeitsfeld Frühe Bildung vor der Herausforderung, weiterhin qualifizierte Kräfte in hoher Zahl zu rekrutieren und langfristig zu binden. Als Hürde erweist sich der starke Zuschnitt auf ein Fachkräfteprofil: Frauen mit einer vollzeitschulischen Berufsausbildung als Erzieherin. Zwar bestehen mit der Kinderpflege- und Sozialassistenzausbildung sowie den kindheitspädagogischen und weiteren pädagogischen Studiengängen alternative Ausbildungswege auf Berufsfachschul- und Hochschulniveau, aber nicht überall können deren Absolvent*innen im Berufsfeld Fuß fassen oder eine ihrer Qualifikation angemessene Stelle finden. Auch Männer sind mit einem Anteil von nur 6% unter den pädagogisch und leitend Tätigen deutlich unterrepräsentiert. Sie bilden ein Fachkräftepotenzial, das es zu erschließen gilt. Angesichts des geplanten Rechtsanspruchs auf eine Ganztagsbetreuung für Grundschulkinder gewinnt die Personalfrage weiter an Brisanz: »Verantwortliche in Bund, Ländern und Gemeinden stehen bei der Kindertagesbetreuung vor gewaltigen Herausforderungen«, bilanziert Professor Dr. Thomas Rauschenbach. »Das Gute-Kita-Gesetz ist ein erster Schritt zur Weiterentwicklung dieses Bereichs, weitere müssen folgen«.
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