Trotz steigender Ausbildungszahlen: Betriebe und Jugendliche finden häufig nicht zusammen
In den letzten Jahren ist die Zahl der Ausbildungsanfänger im dualen System der Berufsausbildung wieder gestiegen. Trotz dieser positiven Entwicklung finden Betriebe und Jugendliche immer häufiger nicht zueinander: Im Jahr 2009 konnten 17.000 Ausbildungsplätze nicht besetzt werden und 93.000 Bewerber gingen leer aus. Auch 2018 suchten noch 79.000 Jugendliche erfolglos eine Lehrstelle, obwohl sich die Zahl der unbesetzten Ausbildungsplätze auf 58.000 mehr als verdreifacht hat. Zu diesen Ergebnissen kommt der diesjährige Ländermonitor berufliche Bildung der Abteilung Wirtschaftspädagogik der Universität Göttingen und des Soziologischen Forschungsinstituts in Göttingen, der durch die Bertelsmann Stiftung gefördert wurde.
Die Gründe für diese Passungsprobleme sind vielfältig: Für knapp die Hälfte (44 Prozent) der unbesetzten Stellen gibt es zwar interessierte Jugendliche, es kommt aber trotzdem nicht zum Abschluss von Ausbildungsverträgen, weil der Betrieb die Bewerber nicht für geeignet hält oder die Jugendlichen den Betrieb nicht für attraktiv genug halten. So kann in Berlin jeder achte Ausbildungsplatz in den Verkaufsberufen trotz ausreichender Bewerberzahlen nicht besetzt werden. Bei einem Drittel der unbesetzten Stellen liegt das Problem darin, dass es keine Bewerber für den angebotenen Ausbildungsberuf gibt. Dies betrifft besonders Branchen wie das Lebensmittelhandwerk oder das Hotel- und Gastronomiegewerbe. Bei knapp einem Viertel (23 Prozent) der unbesetzten Stellen liegt das Problem in fehlender Mobilität, weil sich Ausbildungsbetriebe und Bewerber in unterschiedlichen Regionen des jeweiligen Bundeslandes befinden. Dies betrifft in besonderem Maße Bayern und Sachsen.
Jörg Dräger, Vorstand der Bertelsmann Stiftung, sieht mit Blick auf das deutsche Ausbildungssystem Licht und Schatten: »Das deutsche Ausbildungssystem ist ein Zugpferd für die wirtschaftliche Entwicklung. Erfreulicherweise werden wieder mehr Ausbildungsplätze angeboten, doch zu viele davon bleiben unbesetzt«. Es sei deshalb wichtig, dafür zu sorgen, dass Betriebe und Jugendliche besser zusammenfinden. Dafür fordert er Lösungen, die den unterschiedlichen regionalen Problemlagen gerecht würden: »Gerade kleine Betriebe brauchen Unterstützung dabei, ihre Stellen zu besetzen«. Zudem gelte es, in aus Sicht der Jugendlichen unbeliebteren Branchen die Rahmenbedingungen zu verbessern. Hilfreich wäre auch, die Kontakte zwischen Schulen und Betrieben zu intensivieren und so den Übergang zu erleichtern. Mit diesen Maßnahmen könne gleichzeitig die hohe Zahl an Ausbildungsabbrüchen verringert werden.
Ausbildungschancen regional sehr unterschiedlich
Insgesamt hat sich die Situation auf dem Ausbildungsmarkt für junge Menschen verbessert. Kamen 2009 im bundesweiten Durchschnitt auf 100 Ausbildungssuchende knapp 89 Stellen, so sind es heute annähernd 97. Die bundesweite Betrachtung verdeckt allerdings große regionale Unterschiede: Regionen mit einem Überhang an Ausbildungsstellen finden sich überwiegend im Süden und – vor allem aufgrund des Geburtenrückgangs in den 90er Jahren – im Osten Deutschlands. So kommen beispielsweise im bayrischen Passau auf 100 Bewerber rein rechnerisch 129 offene Stellen, im thüringischen Altenburg-Gera 112. Dort besteht zwischen den Unternehmen eine hohe Konkurrenz um potenzielle Auszubildende. Mehr Ausbildungsnachfrager als offene Stellen gibt es hingegen im Westen und Nordwesten der Republik. So stehen in Hagen in Nordrhein-Westfalen 100 Bewerbern gerade einmal 80 Ausbildungsplätze zur Verfügung.
Schwierige Startbedingungen für Hauptschüler und ausländische Jugendliche
In Regionen mit einem Mangel an Ausbildungsplätzen sinken vor allem die Chancen der Jugendlichen mit Hauptschulabschluss, einen Ausbildungsplatz zu finden. Insgesamt begannen 2017 lediglich 37 Prozent von ihnen direkt nach Verlassen der Schule eine duale und weitere 10 Prozent eine schulische Ausbildung. Mehr als die Hälfte (53 Prozent) begannen stattdessen lediglich eine Maßnahme des Übergangssektors. Schlechte Chancen bei der Ausbildungsplatzsuche haben auch Bewerber mit ausländischer Staatsbürgerschaft. Nur 44 Prozent von ihnen konnten direkt eine Ausbildung aufnehmen, gegenüber 77 Prozent der deutschen Jugendlichen.
Fachkräftebedarf decken
Gerade vor dem Hintergrund des drohenden Fachkräftemangels sei dies alarmierend, so Dräger: »Wir müssen die Integrationskraft des Ausbildungssystems stärken. Jeder junge ausbildungsinteressierte Mensch muss unabhängig von Herkunft und Schulabschluss die Chance auf einen Ausbildungsplatz bekommen«. Dräger schlägt vor, Maßnahmen des Übergangssystems in Richtung öffentlich finanzierter, an den Fachkräftebedarfen in der Region orientierten Ausbildungsalternativen weiterzuentwickeln. Im Sinne einer Ausbildungsgarantie sollen diese Ausbildungsplätze dann vorgehalten werden, wenn Bewerber leer ausgehen. Dabei helfe ein Übergang in reguläre betriebliche Ausbildung nach dem ersten Jahr sowohl den Jugendlichen als auch den Betrieben, die auf diese Weise bereits vorqualifizierte Jugendliche in die Ausbildung integrieren können.
Hintergrund
Das Forschungsprojekt »Ländermonitor berufliche Bildung 2019« der Abteilung für Wirtschaftspädagogik und Personalentwicklung der Universität Göttingen (Lehrstuhl Prof. Dr. Susan Seeber) und des Soziologischen Forschungsinstituts in Göttingen (SOFI, Dr. Volker Baethge-Kinsky) wird von der Bertelsmann Stiftung gefördert. Es untersucht die Situation der beruflichen Bildung in den 16 Bundesländern vergleichend und im Zeitverlauf. Als Schwerpunktthema werden in dieser Ausgabe erstmals auf Ebene der Bundesländer die sogenannten Passungsprobleme analysiert, also das gleichzeitige Auftreten von unbesetzten Stellen und unversorgten Bewerbern. Für das Projekt wurden Daten des Bundesinstituts für Berufsbildung, der Bundesagentur für Arbeit, der statistischen Ämter des Bundes und der Länder sowie Dokumente zur Berufsbildungspolitik aus den Bundesländern ausgewertet.
VERWEISE