Fachkräftemangel in Deutschland steigt trotz Lockdown zu Jahresbeginn
Seit dem Jahr 2009 hat der Fachkräftemangel in Deutschland erheblich zugenommen. Im 1. Quartal 2020, dem letzten Quartal vor der Corona-Krise, beeinträchtigte er die Geschäftstätigkeit von 29,1 % der Unternehmen hierzulande. Im vergangenen Jahr traten pandemiebedingt die Fachkräfteprobleme der Wirtschaft in den Hintergrund, doch der dämpfende Effekt dürfte nur kurz anhalten.
Zwar lässt der aktuelle Lockdown die Fachkräftenachfrage in den direkt betroffenen Branchen wie Gastronomie oder Einzelhandel nach wie vor einbrechen - gesamtwirtschaftlich hingegen nimmt der Fachkräftemangel bereits wieder zu: Im laufenden 1. Quartal 2021 klagt ein Fünftel (20,6 %) der Unternehmen in Deutschland über eine Behinderung der Geschäftstätigkeit aufgrund von fehlendem Fachpersonal. Der Anteil der durch Fachkräftemangel betroffenen Firmen hierzulande ist damit gegenüber dem 3. Quartal 2020 um 5,6 % angestiegen, wie eine im Januar durchgeführte repräsentative Unternehmensbefragung für das neu konzipierte KfW-ifo-Fachkräftebarometer zeigt.
Der neue Indikator von KfW Research beleuchtet neben der gesamtwirtschaftlichen auch die unterschiedliche Betroffenheit der verschiedenen Wirtschaftsbereiche. Im Dienstleistungssektor wirkt sich der Fachkräftemangel mit 25,2 % betroffenen Unternehmen zurzeit am deutlichsten aus. Die stärksten Engpässe melden - abgesehen von der heterogenen Zeitarbeitsbranche - die Wirtschaftszweige Landverkehr, Architektur und Ingenieurbüros, Rechts- und Steuerberatung sowie Dienstleistungen der Informationstechnik (zwischen 30 und 44 %). Im Bauhauptgewerbe sehen 18,2´% der Firmen ihre Geschäftstätigkeit durch Fachkräftemangel behindert. Das Verarbeitenden Gewerbe (14,9 %) hingegen hatten deutlich geringere Probleme: In der Chemischen Industrie, dem Automobilbau, und dem Maschinenbau gaben jeweils unter 12 % der Unternehmen an, von Fachkräfteengpässen betroffen zu sein. Unternehmen der pharmazeutischen Industrie sahen sich so gut wie gar nicht beeinträchtigt.
Ein Blick auf die Größenklassen zeigt, dass mittelständische Unternehmen häufiger mit Fachkräftemangel zu kämpfen haben als große Firmen. Im 1. Quartal 2021 meldeten 20,9 % der Mittelständler Behinderungen der Geschäftstätigkeit durch fehlendes Fachpersonal. Bei den großen Unternehmen waren es 19,9 %. Vor allem im Verarbeitenden Gewerbe werden kleine und mittlere Unternehmen (19,8 %) deutlich häufiger als große (7,7 %) von Fachkräftemangel beeinträchtigt.
Neben Größenklassen- und Branchenunterschieden gibt es auch regionale Disparitäten: Ostdeutschland ist stärker von Engpässen betroffen als Westdeutschland. Dies ist hauptsächlich auf die hohe Abwanderung von Erwerbspersonen seit 1990 zurückzuführen. Zudem ist es für strukturschwache, kleinstädtisch oder ländlich geprägte Regionen schwerer, Fachkräfte aus anderen Regionen Deutschlands und dem Ausland zu gewinnen. Im laufenden Quartal meldeten 27,7 % der Unternehmen in Ostdeutschland (inkl. Berlin) Behinderungen durch Fachkräftemangel. Hessen folgt mit 24,2 %, am geringsten war die Beeinträchtigung in Bayern (16,3 %).
»Die Corona-Krise hat den Fachkräftebedarf nur vorübergehend verringert, mit der wirtschaftlichen Erholung seit dem Sommer haben die Engpässe bereits wieder spürbar zugenommen«, so Dr. Fritzi Köhler-Geib, Chefvolkswirtin der KfW. »Der Fachkräftemangel zeigt sich derzeit besonders im Dienstleistungssektor, etwa bei Architekten und Ingenieurbüros, Rechts- und Steuerberatern und Dienstleistungen der Informationstechnologie sehr deutlich. Viele Unternehmen suchen händeringend IT-Experten, um die Digitalisierung voranzubringen. Und in den Kommunen fehlt es an Personal in der Verwaltung, was vielerorts die Daseinsvorsorge gefährdet.« Es sei zu erwarten, dass der Anteil der Unternehmen, deren Geschäftstätigkeit durch Fachkräftemangel behindert wird, schnell weiter steige und Ende des Jahres wieder das Vorkrisenniveau erreichte.
»Wenn in den nächsten Jahren die Babyboomer-Jahrgänge 1955 bis 1969 nach und nach in den Ruhestand gehen, wird sich das Problem noch verstärken. Ohne ausreichendes Gegensteuern kann das zu einer dauerhaften Wachstumsschwäche führen, die das Abtragen der Folgelasten der Corona-Krise sowie Investitionen in die Digitalisierung und den klimaneutralen Umbau der Wirtschaft erheblich erschweren würde, was wiederum einen Verlust an Wettbewerbsfähigkeit und erhebliche Wohlstandseinbußen zur Folge hätte«, so Köhler-Geib. Um dies zu verhindern, seien sowohl der Staat als auch die Unternehmen gefordert. Neben einer Erhöhung des Fachkräfteangebot etwa durch mehr Erwerbsbeteiligung von Frauen und älteren Erwerbspersonen oder durch Zuwanderung von Fachkräften aus dem Ausland, spiele auch die Weiterqualifizierung von Arbeitskräften eine Rolle. »Ein wirksamer Hebel ist auch die Steigerung der Arbeitsproduktivität. Wenn weniger Fachkräfte zur Verfügung stehen, müssen die vorhandenen produktiver werden. Dazu brauchen wir mehr Innovationen und Investitionen in digitale Technologien, die fehlende Arbeitskräfte ersetzen können. Die Produktivitätspotenziale der Digitalisierung sind in Deutschland bisher nur unzureichend gehoben worden. Hier kann und muss mehr passieren«, sagt die KfW-Chefvolkswirtin.
Das neue KfW-ifo-Fachkräftebarometer wird künftig zweimal jährlich veröffentlicht, jeweils im Frühsommer und im Herbst.
Hintergrund
Für das KfW-ifo-Fachkräftebarometer wertet KfW Research die ifo Konjunkturumfragen aus, aus denen unter anderem auch der bekannte ifo-Geschäftsklimaindex berechnet wird. Im Fachkräftebarometer wird über den Anteil der Unternehmen in Deutschland berichtet, die angeben, dass ihre Geschäftstätigkeit derzeit durch Fachkräftemangel behindert wird. Hierzu werden einmal pro Quartal rund 9.000 Unternehmen aus den Wirtschaftsbereichen Verarbeitendes Gewerbe, Bauhauptgewerbe, Handel sowie Dienstleistungen (ohne Kreditgewerbe, Versicherungen und Staat) befragt, darunter rund 7.500 Mittelständler. Neben einem Gesamtindikator zum Fachkräftemangel in der deutschen Wirtschaft sowie Indikatoren für verschiedene Sektoren und Regionen, können die Daten auch unternehmensgrößenbezogen nach Mittelständlern und Großunternehmen getrennt ausgewertet werden. Dabei zählen grundsätzlich diejenigen Unternehmen zu den Mittelständlern, die nicht mehr als 500 Beschäftigte haben und maximal 50 Mio. EUR Jahresumsatz erzielen. Zur Erhöhung der analytischen Trennschärfe müssen diese quantitativen Abgrenzungen allerdings beim Einzelhandel (maximal 12,5 Mio. EUR Jahresumsatz), beim Bauhauptgewerbe (bis zu 200 Beschäftigte) und bei den Dienstleistungen (maximal 25 Mio. EUR Jahresumsatz) enger gezogen werden. Alle Unternehmen, die mindestens einen dieser Grenzwerte überschreiten, werden als Großunternehmen klassifiziert.
VERWEISE