Studium läuft Ausbildung den Rang ab

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Bertelsmann StiftungDie duale Berufsausbildung bangt um Nachwuchs. Nicht aufzuhalten scheint der Ansturm auf die Hochschulen. Die geburtenschwachen Jahrgänge lassen die Zahl der Auszubildenden zusätzlich sinken. Mit wie vielen Azubis können die Betriebe 2030 noch rechnen? Eine Studie hat dazu verschiedene Szenarien berechnet.

Wenn sich der Trend zum Studium aus den vergangenen zehn Jahren ungebrochen fortsetzt, werden 2030 nur noch etwas mehr als 400.000 junge Menschen eine betriebliche Ausbildung beginnen. Das sind rund 80.000 weniger als heute, was einen Rückgang um 17 Prozent bedeutet. Dies geht aus einer Studie der Prognos AG im Auftrag der Bertelsmann Stiftung hervor. Trotz des demographischen Wandels und der deshalb sinkenden Zahl an Schulabgängern werden die Hochschulen hingegen kaum Studienanfänger einbüßen.

Vor zwei Jahren verzeichnete Deutschland eine Zäsur in der nachschulischen Bildung. 2013 begannen erstmals mehr junge Menschen ein Studium als eine Berufsausbildung. Nur acht Jahre zuvor hatten rund 350.000 Studienanfängern noch 520.000 Azubis gegenübergestanden. Diese Entwicklung scheint vorerst unumkehrbar: Die Studie berechnet neben einer Fortschreibung der bisherigen Trends einen realistischen Korridor, in dem sich Studierneigung und Anziehungskraft von betrieblicher Ausbildung in den kommenden 15 Jahren entwickeln könnten. Allen Szenarien ist gemeinsam: Die Schere zwischen Studien- und Ausbildungsanfängern wird bis 2030 noch weiter auseinandergehen.

Fachkräfte: Wenig Nachwuchs, viele gehen in Rente

Die geburtenschwachen Jahrgänge stellen die duale Ausbildung in den Betrieben vor sehr viel größere Herausforderungen als die Hochschulen. Bereits im vergangenen Jahr blieben knapp 40.000 Lehrstellen unbesetzt. Ein weiterer Rückgang der Azubi-Zahlen könnte in vielen Branchen einen Fachkräftemangel beschleunigen oder auslösen, weil sich zugleich geburtenstarke Jahrgänge in den Ruhestand verabschieden. Schätzungen zufolge werden bis 2030 rund 10,5 Millionen Beschäftigte mit abgeschlossener Berufsausbildung oder Fachabschluss (Meister/Techniker) aus dem Erwerbsleben ausscheiden.

Währenddessen bleibt der Run auf die Hochschulen ungebrochen. Bleibt die Studierneigung weiter so hoch wie in den vergangenen zehn Jahren, sinken die Erstsemesterzahlen bis 2030 gegenüber heute um lediglich knapp fünf Prozent. Der Anteil der Abiturienten, die ein Studium aufnehmen, steigt zwar nicht mehr nennenswert. Allerdings erwerben immer mehr Schüler einen Abschluss, der zur Aufnahme eines Studiums berechtigt. Hinzu kommt, dass die deutschen Hochschulen immer attraktiver werden für ausländische Studierende. Zuwanderung in die betriebliche Ausbildung hingegen findet bislang kaum statt.

Studiengänge mit Praxisbezug immer beliebter

Den stärksten Zulauf verzeichnen voraussichtlich diejenigen Studiengänge, die stark an der Praxis orientiert sind. Seit 1995 stieg der Anteil der Fachhochschüler an allen Studienanfängern von 26 auf 39 Prozent. Bis zum Jahr 2030 rechnet die Studie mit einem Anstieg auf mehr als 43 Prozent. Auch Angebot und Nachfrage nach dualen Studiengängen wachsen. Rund 21.000 junge Menschen nahmen 2013 ein Studium auf, das einen Bachelor-Abschluss mit einer Berufsausbildung oder längeren Praxisphasen in Unternehmen verbindet. Bis 2030 wird sich diese Zahl nach den Berechnungen der Studie auf 38.000 Studienanfänger pro Jahr erhöhen.

»Der Trend zur Akademisierung ist nicht zu stoppen. Der gesamte nachschulische Bildungsbereich muss sich verändern und anpassen«, sagte Jörg Dräger, Vorstand der Bertelsmann Stiftung. Die traditionell strikte Trennung zwischen akademischer und betrieblicher Ausbildung gelte es zu überwinden, zumal der Arbeitsmarkt diese klare Abgrenzung längst aufweiche. Schon heute konkurrieren Bachelor-Absolventen mit beruflich Qualifizierten um dieselben Jobs.

Dräger spricht sich deshalb für stärkere Verzahnung und Durchlässigkeit der Bildungswege aus: »Wir sollten Berufsausbildung und Studium nicht gegeneinander ausspielen, sondern stärker miteinander verknüpfen«. Geschehen könne dies durch wechselseitige Anerkennung von Leistungen, mehr Hochschulangebote für beruflich Qualifizierte, mehr praxisorientierte Studiengänge und neue Modelle. Die Bertelsmann Stiftung empfiehlt etwa die Einführung einer zweijährigen Kombination aus Studium und Ausbildung, an deren Ende drei Optionen offenstehen: Fortführung der Berufsausbildung, des Studiums oder Aufnahme eines dualen Studiums.

Das allein aber wird nicht ausreichen, um die aus dem Erwerbsleben ausscheidenden Fachkräfte zu ersetzen. »Die betriebliche Ausbildung muss für neue Zielgruppen möglich und attraktiv werden«, sagt deshalb Jörg Dräger. Die Studie regt an, Zuwanderern, Flüchtlingen und bislang als nicht ausbildungsreif geltenden Schulabgängern den Zugang zur betrieblichen Ausbildung zu erleichtern. Eine weitere große Gruppe möglicher Azubis sind Studienabbrecher. 28 Prozent der Studierenden brechen ihr Studium ab, von denen jedoch nicht einmal jeder Vierte eine Ausbildung beginnt.

Hintergrund
Die Studie stützt sich auf Angaben des statistischen Bundesamtes und der Kultusministerkonferenz zu demographischer Entwicklung, Schulabgängern, Übergangsquoten an die Hochschulen sowie Ausbildungs- und Studienanfängern. Daraus hat die Prognos AG die Anfängerzahlen in den einzelnen nachschulischen Bildungsbereichen bis 2030 mittels einer Trendfortschreibung berechnet. Diese Trendfortschreibung wird um zwei Szenarien ergänzt, die alternative Entwicklungen aufzeigen. Das erste Szenario geht von höheren Anfängerzahlen im Studium aus. Zu den Annahmen dieses Szenarios gehört, dass der Anteil der Schulabgänger mit einer Studienberechtigung leicht höher liegt als in den Prognosen der Kultusministerkonferenz. Das zweite Szenario geht von einem geringeren Rückgang der Anfängerzahlen in der beruflichen Bildung aus, weil etwa mehr Jugendliche aus dem Übergangsbereich in Ausbildung gebracht werden.

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