Generative KI kann akuten Bedarf bei hochqualifizierten Jobs lindern
Generative Künstliche Intelligenz (GenAI) könnte dazu beitragen, den Fachkräftemangel in Deutschland zu reduzieren
Seit 2004 hat sich die Anzahl der offenen Positionen in Deutschlands Organisationen im Jahresdurchschnitt vervierfacht. Die frühzeitige Einführung von GenAI als Variante von Künstlicher Intelligenz (KI) kann diesem Trend entgegenwirken und Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit erhöhen.
Wie eine McKinsey-Studie ergeben hat, sind die möglichen volkswirtschaftlichen Effekte beachtlich: Bis 2040 könnte eine frühzeitige Einführung und Nutzung von GenAI Deutschlands Bruttoinlandsprodukt (BIP) um bis zu EUR 585 Milliarden (13%) steigern. Gleichzeitig hat das zusätzliche Automatisierungs- und Innovationspotenzial von GenAI einen positiven Einfluss auf die Produktivität, die dadurch bis 2040 insgesamt um 18% schneller wächst als ohne GenAI und damit die Wettbewerbsposition Deutschlands erheblich verbessern kann.
»Die Technologie hat das Potenzial, Arbeitsschritte zu teilautomatisieren, Menschen von Routinearbeiten zu entlasten und so neue Freiräume für kreative Arbeit und Innovation zu schaffen. Damit könnte auch das insgesamt verlangsamte Produktivitätswachstum der vergangenen Jahrzehnte ausgeglichen werden«, sagt Holger Hürtgen von McKinsey.
Produktivitätspotenziale steigen mit dem Bildungsgrad
Die Entscheidungsfindung und Zusammenarbeit im Unternehmen ist der Tätigkeitsbereich, der am meisten von GenAI profitieren kann. Beispielsweise kann GenAI die Anwendung von Fachwissen bei der Entscheidungsfindung in einem Unternehmen um 55% effektiver gestalten. Dieser Wert liegt deutlich über dem Potenzial von Analytical AI (19. Auch die Datenverarbeitung kann durch GenAI enorm optimiert werden (plus 92 %).
GenAI ist besonders vielversprechend für Tätigkeiten, die ein hohes Bildungsniveau erfordern. Diese Tätigkeiten sind komplex und profitieren daher stark von Optimierung und Automatisierung. So könnten beispielsweise Tätigkeiten im Bereich Recht, Weiterbildung oder MINT (etwa Software-Architekten) von GenAI profitieren. Körperlich geprägte Arbeiten wie im Bau- oder Landwirtschaftssektor werden hingegen kaum von GenAI beeinflusst. Daher ist GenAI nicht geeignet, den Fachkräftemangel entlang des gesamten Spektrums des Arbeitsmarktes zu mindern.
Weiterbildung bestehender Mitarbeiter*innen essenzielles Mittel gegen Fachkräftemangel
»GenAI kann Unternehmen dabei helfen, Tech-Talente zu gewinnen, enger an sich zu binden und zu entwickeln. So könnten Anwendungen etwa neue Mitarbeiter*innen mit Mentor*innen und Coaches zusammenzubringen, das Onboarding-Erlebnis verbessern, maßgeschneidert Talente weiterbilden oder Verwaltungsaufgaben optimieren. Wichtig ist es, dass Führungskräfte ein überzeugendes Bild davon zeichnen, wie verschiedene Aspekte der Organisation durch GenAI neu vernetzt werden – technisch, finanziell oder kulturell«, sagt Anna Wiesinger, Expertin für Tech-Talente und Partnerin im Düsseldorfer McKinsey-Büro.
Um die vorhandenen Fähigkeiten und Kompetenzen der Mitarbeiter*innen weiterzuentwickeln, können Unternehmen an drei Ebenen ansetzen:
- Upskilling/Umschulung
Um notwendige GenAI-Kernkompetenzen aufzubauen und zu fördern, müssen Anforderungen festgelegt, die Zielgruppen mit Weiterbildungsbedarf ermittelt und ein Bootcamp-Ansatz für die GenAI-Schulung etabliert werden. - Coachings und Trainings
Umsetzung von Verbesserungen für das Schulungs- und Trainingsprogramm auf der Grundlage erster Erkenntnisse. - Etablierung einer Lernkultur
Um eine Lernkultur zu fördern, bedarf es der aktiven Einbindung des oberen Managements, der Definition der erforderlichen Verhaltens- und Denkweisenänderungen und der Gestaltung von Kompetenzaufbauinitiativen, die sich auf Feedback und Coaching konzentrieren.
Deutschland bietet gute Voraussetzungen, um erfolgreicher GenAI-Player zu werden
Deutschland verfügt über ein solides Fundament, um eine KI-Führungsrolle in Europa oder sogar weltweit einzunehmen. »Europa braucht lokale Zugpferde in einem pan-europäischen Netzwerk, um die transformative Kraft von GenAI gemeinsam zu prägen und nicht den Anschluss an die USA und China zu verlieren«, sagt Gérard Richter, Leiter von McKinsey Digital in Deutschland und Europa. Im europaweiten Vergleich liegt Deutschland bei der der Anzahl gegründeter privater KI Start-ups (>500) auf Platz zwei hinter dem Vereinigten Königreich und knapp vor Frankreich.
Auch im Hinblick auf die vom Staat für die KI-Forschung zur Verfügung gestellten Geldmittel befindet sich Deutschland im europäischen Vergleich im oberen Drittel. Ein Zeichen für die Innovationskraft eines Landes ist stets auch die Anzahl wissenschaftlicher Veröffentlichungen. Hier liegt Deutschland gleichauf mit Japan (Rang 3), aber hinter USA (Rang 1) und China (Rang 2).
Die Berührungspunkte mit künstlicher Intelligenz haben spätestens seit dem GenAI-Hype auch die Bürger*innen erreicht. Und diese scheinen auf die großen bevorstehenden Umbrüche im Arbeitsmarkt zu reagieren und bauen gezielt GenAI-Kompetenzen auf.
Das zeigt eine Analyse von Nutzer*innenprofilen auf LinkedIn. Hier geben Beschäftigte aus Deutschland 1,7-mal häufiger an, mit KI-Tools und Anwendungen umgehen zu können als der OECD-Durchschnitt. Damit liegt Deutschland weltweit auf Platz 2, hinter den USA, aber vor Israel, dem Vereinigten Königreich und Frankreich.
»Die Voraussetzungen sind da. Deutschland benötigt aber einen wirksamen Schulterschluss von Wirtschaft, Forschung und Politik, wenn wir führende GenAI-Player hervorbringen wollen, statt bloß passiv die Lösungen anderer zu nutzen. Nur mit einer engen Zusammenarbeit von Unternehmen, Universitäten, Investoren und Politik können optimale Rahmenbedingungen und wirksame Investitionsanreize geschaffen werden, damit auch in Deutschland GenAI-Champions entstehen«, sagt Richter.
Hintergrund
Für die Studie wurden sowohl 850 Berufe (Verkäufer, Lehrer, Krankenpfleger etc.) sowie 2.100 konkrete Tätigkeiten innerhalb dieser Berufe (Begrüßung von Kunden, Reinigungstätigkeiten, Zahlungen etc.) für Deutschland analysiert, um das Automatisierungspotenzial von GenAI im Vergleich zu herkömmlicher Analytischer KI (Analytical AI) zu bewerten. Insgesamt wurden dabei 18 verschiedene Anforderungen an eine Fachkraft identifiziert, darunter Faktoren wie Körperkraft, Wahrnehmung, Kreativität und soziale Kompetenzen.