Elternzeit: Wunsch und Realität klaffen auseinander

Gleichberechtigte Elternzeit bleibt Wunschdenken
Eine aktuelle Studie der Bertelsmann Stiftung zeigt, dass Frauen und Männer in Deutschland eine gleichmäßige Aufteilung der Elternzeit bevorzugen. Doch die Praxis bleibt weiterhin stark traditionell geprägt. Während Frauen durchschnittlich 11,6 Monate Elterngeld beziehen, sind es bei Männern lediglich 2,8 Monate.
Dies steht im deutlichen Kontrast zu den Ergebnissen der Befragung, in der 44 Prozent der Teilnehmenden ein egalitäres Modell mit jeweils sieben Monaten Elternzeit für beide Partner favorisierten.
Väter nehmen selten mehr als zwei Monate Elternzeit
Trotz eines Anstiegs der Väter, die Elterngeld beziehen – inzwischen sind es 46 Prozent, doppelt so viele wie vor 15 Jahren – nutzen drei Viertel von ihnen nur die gesetzlich vorgesehenen zwei Partnermonate.
Diese geringe Beteiligung der Männer an der Elternzeit hat laut einer Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung keine positiven Auswirkungen auf die berufliche Wiedereingliederung von Frauen. Im Gegenteil: Frauen unterbrechen ihre Erwerbstätigkeit im Schnitt länger, was zu Karrierebrüchen, Einkommensverlusten und späteren Renteneinbußen führt.
Forderungen nach Reformen
Die Autor*innen der Bertelsmann Stiftung plädieren für eine Reform des Elterngeldes. Konkret schlagen sie vor, die Partnermonate von zwei auf mindestens vier zu erhöhen und die Lohnersatzrate von derzeit 65 bis 67 Prozent auf 80 Prozent anzuheben. Diese Maßnahmen sollen nicht nur den finanziellen Druck auf Familien verringern, sondern auch Väter stärker zur Übernahme von Sorgearbeit motivieren.
Eine gerechtere Verteilung der Elternzeit würde zudem den Fachkräftemangel lindern und das Wirtschaftswachstum fördern. Nach vorsichtigen Schätzungen könnten durch eine Reform bis zu 200.000 Vollzeitstellen entstehen und das Bruttoinlandsprodukt um 16,5 Milliarden Euro steigen.
Regionale Unterschiede und kulturelle Prägung
Die Studie zeigt auch regionale Unterschiede in den Präferenzen für eine gleichmäßige Aufteilung der Elternzeit. Besonders ostdeutsche Frauen sprechen sich mit 50 Prozent für das egalitäre Modell aus – deutlich mehr als westdeutsche Frauen (44 Prozent) oder Männer (43 Prozent). Ostdeutsche Männer zeigen mit nur 40 Prozent die geringste Zustimmung zu einer fairen Verteilung.
Bürokratieabbau und flexible Lösungen gefordert
Neben einer Reform des Elterngeldes wünschen sich Eltern weniger bürokratische Hürden bei der Antragstellung sowie flexible Arbeitszeiten und kostenlose Kinderbetreuung. Diese Maßnahmen würden die Vereinbarkeit von Familie und Beruf erheblich erleichtern. Laut Michaela Hermann, Arbeitsmarktexpertin der Bertelsmann Stiftung, sei es entscheidend, dass Sorgearbeit nicht zu Lasten der beruflichen Entwicklung gehe.
Hintergrund
Die Studie ist der dritte Teil einer Veröffentlichungsreihe des Projekts »Spannungsfeld Vereinbarkeit: Onlinebefragung zur Aufteilung von Erwerbs- und Sorgearbeit im Paarkontext«, das das Institut Arbeit und Qualifikation der Universität Duisburg-Essen (IAQ) im Auftrag der Bertelsmann Stiftung durchgeführt hat. Die Datengrundlage bildet eine Onlinebefragung von 2.523 Frauen und Männern im erwerbsfähigen Alter (18-65 Jahre). Die Befragung wurde zwischen dem 19.12.2023 und dem 19.1.2024 vom Umfragezentrum Bonn und einem Online-Access-Panel mit Incentivierung von bilendi durchgeführt. Sie wurde im Rahmen der ESOMAR-Richtlinie durchgeführt, das für die Erhebung genutzte Panel ist nach ISO 20252:2019 zertifiziert.
Die Autoren beziehen sich außerdem auf eine Studie des Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB), die die Erwerbsunterbrechungen von Müttern in Abhängigkeit der Elternzeit ihrer Partner untersuchte: Frodermann et al (2023): Elternzeiten von verheirateten Paaren: Mütter kehren meist schneller auf den Arbeitsmarkt zurück, wenn ihre Partner Elternzeit nehmen. IAB-Kurzbericht 1/2023, Nürnberg
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