Studie zu früherer Fluchtzuwanderung zeigt Ansatzpunkte für Integration aktuell Geflüchteter
Wie kann die Integration der vor allem in den Jahren 2014 und 2015 zahlreich nach Deutschland geflüchteten Menschen gelingen? Eine Gruppe von Sozial- und WirtschaftswissenschaftlerInnen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) und der Humboldt-Universität zu Berlin haben einen Blick in die jüngere Vergangenheit geworfen, um zur Beantwortung dieser Frage beitragen zu können.
Ihre zentrale Erkenntnis: Nach anfänglichen Startschwierigkeiten konnten Geflüchtete, die in den Jahren 1990 bis 2010 nach Deutschland kamen, bei ihren Sprachkenntnissen und auf dem Arbeitsmarkt gegenüber anderen MigrantInnen aufholen.
Viele junge Geflüchtete investieren in Bildung in Deutschland
Geflüchtete brachten zwar im Durchschnitt geringere formale Qualifikationen aus ihrem Herkunftsland mit als andere MigrantInnen, sprachen bei ihrer Ankunft schlechter Deutsch, nahmen später ihren ersten Job auf und brachten ihre unter drei Jahre alten Kinder seltener in eine Kita. Allerdings konnten sie ihre Sprachkenntnisse schneller verbessern und erreichten beim Besuch von Schulen in Deutschland häufiger hohe Abschlüsse als andere MigrantInnen. Außerdem nahmen Kinder von Geflüchteten häufiger an Schul-AGs teil. »Eine Hürde ist zu Beginn, dass ankommende Flüchtlinge kaum Deutsch sprechen. Im Gegensatz zu ArbeitsmigrantInnen können sie sich aber auch kaum auf ihr Zielland vorbereiten«, sagt Martin Kroh, stellvertretender Leiter der Langzeitstudie Sozio-oekonomisches Panel (SOEP) am DIW Berlin.
Zusammen mit acht KollegInnen hat Kroh Daten der gemeinsamen Migrationsbefragung des SOEP und des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) ausgewertet. Aus der Analyse der vor allem in den Jahren 1990 bis 2010 nach Deutschland geflüchteten Menschen leiten die ForscherInnen Erkenntnisse darüber ab, wie die Integration der jüngst eingereisten Geflüchteten gelingen kann. Da es heute weitaus mehr Integrationsmaßnahmen gebe als in der Vergangenheit, könne man durchaus optimistisch sein: »Die Vielzahl der Maßnahmen und auch gesellschaftlichen Initiativen lässt auf eine schnellere Integration der jüngst Geflüchteten hoffen«, so Kroh.
Geflüchtete hatten geringere formale Qualifikationen als andere MigrantInnen
Geflüchtete brachten im Vergleich zu anderen MigrantInnen in der Vergangenheit geringere Qualifikationen aus dem Ausland mit und hatten insgesamt niedrigere formale Qualifikationen als andere MigrantInnen in Deutschland. So verließen 20 Prozent der 1990 bis 2010 gekommenen Geflüchteten die Schule in ihrem Herkunftsland ohne Abschluss, in anderen Zuwanderergruppen waren es zehn Prozent.
Allerdings erreichten Geflüchtete – sofern sie in Deutschland eine allgemeinbildende Schule besuchten – hierzulande höhere Schulabschlüsse als andere MigrantInnen. Auch der Anteil derjenigen mit Berufserfahrung war kaum niedriger als in den anderen Zuwanderergruppen und die durchschnittliche Erwerbsdauer zum Zeitpunkt des Zuzugs sogar etwas höher.
Die jüngsten Bestrebungen, im Ausland informell erworbene Qualifikationen anzuerkennen, seien daher zu begrüßen, erklärt Zerrin Salikutluk, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Berliner Institut für empirische Integrations- und Migrationsforschung der Humboldt-Universität zu Berlin. »Zudem sollten Geflüchtete besser über Möglichkeiten informiert werden, ihre Abschlüsse und Erfahrungen aus dem Ausland in Deutschland anerkennen zu lassen«, so Salikutluk. »In der Vergangenheit tat dies nur ein Drittel«.
Geflüchtete nahmen später einen ersten Job in Deutschland auf als andere MigrantInnen
Neben entsprechenden Qualifikationen und Erfahrungen sind Kenntnisse der deutschen Sprache eine wichtige Voraussetzung für die Integration in den deutschen Arbeitsmarkt. Zwar brachten Geflüchtete kaum Deutschkenntnisse bei der Einreise mit, im Jahr 2013 hatten sie aber das Sprachniveau anderer MigrantInnen nahezu erreicht und konnten ihre Deutschkenntnisse somit in einem ähnlichen Zeitraum stärker verbessern.
Die zwischen 1990 und 2010 nach Deutschland Geflüchteten benötigten mehr Zeit als andere MigrantInnen, bis sie auf dem Arbeitsmarkt Fuß fassen konnten. Noch Jahre nach der Einwanderung waren diese Menschen häufiger erwerbslos und erzielten geringere Einkommen. Etwa zwei Drittel aller geflüchteten Männer, aber nur jede vierte Frau haben in den ersten fünf Jahren ihres Aufenthalts in Deutschland eine erste Stelle gefunden. Sie waren 2013 vor allem in kleinen Unternehmen, im verarbeitenden Gewerbe und in der Gastronomie tätig. »Unter anderem die Partizipation im deutschen Bildungssystem und ein häufiger Sprachgebrauch, insbesondere am Arbeitsplatz, stehen in einem positiven Zusammenhang mit dem Spracherwerb«, sagt Elisabeth Liebau, wissenschaftliche Mitarbeiterin beim SOEP. Insofern könnte eine frühzeitige Öffnung von Bildungs- und Arbeitsmarktangeboten die Sprachkenntnisse Geflüchteter zügig verbessern.
Auch soziale Kontakte spielten eine entscheidende Rolle für den Arbeitsmarkterfolg: Etwa die Hälfte der Geflüchteten fand ihren ersten Job in Deutschland in der Vergangenheit über FreundInnen, Bekannte oder Verwandte. In anderen Zuwanderergruppen war dies noch häufiger der Fall.
Kinder mit Fluchthintergrund nahmen freiwillige Angebote in der Schule häufiger wahr
Einige freiwillige Bildungs- und Freizeitangebote in der Schule, beispielsweise Sport-AGs, nahmen Kinder von Geflüchteten ähnlich stark oder sogar häufiger in Anspruch als andere Kinder. Allerdings beteiligten sie sich als GrundschülerInnen und auch später seltener an Aktivitäten außerhalb der Schule, beispielsweise in Sportvereinen. Unter drei Jahre alte Kinder waren zudem seltener in einer Kindertageseinrichtung und gingen seltener in eine Eltern-Kind-Gruppe. »Die frühe Bildung birgt ein besonders großes Potential, das für eine gelungene Integration noch stärker ausgeschöpft werden sollte«, empfiehlt C. Katharina Spieß, Leiterin der Abteilung Bildung und Familie am DIW Berlin. Denkbar wären unter anderem Ansätze wie eine interkulturellere Ausrichtung der Angebote und eine gezielte Rekrutierung von Ehrenamtlichen und MitarbeiterInnen mit Migrationshintergrund.
LINKS