Arbeitsmarktchancen von Geringqualifizierten
Mit Niedriglöhnen lassen sich die schlechten Chancen von gering Qualifizierten auf dem deutschen Arbeitsmarkt nicht verbessern. »Hier weitere Ausnahmen vom Mindestlohn zu erlauben, wäre eher kontraproduktiv. Sie würden die Preiskonkurrenz bei einfachen Tätigkeiten verschärfen, ohne nachhaltige Perspektiven zu bieten«.
Zu diesem Schluss kommen aktuelle Untersuchungen aus dem Institut Arbeit und Qualifikation (IAQ) der Universität Duisburg-Essen (UDE).
Wie Dr. Claudia Weinkopf und Dr. Thorsten Kalina im neu erschienenen IAQ-Report aufzeigen, gibt es bei den Tätigkeiten im Niedriglohnsektor sehr unterschiedliche Entwicklungen. Diese werden in der Diskussion um den Mindestlohn oft übersehen: Von den Beschäftigten, die unter 8,50 Euro pro Stunde verdienen, war nach Berechnungen des Statistischen Bundesamtes in den Jahren 2014 und 2015 deutlich weniger als jeder Dritte tatsächlich gering qualifiziert. Die große Mehrheit hatte eine Berufsausbildung abgeschlossen oder sogar einen akademischen Abschluss erworben.
Demgegenüber haben sich auch die Jobchancen von gering Qualifizierten keineswegs so ungünstig entwickelt, wie mitunter angenommen wird. Ihre Arbeitslosenquote ging seit 2009 leicht zurück, und in einigen Branchen und Tätigkeitsbereichen wurden gering Qualifizierte auch deutlich öfter eingestellt. Häufig werden sie allerdings von Bewerbern mit höherem Abschluss verdrängt. Knapp 55 Prozent der einfachen Tätigkeiten werden von berufsfachlich Qualifizierten, gut 38 Prozent von Personen ohne Abschluss und gut sieben Prozent sogar von Akademikern – mit steigender Tendenz – ausgeübt.
Zunehmend haben Unternehmen Probleme, offene Stellen zu besetzen. Sie sollten neue Wege gehen, um ihren Personalbedarf auch künftig decken zu können, raten die IAQ-Forscher: »Die Firmen, aber auch Arbeitsagenturen und Jobcenter müssen die abschlussbezogene Aus- und Weiterbildung ausweiten. Dabei sollten die Aufstiegschancen von Beschäftigten, die unterwertig eingesetzt sind, gezielt gefördert werden. So lassen sich bei den einfachen Tätigkeiten mehr Einstiegspositionen für gering Qualifizierte und Langzeitarbeitslose erschließen«.
Zusammenfassung in Kurzform:
- Die schlechten Chancen von gering Qualifizierten auf dem deutschen Arbeitsmarkt werden häufig angeführt, um Forderungen nach Ausnahmen vom gesetzlichen Mindestlohn zu rechtfertigen oder dessen Erhöhung ab Anfang 2017 auszusetzen. Alternativ oder ergänzend wird auch gefordert, die Ausnahmeregelung für Langzeitarbeitslose vom Mindestlohn von sechs Monaten auf zwölf Monate zu verlängern.
- Unberücksichtigt bleibt dabei, dass von den Beschäftigten mit Stundenlöhnen unter 8,50 € nach Berechnungen des Statistischen Bundesamtes in den Jahren 2014 und 2015 jeweils nur deutlich weniger als ein Drittel formal gering qualifiziert war. Die große Mehrheit der Beschäftigten mit Stundenlöhnen unterhalb des gesetzlichen Mindestlohns verfügte über eine abgeschlossene Berufsausbildung oder sogar einen akademischen Abschluss.
- Auch die Beschäftigungschancen von formal gering Qualifizierten haben sich keineswegs so ungünstig entwickelt, wie mitunter angenommen wird. Die Arbeitslosigkeit ist leicht rückläufig und es gab zuletzt durchaus Branchen und Tätigkeitsbereiche, in denen formal gering Qualifizierte teils deutliche Beschäftigungszuwächse zu verzeichnen hatten.
- Vor dem Hintergrund zunehmender Probleme bei der Besetzung offener Stellen müssen Unternehmen neue Wege gehen, um ihren Personalbedarf auch künftig decken zu können. Neben einer deutlichen Ausweitung von abschlussbezogenen Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen seitens der Unternehmen und der öffentlich geförderten Arbeitsmarktpolitik sollten besondere Anstrengungen darauf gerichtet werden, die Aufstiegsmobilität von unterwertig Beschäftigten gezielt zu fördern, um mehr Einstiegspositionen für gering Qualifizierte und Langzeitarbeitslose zu erschließen.
Bibliographie
Kalina, Thorsten / Weinkopf, Claudia
Arbeitsmarktchancen von gering Qualifizierten
Institut für Arbeit und Qualifikation, Duisburg 2016
IAQ-Report, Nr. 2016-03
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