Trotz des Gender Pay Gaps empfinden Frauen häufig ihren Verdienst als gerechter als Männer
Die Lohnlücke zwischen Männern und Frauen betrug bei Vollbeschäftigten zuletzt immer noch 16 Prozent. Doch obwohl die meisten Frauen im Durchschnitt weniger verdienen als Männer, bewerten sie häufig ihr eigenes Einkommen als gerechter als dies Männer tun. Ein wesentlicher Grund für diesen Befund liegt in einer immer noch weitgehend in typische Männer- und Frauenberufe unterteilten Arbeitswelt. Dies zeigt nun erstmals eine für Deutschland repräsentative Untersuchung auf Basis der Daten der Langzeitstudie Sozio-oekonomisches Panel (SOEP) am DIW Berlin.
»Frauen haben kein grundsätzlich anderes Gerechtigkeitsempfinden als Männer«, sagt der Soziologe Peter Valet, Autor der Studie. »Aber ein überwiegend frauendominiertes berufliches Umfeld führt offenbar dazu, dass sie die Gerechtigkeit ihrer Löhne nach anderen Vergleichsmaßstäben bewerten als Männer«. Die Studie wurde kürzlich in der Fachzeitschrift »Work and Occupations« veröffentlicht.
Das so genannte »Paradox of the contented female worker« ist unter SoziologInnen seit vielen Jahren bekannt. Den Grund dafür vermuteten viele WissenschaftlerInnen bisher darin, dass für Frauen die Höhe ihres Einkommens weniger wichtig ist als für Männer. Eine andere Annahme in der Soziologie besteht darin, dass Frauen ihren Verdienst vor allem mit dem von anderen Frauen vergleichen und ihre Einkommensnachteile gegenüber Männern daher gar nicht erkennen.
Um diese Annahme zu überprüfen, analysierte der Bielefelder Soziologe Peter Valet, wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Arbeitsgruppe des SOEP-Direktors Stefan Liebig, die Daten von 16837 erwerbstätigen Männern und Frauen, die zwischen 2009 und 2015 im Rahmen der Langzeitstudie SOEP immer wieder befragt wurden. Neben der Auskunft über ihr Erwerbseinkommen machten die Befragten auch alle zwei Jahre Angaben darüber, welche Einkommenshöhe sie als gerecht empfinden würden. Darüber hinaus berücksichtigte Valet, ob die Frauen in einem frauen- oder in einem männerdominierten Beruf arbeiteten.
Das Ergebnis der Analyse zeigt: Vier von fünf befragten Frauen empfanden ihren Verdienst als gerechter als das Männer in einer vergleichbaren beruflichen Position taten. Valet konnte jedoch zeigen, dass diese Frauen überwiegend in einem beruflichen Umfeld arbeiteten, in denen mehr als die Hälfte der KollegInnen ebenfalls Frauen waren. Wenn die Frauen hingegen in Berufen arbeiteten, in denen mindestens die Hälfte der Beschäftigten Männer waren, bewerteten sie ihre Einkommen als genauso gerecht oder ungerecht wie ihre männlichen Kollegen in einer vergleichbaren Position. Bei Frauen, die im Laufe ihres Berufslebens von einem frauen- in einen männerdominierten Beruf gewechselt hatten, zeigte sich der gleiche Effekt.
"Wenn Frauen in einem Beruf arbeiten, in dem mehr Frauen als Männer tätig sind, vergleichen sie ihr Erwerbseinkommen offenbar vor allem mit dem ihrer Kolleginnen«, erklärt Peter Valet diesen Zusammenhang. In männerdominierten Berufen hingegen würden sich die Frauen auch mit den besser verdienenden männlichen Kollegen vergleichen. »Erst wenn sie das tun, werden sich Frauen des Gender Pay Gap bewusst und empfinden ihren Verdienst als entsprechend ungerechter«, sagt Valet.
Überrascht hat den Soziologen, dass die Gerechtigkeitswahrnehmungen von Männern offenbar unabhängig davon sind, ob der Großteil der KollegInnen Männer oder Frauen sind. Wie die SOEP-Daten zeigen, orientieren sich Männer in frauendominierten Berufen daran, was Männer generell im Durchschnitt verdienen.
Insgesamt betrachtet zeigt die Studie: Eine noch immer weitgehend in frauen- und männerdominierte Berufe unterteilte Arbeitswelt führt dazu, dass Frauen ihre eigenen Einkommen – trotz des Gender Pay Gaps – für gerechter halten als Männer das tun. »Das kann dazu führen, dass sie bei Lohnverhandlungen weniger fordern als Männer und sich die Lohnlücke zwischen Frauen und Männern demzufolge weiter verfestigt«, sagt Peter Valet. Er empfiehlt daher, dass Arbeitgeber ihre Gehälter für alle Mitarbeitenden transparent machen sollten. So hätten alle MitarbeiterInnen dieselben Vergleichsmöglichkeiten – unabhängig davon in welchem Beruf sie arbeiten.
Hintergrund
Das Sozio-oekonomische Panel (SOEP) ist die größte und am längsten laufende multidisziplinäre Langzeitstudie in Deutschland. Das SOEP im DIW Berlin wird als Teil der Forschungsinfrastruktur in Deutschland unter dem Dach der Leibniz-Gemeinschaft vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und den Ländern gefördert. Für das SOEP werden seit 1984 jedes Jahr vom Umfrageinstitut Kantar Public (zuvor TNS Infratest Sozialforschung) in mehreren tausend Haushalten statistische Daten erhoben. Zurzeit sind es etwa 30.000 Personen in etwa 15.000 Haushalten. Die Daten des SOEP geben unter anderem Auskunft über Einkommen, Erwerbstätigkeit, Bildung, Gesundheit und Lebenszufriedenheit. Weil jedes Jahr dieselben Personen befragt werden, können nicht nur langfristige gesellschaftliche Trends, sondern auch die gruppenspezifische Entwicklung von Lebensläufen besonders gut analysiert werden.
Bibliographie
Valet, Peter (2018). Social Structure and the Paradox of the Contented Female Worker: How Occupational Gender Segregation Biases Justice Perceptions of Wages.
Work and Occupations (online first).
LINKS
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