Ab durch die gläserne Decke: Gender-neutral arbeiten
Dann ist auf einmal Schluss! Die Karriere von Frauen endet meist im mittleren Management – und das, obwohl sie noch nie so gut ausgebildet und karriereorientiert waren wie heute. Ein Blick auf die europäischen Nachbarn zeigt: Deutschland hat bei der Besetzung von Führungsposten mit Frauen Nachholbedarf. Auf Platz 11 landet die Bundesrepublik im Ländervergleich. Weniger als ein Drittel der Managementpositionen sind von Frauen besetzt, auf Vorstandsebene sind es nur etwa 3 Prozent. In Westdeutschland ist die gläserne Decke dicker als in Ostdeutschland.
»Warum können wir nicht einfach gender-neutral arbeiten?«, fragt sich Berit Moßbrugger. Die 36-Jährige ist Geschäftsführerin bei kursfinder.de und stammt aus der ehemaligen DDR. Für sie ist klar: Unser Geschlecht ist im Job doch völlig egal.
Berit Moßbrugger kennt es nicht anders – im Osten sei dieses Mann-Frau-Ding nie ein Thema gewesen, berichtet sie. »Da ging und geht beides: Frau UND erfolgreicher als der Mann sein – ohne dass eine der beiden Rollen darunter leiden würde. Bewusst danach gefragt, spricht sich heute sicher jeder Mann für beruflichen Erfolg von Frauen aus. Unterbewusst widerspricht die Kombination aber eben doch der Komfortzone. Während es in Ostdeutschland schlicht einfach keinen Unterschied macht, in welcher Position ich arbeite, machen westdeutsche Männer öfter mal einen irritierten Eindruck – als würde es ihre Rolle als Mann in Frage stellen«.
Hat es historische Hintergründe, dass eine erfolgreiche Karriere meist Männern zugeschrieben wird? Hängt das damit zusammen, dass sich Männer häufig über Statussymbole definieren, die man sich nur durch Erfolg im Job leisten kann? Oder liegt es an unserer Kindheit, in der uns früh klar gemacht wird: »Jungs heulen nicht«, »Puppen sind nur was für Mädchen«, »Raufen gehört sich für Mädchen nicht«? Hat es damit zu tun, dass es in Kindergärten kaum männliche Erzieher gibt, dass Jungs und Mädchen im Sportunterricht oft getrennt werden? Oder liegt es daran, dass das deutsche Betreuungssystem Schwachstellen hat, so dass sich nicht beide Elternteile neben der Familie eine Karriere erlauben können? Woher rühren diese Gender-Unterschiede?
»In Ostdeutschland sind die Männer bis heute souveräner«
Ein bisschen Ostalgie schwingt bei Berit Moßbrugger mit, wenn sie sich an ihre Kindheit erinnert. Dass beide Elternteile in der ehemaligen DDR erwerbstätig waren, war die Norm, Betreuungsplätze für jedes Kindesalter vorhanden. »Emanzipation gehört zu den ältesten Forderungen der proletarischen Arbeiterbewegungen und wurde in der DDR eingebettet in die normative Weltanschauung des sozialistischen Staates. Auch aus planwirtschaftlichen Gründen war es notwendig, dass Frauen berufstätig waren, um die Produktion zu steigern«, heißt es im Studienbericht »Gleichstellung und Geschlechtergerechtigkeit in Ostdeutschland und Westdeutschland«, den das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend anlässlich von »25 Jahre Deutsche Einheit« herausgegeben hat. 1989 lag der Anteil erwerbstätiger Frauen in der DDR bei 91,3 Prozent, in der BRD bei 51 Prozent.
Materielle Statussymbole existierten in der DDR nicht. »Es gab im Grunde nichts. Die finanziellen Mittel waren abgesehen von der politischen Ebene gleich verteilt. Das größte Auto war nun mal ein Wartburg. Die Männer haben sich da nicht über materielle Dinge definieren können. Vielleicht nehme ich sie deshalb noch heute als souveräner im Umgang mit erfolgreichen Frauen wahr«, berichtet Moßbrugger.
Weil sich die Rolle der Frau kontinuierlich ändert, ändert sich auch deren Rollenbewusstsein. Frau denkt zu viel darüber nach, ob und wie sich Karriere und Familie oder auch nur Karriere oder nur Hausfrau und Mutter realisieren lässt, anstatt einfach das zu tun, was ihr wichtig ist. So entsteht die Mann-Frau-Thematik und zugleich auch eine Hemmschwelle. Absolut unnötig, findet Berit Moßbrugger. Die Ressentiments existieren oft auf beiden Seiten. »Positionen auf Führungsebenen werden meist auf Beziehungsebene vergeben: Das sind Männer-Gangs«, so Moßbrugger. Wenn eine Frau hinzustößt, tendiere diese oft dazu, männliche Verhaltensweisen anzunehmen, um bei der eingeschworenen Männergruppe besser anzukommen. Aber genau das sei verkehrt. Dadurch würden Frauen unauthentisch und unbeliebt. »Es geht hier nicht ums Anpassen«, weiß die kursfinder.de-Geschäftsführerin, »sondern darum, die Sprache des anderen Geschlechts zu verstehen«.
Nachahmen büßt Authentizität ein
Das kursfinder.de-Büro in Mannheim teilen sich derzeit sechs Frauen und ein Mann – und das funktioniert prima. »Unser Kollege hat durch die Zusammenarbeit mit so vielen Frauen nicht etwa weibliche Züge angenommen, aber er versteht, wie Frauen ticken«, so Moßbrugger. Sich gegenseitig verstehen, ohne Angst davor zu haben, eine andere Sprache zu sprechen, das ist das Geheimrezept, wie Frauen und Männer im Job erfolgreich sein können – und auch im Privatleben.
Bei vielen männlichen Führungskräften ist Elternzeit in Deutschland derzeit kein Thema. Die jüngeren zeigen sich etwas offener dafür, aber die Angst vor finanziellen Nachteilen, davor, in ihrer Position geschwächt zu werden oder von den männlichen Kollegen müde dafür belächelt zu werden, schwingt oft mit. Ein echter Kerl muss für den Lebensunterhalt der Familie aufkommen, wurde vielen bereits in Kindheitstagen vorgelebt. Und die Frau bleibt zu Hause, kümmert sich um Nachwuchs und Heim. Für viele Frauen ist es heutzutage Luxus, längere Zeit zu Hause bleiben zu können. Andere können oder wollen sich das nicht erlauben.
»Schweden ist uns meilenweit voraus«
»An unserem Hauptsitz in Schweden ist es völlig normal, dass Frauen schon wenige Monate nach der Entbindung wieder arbeiten«, zieht Berit Moßbrugger Parallelen zu Skandinavien. Genauso normal ist es, dass die Top-Manager ihre Elternzeit beanspruchen und stolz darauf sind. Schweden gilt hier als Trendsetter. Bereits in den 70er Jahren hat der erfolgreiche Gewichtheber Lennart Dahlgren mit »Barnledig Pappa« Werbung für die Elternzeit – und zugleich für ein neues Männerbild – gemacht. Das Betreuungssystem für Kinder ist fortschrittlich, die Definition über Statussymbole kaum verbreitet. »Die schwedische Frau lässt sich eher auf einen Mann ein, der beruflich schlechter gestellt ist als sie selbst«, berichtet die 36-Jährige. Dieses »Was Männer und Frauen jeweils dürfen und sollen« gibt es in Schweden weniger. Auch Führungskräftetrainings, die speziell auf Frauen ausgerichtet sind, sind nicht verbreitet. Bei uns tragen sie Titel wie »Durchsetzungstraining für Frauen« oder »Verhandlungstraining für Frauen«. »Inhaltlich sind die Kurse sicher top, aber es gibt genau so viele Männer, die Probleme haben, Verhandlungen zu führen und sich durchzusetzen, wie Frauen. Das ist kein geschlechtsspezifisches Problem, sondern liegt einfach an den unterschiedlichen Persönlichkeitstypen. Manche sind etwas introvertierter und ruhiger als andere«, so Moßbrugger.
Doch wie gelingt es hierzulande, die gläserne Decke zu durchbrechen? Für Berit Moßbrugger gibt es darauf nur eine Antwort: Man muss sich der eigenen Motivation bewusst werden. »Warum will ich eine Spitzenposition haben?«, diese Frage muss sich jeder selbst ehrlich beantworten. Der Reiz, bei denen da oben über der gläsernen Decke mitspielen zu dürfen, sollte nicht die Motivation sein. »Führung ist für Männer jedoch oft ein Status-Thema. Für viele Frauen nicht. Zu Hause zu bleiben und sich um die Kinder zu kümmern, führt bei ihnen nicht zum Statusverlust«, erklärt Moßbrugger.
Schluss mit dem Klischeedenken
Zum Rollenverständnis der Frau mag vielleicht gutes Aussehen und Charme gehören. Warum sonst spricht jeder über Angela Merkels Frisur und Outfit, während das bei Helmut Kohl und Gerhard Schröder nie ein Thema war? Aber die Rolle Frau ist ebenso wie die Rolle Mann nicht homogen. »Und genau deshalb ist unser Geschlecht im Job völlig egal«, so die kursfinder.de-Geschäftsführerin. Eine Frau sei nicht automatisch emotionaler, ein Mann nicht allein durch sein Geschlecht härter oder durchsetzungsfähiger. »Ich bin mir ziemlich sicher, dass es mich als Führungskraft auch in einer männlichen Version gibt«, ist sie überzeugt und erinnert sich an ihre früheren Chefs: »Viele Männer sind als Führungskraft gar nicht so hart wie man glaubt.« Es gibt Männer mit empathischen Eigenschaften und es gibt Frauen, für die Führungspositionen attraktiv sind. Erstere werden gerne in die Schublade »Weichei« gesteckt, Letztere bekommen den Stempel »karrieregeil und verbissen« aufgedrückt.
»Wir brauchen eine größere Toleranzbandbreite«, spricht sich Berit Moßbrugger gegen diese Klischees aus und verspricht sich viel davon, wenn sich jeder seiner selbst bewusst wird und sein Leben so gestaltet, wie er es für richtig hält. »Wenn wir einfach mal eine Generation lang nicht über unser Geschlecht nachdenken und jeder das macht, wonach ihm ist, bekommen wir unsere Geburtenrate in den Griff und haben automatisch an der Führungsspitze ein Gleichgewicht von Frauen und Männern«, ist sich die 36-Jährige sicher. Eine gender-neutrale Erziehung sowie eine größere Durchmischung der Geschlechter von Kindesbeinen an tragen in ihren Augen dazu bei, dem Geschlecht später keine überdimensionale Bedeutung beizumessen. Und dann ist für Frauen im mittleren Management auch nicht Endstation angesagt. Es geht ab durch die gläserne Decke: Wer die Motivation hat, Chef zu werden und die Qualifikationen dafür mitbringt, der soll von Erfolg gekrönt werden: Männer wie Frauen, die den Stempel »verbissen und karrieregeil« dann endlich von ihrer Stirn wegwischen können.
VERWEISE
- ...