Frauenanteile in Spitzengremien großer Unternehmen steigen kaum
Eine ausgewogene Repräsentation von Frauen und Männern in den Spitzengremien der deutschen Wirtschaft bleibt in weiter Ferne: In den Vorständen der 200 umsatzstärksten Unternehmen lag der Frauenanteil Ende des Jahres 2015 bei gut sechs Prozent – ein Anstieg von weniger als einem Prozentpunkt gegenüber dem Vorjahr. Die Aufsichtsräte waren zwar zu immerhin fast 20 Prozent mit Frauen besetzt, allerdings hat sich die Dynamik gegenüber den Vorjahren sogar abgeschwächt.
Das geht aus dem neuesten Managerinnen-Barometer des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) hervor, das im aktuellen DIW Wochenbericht erschienen ist. »Die Entwicklung gleicht einem Ritt auf der Schnecke«, sagt Elke Holst, Forschungsdirektorin für Gender Studies im DIW Berlin. »Wenn das Tempo, mit dem die Frauenanteile steigen, weiterhin derart gering bleibt, wird es noch sehr lange dauern, bis eine gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern erreicht ist«. Ginge es so weiter wie in den vergangenen zehn Jahren, würde es in den Top-200-Unternehmen den DIW-Berechnungen zufolge noch 86 Jahre dauern, bis genauso viele Frauen wie Männer im Vorstand sitzen. In den Aufsichtsräten wäre das immerhin in 25 Jahren geschafft. »Die Frauenanteile verharren also vor allem in den Vorständen noch immer auf einem extrem niedrigen Niveau«, sagt Anja Kirsch, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Personalpolitik der Freien Universität Berlin.
DAX-30- und Beteiligungsunternehmen des Bundes haben höchste Frauenanteile im Aufsichtsrat
Allerdings können den Autorinnen zufolge nicht alle Unternehmen über einen Kamm geschoren werden, denn einige sind deutlich ambitionierter als andere. In allen untersuchten Unternehmensgruppen (neben den umsatzstärksten 200 Unternehmen außerhalb des Finanzsektors untersucht das DIW Berlin auch die DAX-30-, MDAX-, SDAX- und TecDAX-Unternehmen sowie solche mit Bundesbeteiligung) hat ein nicht unerheblicher Teil bereits 30 Prozent Frauen oder mehr im Aufsichtsrat. Am besten sieht es diesbezüglich in den Gruppen der DAX-30-Unternehmen sowie der Unternehmen mit Bundesbeteiligung aus, in denen jeweils fast die Hälfte der Unternehmen diese Schwelle bereits heute erreicht. Von jenen gut 100 Unternehmen, die tatsächlich ab diesem Jahr die Frauenquote in Höhe von 30 Prozent bei Neubesetzungen ihres Aufsichtsrats berücksichtigen müssen, erfüllen jedoch erst knapp 28 Prozent die Vorgaben. Andere haben noch einen langen Weg vor sich.
Im Finanzsektor, in dem das DIW Berlin die 100 größten Banken und 59 größten Versicherungen untersucht hat, war der Anstieg der Frauenanteile im vergangenen Jahr gering: In den Vorständen stieg er um jeweils weniger als einen Prozentpunkt auf knapp acht Prozent bei den Banken und gut neun Prozent bei den Versicherungen. In den Aufsichtsräten war die Dynamik etwas stärker, allerdings waren Frauen auch dort mit gut 21 beziehungsweise 19 Prozent weiterhin stark unterrepräsentiert – und das, obwohl sie im Finanzsektor insgesamt die Mehrheit der Beschäftigten stellen. Besonders gering war der Frauenanteil in den Kontrollgremien der Genossenschaftsbanken, obwohl diese ein partizipatives Geschäftsmodell verfolgen. »Die geringen Aufstiegschancen wirken sich auch auf den Verdienstunterschied zwischen Frauen und Männern aus«, erklärt Kirsch: »Der sogenannte Gender Pay Gap ist im Finanzsektor im Vergleich zu allen anderen Branchen am größten«.
Steuer- und Familienpolitik sind wichtige Ansatzpunkte für mehr Frauen in Spitzengremien
Der Handlungsbedarf bleibt aus Sicht von Holst und Kirsch unverändert hoch – denn die Quotenregelung allein könne es nicht richten. Zwar verpflichtet das Gesetz insgesamt ungefähr 3.500 Unternehmen, sich Zielgrößen für einen höheren Frauenanteil in Aufsichtsräten, Vorständen und den obersten Managementebenen zu setzen. »Ohne wirkliche Sanktionen bei Nichterfüllung der Zielgrößen könnte sich das Gesetz jedoch als ein zahnloser Tiger herausstellen«, so Holst. Deshalb sollte die Politik durch flankierende Maßnahmen, etwa in der Steuer- und Familienpolitik, versuchen, die Karrierechancen von Frauen zu verbessern. Ein Ansatzpunkt könne das Ehegattensplitting sein. Es biete Frauen falsche Anreize für die Erwerbsbeteiligung und zementiere somit die tradierte Aufgabenteilung zwischen Mann und Frau, so die Autorinnen.
Hintergrund
Das DIW Managerinnen-Barometer beobachtet die Trends bei der Besetzung von Spitzenpositionen in großen deutschen Unternehmen durch Männer und Frauen. Seit 2006 wird dazu einmal jährlich die Zahl der Frauen in den Vorständen und Aufsichtsräten der 200 größten deutschen Unternehmen ausgewertet. Später kamen die DAX-30-, M-DAX-, S-DAX- und TecDAX-Unternehmen sowie die Beteiligungsunternehmen des Bundes hinzu. Zusätzlich wird die Entwicklung im Finanzsektor erfasst, also bei den größten 100 Banken und Sparkassen sowie rund 60 Versicherungen. Zusätzlich hat das DIW Berlin für das vergangene Jahr erstmals separat die Gruppe jener gut 100 Unternehmen ausgewertet, die ab 2016 unter die verbindliche Geschlechterquote fallen und somit bei Neubesetzungen ihres Aufsichtsrats Frauen zu 30 Prozent berücksichtigen müssen.
VERWEISE
Oft gelesen
- Meisterausbildung: Europass mit erweitertem Angebot
- IW-Weiterbildungserhebung: Ökologische Nachhaltigkeit, Digitalisierung und Weiterbildung
- 50 Prozent der Unternehmen in Baden-Württemberg setzen auf Weiterbildung
- Fragmentierte Arbeitstage: Mehr Stress und weniger Erholung
- Mecklenburg-Vorpommern: Zahl der Abschlüsse an beruflichen Schulen leicht gestiegen
- Lehrermangel: Stifterverband analysiert Herausforderungen der Bundesländer
- TIMSS 2023: Ergebnisse im internationalen Vergleich
- Digitalpakt 2.0: Bund und Ländern haben sich geeinigt
- Studierendenzahlen im Wintersemester 2024/25: Stagnation und erste Tendenzen
- Stifterverband: Wirtschaft investiert trotz Konjunkturflaute weiter kräftig in die Forschung