Initiativen für mehr Gleichstellung in der Wissenschaft

Studienabsolventinnen

Experten haben mehrheitlich die Initiativen der FDP-Fraktion für mehr Gleichstellung von Frauen und eine bessere Inklusion von Menschen mit Behinderungen in Wissenschaft und Forschung begrüßt. Das zeigte ein öffentliches Fachgespräch des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung am Mittwoch, unter Leitung von Ernst Dieter Rossmann (SPD)

Die Experten befürworteten das Anliegen der Fraktion, im Rahmen einer Untersuchung an einer Wissenschaftseinrichtung »Systematiken sowohl von Förderung als auch von Diskriminierung von Frauen während ihrer wissenschaftlichen Karriere« zu beleuchten und die Besetzung der gesetzlich vorgeschriebenen fünf Prozent der Stellen mit Menschen mit Behinderungen umzusetzen. Beim Thema Gleichstellung sahen sie zwar auch erste Fortschritte, wiesen aber auch auf weiteren Handlungsbedarf hin. Hier sei auch die Politik gefordert.

Grundlage des Fachgesprächs zum Thema Gleichstellung in Wissenschaft und Forschung waren neben den Anträgen der FDP-Fraktion mit den Titeln »Gleichstellung in der Wissenschaft - Vorgehensweise des Massachusetts Institute of Technology als Vorbild für das deutsche Wissenschaftssystem« und »Verantwortung der außeruniversitären Forschungseinrichtungen für die Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen einfordern« auch der Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs 2021 mit Stellungnahme der Bundesregierung.

Heide Ahrens, Generalsekretärin der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), räumte ein, dass trotz ihres hohen Stellenwerts die Gleichstellung im Wissenschaftssystem noch lange nicht erreicht sei. Der »überproportionale Dropout« von Wissenschaftlerinnen bedeute einen Verlust an Exzellenz, Qualität und Innovationsfähigkeit. Diesem versuche die DFG unter anderem mit Gleichstellungsstandards entgegenzuwirken. Ein weiteres zentrales Handlungsfeld sei die wissenschaftliche Leistungsbewertung. Unbewusste Vorbehalte und unhinterfragte Vorgehensweisen bei der Bewertung von Exzellenz wirkten nach wie vor hemmend. Auch rein quantitative Leistungsmarker reichten zu Bewertung nicht aus. Hier setze die DFG etwa mit einem Template für Lebensläufe an, um Antragsteller wie Gutachter für »andere begutachtungswürdige Inhalte« wie etwa ein gesellschaftliches Engagement zu sensibilisieren.

Magdalena Beljan, Geschäftsführerin der Arbeitsgemeinschaft der Frauen- und Geschlechterforschungseinrichtungen Berliner Hochschulen, kritisierte, dass die Stimme von Studierenden und Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Mittelbaus an Hochschulen zu wenig Gehör in der Diskussion finde. Auch die politischen Maßnahmen zur Unterstützung dieser beiden Gruppen seien »unzureichend«. Beljan begrüßte zwar das Professorinnenprogramm der Bundesregierung, forderte aber, wissenschaftliche Karrieren von Wissenschaftlerinnen auch ohne Professur zu ermöglichen und die Geschlechterforschung strukturell zu stärken. Massenhafte Befristungen, Kurzzeit- und Teilzeit-Verträge seien ein generelles Problem. Aber strukturell benachteiligte Wissenschaftlerinnen könnten es sich nicht leisten, unter diesen Bedingungen langfristig zu arbeiten und kehrten deshalb dem Wissenschaftsbetrieb überdurchschnittlich häufig den Rücken, so die Expertin. Beljan sprach sich deshalb für eine Abschaffung oder Novellierung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes aus.

Sarah Young vom »N2 - Netzwerk von Promovierendennetzwerken« wies daraufhin, dass in Wissenschaft und Forschung nicht nur Frauen benachteiligt seien, sondern auch andere Gruppen wie Menschen mit Behinderungen, anderer ethnischer Herkunft oder sexueller Orientierung. Begünstigt würden Benachteiligungen durch die prekären Arbeitsbedingungen in der Promotion. Daher fordere ihr Netzwerk eine Mindestvertragsdauer von vier statt durchschnittlich drei Jahren für die Promotion. Auch die Forschungsleistung von Promovierenden müsse über ein »Vollzeitgehalt für de facto-Vollzeitarbeit« endlich anerkannt werden. Um den Machtmissbrauch entgegenzuwirken, von dem Promovierende durch starke Abhängigkeitsverhältnisse in besonderem Maße betroffen seien, brauche es eine bessere Prävention.

Sonja Bolenius, Referatsleiterin Hochschul- und Wissenschaftspolitik beim Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB), lenkte in ihrer Stellungnahme den Blick auf Hemmnisse, mit denen Wissenschaftlerinnen konfrontiert seien: Fehlende Planbarkeit und Sicherheit einer wissenschaftlichen Karriere, aber auch ungünstige Rahmenbedingungen im Hinblick auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf schreckten viele Frauen ab, so Bolenius. Außerdem brauche es einen grundlegenden Wandel der von »Leistungsdruck, Konkurrenz, Isolation und vielen Überstunden« geprägte Arbeitskultur in der Wissenschaft, sagte die DGB-Vertreterin und mahnte angemessene Laufzeiten von befristeten Stellen und verlässliche Kinderbetreuungsangebote an. Zustimmung signalisierte sie in ihrer Stellungnahme auch zu dem FDP-Vorschlag, verbindliche Vereinbarungen zu einem höheren Frauenanteil in Fachbereichen zu treffen. »Wenn wir bei der Parität vorankommen wollen, kommen wir um verbindliche Quoten nicht herum.«

Gegen Quotierungen mit Sanktionen wandte sich dagegen Friedrich Paulsen, Vizepräsident People der Universität Nürnberg-Erlangen. Die Erhöhung des Frauenanteils unter den Professuren insbesondere in den MINT-Fächern schreite zwar zu langsam voran. »Die Gründe aber sind vielschichtig und von den einzelnen Universitäten allein lösbar«, sagte Paulsen. Es bedürfe deshalb weiterhin eines starken Engagements durch den Bund mit Förderangeboten wie dem auslaufenden Professorinnenprogramm. Statt verbindlichen Quoten, die an der universitären Realität vorbeigingen, schlage er universitätseigene, fakultätsspezifische Zielvereinbarungen vor. Die Politik sah der Experte in Pflicht, »flexiblere Rahmenbedingungen« für die Kinderbetreuung zu schaffen: »Es muss möglich sein, auch außerhalb vorgegebener langfristiger Anmeldezeiträume Kinder in der Ganztagsbetreuung unterzubringen«, s0 Paulsen.

Anneliese Niehoff, Vorständin der Bundeskonferenz der Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten an Hochschulen (bukof), plädierte für eine Aufstockung der Mittel für das »erfolgreiche Professorenprogramm«. Künftig sollten neben Professorinnen auch promovierte Wissenschaftlerinnen etwa durch eine Entfristung ihrer Stellen gefördert werden. Auch die Geschlechterforschung gelte es besser auszustatten und damit ein »klares Zeichen« für einen Forschungsbereich zu setzen, der mit »massiven antifeministischen Anfeindungen« zu kämpfen habe. Darüber hinaus forderte die Expertin angesichts von Millioneninvestitionen von Bund und Ländern in die digitale Infrastruktur von Wissenschafts- und Forschungseinrichtungen ein Gender Budgeting, »damit es nicht so goldgräberartig mit der Vergabe der Corona-Mitteln weitergeht«.

Erste Fortschritte bei der Gleichstellung sah wiederum Birgitta Wolff, ehemalige Präsidentin der Goethe-Universität Frankfurt am Main, und verwies auf eine steigende Zahl der Berufungen von Frauen: An der Goethe-Universität seien 2020 erstmalig mehr als die Hälfte der Neuberufenen weiblich gewesen, so Wolff. Diskriminierungen von Frauen ließen sich jedoch verstärkt »im laufenden Betrieb«, etwa in einem unfaireren Umgang mit weiblichen Führungskräften in Konfliktfällen beobachten. Ihnen werde wesentlich häufiger als Männern ein schlechtes Führungsverhalten vorgeworfen, so Wolff mit Blick auf eine aktuelle empirische Analyse. Die Forderung der FDP nach einer Gleichstellungsstudie unterstützte die Expertin, so diese zu »bundesweit belastbare Zahlen und methodischer Evidenz« führe. Wolff regte an, im Zuge einer solchen Untersuchung auch Informationen für andere Diversity-Dimensionen wie etwa Behinderung oder Migrationshintergrund zu erheben.

 

 

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