Studie: Jeder zweite neue DAX-30-Aufsichtsrat ist eine Frau
Mit einem Anstieg um 5 Prozentpunkte von 23,7% auf 28,7% verzeichnen die Aufsichtsräte der DAX-30-Konzerne auf der Eigentümerseite den historisch stärksten Zuwachs an weiblichen Mitgliedern. Insgesamt wurden im vergangenen Jahr 39 Kapitalvertreter ersetzt oder neu bzw. zusätzlich gewählt. Mit 18 weiblichen Nachrückern besetzen Frauen fast jeden zweiten (46%; 2015: 39%) der zu vergebenden Aufsichtsratsposten. Nach den Hauptversammlungen 2016 erfüllen damit bereits 21 der 30 (2015: erst 13) Aktionärsvertretungen die vom Gesetzgeber festgelegte Frauenquote.
Allerdings fielen Adidas und Henkel, die 2015 bereits einen 30%-Anteil vorweisen konnten, mit der Aufstockung um zwei männliche Aufseher für den Sportartikelhersteller und dem Ausscheiden von Beatrice Guillaume-Grabisch wieder auf einen Frauenanteil von 25% und damit hinter die geforderte Quote zurück. HeidelbergCement ist mit einem Frauenanteil von lediglich 17% das aktuelle Schlusslicht auf Aktionärsvertreterseite in der ersten deutschen Konzernliga.
Obwohl in 21 der 30 Gremien personelle wie strukturelle Veränderungen stattfanden (2015: 15), blieb die formale Qualität weitgehend konstant. Bei einer an deutschen Schulnoten orientierten Durchschnittsbewertung der Aufsichtsratszusammensetzung ergibt sich für 2016 die Gesamtnote 2,4 (2015: 2,3). Die Studie analysiert die DAX-30-Aufsichtsgremien anhand der verfügbaren biografischen Daten ihrer Mitglieder darauf hin, wie gut diese in Bezug auf Kriterien wie »geschäftsrelevante Erfahrung«' »Mandatslast«, »Diversität«' oder »Digitalkompetenz« abschneiden.
Die beste Bewertung im diesjährigen Russell-Reynolds-Aufsichtsratsranking erhielt mit einer Gesamtnote von 1,6 der Siemens-Aufsichtsrat, gefolgt vom Vorjahressieger Deutsche Bank mit 1,9 sowie Adidas und Daimler. Diese teilen sich mit einer 2,0 den dritten Platz. Daimler wurde 2015 noch mit 2,3 bewertet und schaffte es somit 2016 von Rang 13 in die Spitzengruppe. Den größten Sprung nach vorn (Platz 5, vorher Platz 27) machte E.ON mit der diesjährigen Note 2,1 (2015: 3,0). Die schlechteste Note erhielt - nicht zuletzt wegen fehlender internationaler Erfahrung und der niedrigen Frauenquote - HeidelbergCement mit einer 3,1 (2015: Rang 22, Note 2,5).
Zusammenfassung
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Das sind die zentralen Ergebnisse der »DAX-30-Aufsichtsratsstudie« von Russell Reynolds Associates. Diese hat die Veränderungen in den Aufsichtsräten der dreißig größten börsennotierten Konzerne Deutschlands bereits zum sechsten Mal untersucht.
Weiterhin fehlen internationale Impulsgeber in deutschen Aufsichtsräten - »man spricht weiterhin deutsch!«
Leicht rückläufig war im vergangenen Jahr die Internationalität der Aufsichtsgremien: Der Anteil nicht-deutscher Aufsichtsräte ging um einen Prozentpunkt auf 27% zurück. Von diesen stammt allerdings fast jeder Dritte aus Österreich und der Schweiz. Von den neu besetzten Aufsichtsräten besitzen 67% einen deutschen Pass. »Das Thema Diversity darf bei der Besetzung von Aufsichtsratsposten nicht als das reine Erfüllen der gesetzlichen Frauenquote fehlinterpretiert werden. Mindestens ebenso wichtig sind die kulturelle Vielfalt und das Einbinden der internationalen Perspektive. Hier sind die DAX-30-Aufsichtsräte keinen Schritt weitergekommen«, so Jens-Thomas Pietralla von Russell Reynolds Associates und verantwortlich für die »DAX-30-Aufsichtsratsstudie«. »Zwar sehen wir mittlerweile eine zunehmende operative Auslandserfahrung der Aufsichtsräte. Trotzdem ist es ein Armutszeugnis für die Exportnation Deutschland, dass kein einziges der im vergangenen Jahr neu besetzten Aufsichtsratsmitglieder aus Asien oder Südamerika und nur ein einziges jeweils aus den USA und Afrika stammt«. Allerdings gibt es auch positive Ausnahmen. Den höchsten Ausländeranteil hat Fresenius Medical Care mit 67%, gefolgt von Volkswagen und der Deutschen Bank mit je 60% sowie der Deutschen Börse mit 50%.
Österreich stellt weiterhin das größte Ausländerkontingent mit 17 Aktionärsvertretern, gefolgt von den USA (12), UK (7) und Frankreich (6).
Mangelnde Digitalkompetenz in den Gremien gefährdet Digitale Transformation: Nur in jedem dritten Aufsichtsrat gibt es einen dezidierten Experten für diesen Bereich
Ein weiteres Ergebnis der Studie: Nur in 37% der DAX-30-Boards sitzt mindestens ein Aufseher mit ausgewiesener Digitalkompetenz. »Offensive Antworten auf die Herausforderungen der Digitalen Transformation und die damit verbundenen Disruptionen sollten auf der Strategieagenda oberste Priorität haben. Aber selbst wenn der Vorstand diese liefert, fehlt bei zwei Dritteln der von uns untersuchten Aufsichtsräte die profunde funktionale Fachkenntnis, um die vom Vorstand vorgelegte Digitalstrategie auf Augenhöhe hinterfragen zu können. Dieser Kompetenzmangel auf der Kontrollseite birgt erhebliche Brisanz für Deutschlands führende Konzerne«, so Dr. Thomas Tomkos. »Kombiniert mit der mangelnden Internationalität ist dieses eklatante Defizit bei den nächsten Aufsichtsratswahlen dringend zu adressieren. Sonst gerät die deutsche Wirtschaft in diesem erfolgskritischen Bereich gegenüber dem internationalen Wettbewerb ins Hintertreffen«.
Finanz- und Industriekonzerne stellen die Topaufsichtsräte
Paul Achleitner, Michael Diekmann und Henning Kagermann sind mit je vier Mandaten bei DAX-Unternehmen die am häufigsten berufenen Aufseher der deutschen Blue Chips. »Die sogenannte Deutschland AG mit massiver struktureller und finanzieller Verflechtung der Konzerne untereinander ist Geschichte. Dennoch sind nach wie vor einige Aufsichtsräte und ehemalige Topmanager großer Finanz- und Industriekonzerne stark in anderen DAX-Gremien vertreten«, kommentiert Aufsichtsratsexperte Pietralla die Mandatslast. Mit Ann-Kristin Achleitner, Renate Köcher, Sari Baldauf, Simone Bagel-Trah und Simone Menne sind bereits fünf Aufsichtsrätinnen mit mindestens zwei Mandaten im DAX-30 vertreten.
2018 und 2019 sind »Superwahljahre« mit 71 bzw. 87 Aufsichtsratsneubesetzungen
Die Mandatslast bei einigen Topaufsehern könnte sich noch deutlich zuspitzen, denn 2018 und 2019 kommen mit 71 bzw. 87 Aufsichtsratsneubesetzungen zwei echte 'Superwahljahre' auf die DAX-Konzerne zu. Diese werden absehbar den Pool von geeigneten Kandidatinnen und Kandidaten erheblich ausdünnen und daher schon im Vorfeld zu einer »Reservierungstaktik« führen. Die Studie zeigt weiterhin: DAX-30-Konzerne benötigen bis 2017 allein in Vorstand und den ersten beiden Führungsebenen über 230 Frauen, um ihre Selbstverpflichtung zu erreichen. Wollte man die 30%-Regel der Aufsichtsräte auch hier umsetzen, bräuchte man auf diesen Ebenen über 1.300 Frauen; auf alle Managementebenen verteilt fehlen sogar mehr als 30.000 Frauen. »Für männliche Karriereaspiranten auf Vorstandspositionen sowie die erste und zweite Führungsebene brechen harte Zeiten an. Um im Diversity-Zielkorridor zu bleiben, werden weitsichtige Unternehmen besondere Anstrengungen unternehmen, um qualifizierte Frauen an Bord zu holen und zu halten«, so Pietralla.
Noch immer dominieren Unterschiede zwischen den Geschlechtern: Frauen sind 3,2 Jahre jünger beim Amtsantritt und 2,7 Jahre kürzer im Amt als Männer
Die positive Diversity-Tendenz geht bislang noch mit erheblichen Unterschieden zwischen den Geschlechtern einher: Frauen in DAX-30-Aufsichtsräten sind im Durchschnitt 2,7 Jahre kürzer im Amt als ihre männlichen Kollegen mit einer durchschnittlichen Verweildauer von sechs Jahren und zudem bei Amtsantritt rund 3,2 Jahre jünger (Männer: 56,1 Jahre; Frauen: 52,9 Jahre). Der Altersdurchschnitt liegt bei männlichen Aufsichtsräten bei 62,1 Jahren und damit sechs Jahre über dem der Frauen (56,2 Jahre). Insgesamt lässt sich aber eine Annäherung der demographischen Daten erkennen, die sich in den kommenden Jahren fortsetzen dürfte. Der typische DAX-30-Aufsichtsrat ist 60,4 Jahre alt und damit fast ein Jahr jünger als noch im Vorjahr. Die Aufsichtsräte von SAP (10 Jahre), BMW (9 Jahre) und Fresenius Medical Care (9 Jahre) haben die längste durchschnittliche Amtslaufzeit. Bei ProSiebenSat.1, Vonovia und RWE sind die Aufsichtsräte im Durchschnitt weniger als drei Jahre im Amt.
Die höchste Aufsichtsratsvergütung zahlten im vergangenen Jahr mit durchschnittlich 316.000 Euro BMW und Fresenius Medical Care. Volkswagen ist in dieser Auswertung binnen eines Jahres vom ersten auf den letzten Platz abgerutscht. Der Konzern zahlt seinen Aufsehern einen außergewöhnlich hohen Anteil variable Vergütung, was aufgrund des Dieselskandals zu im Schnitt nur ca. 35.000 Euro Gesamtvergütung führte (Vorjahr: durchschnittlich 489.000 Euro).