Wettbewerbsfaktor Vielfalt unterschätzt
Zwei Drittel kümmern sich nicht um vielfältig aufgestellte Belegschaft - Flexibilisierung der Arbeitswelt steht im Vordergrund - Vielfalt fördert Offenheit und Lernfähigkeit
Zwei von drei Unternehmen in Deutschland sind auf absehbare Veränderung durch eine vielfältige Arbeitswelt nicht vorbereitet. Zu diesem Schluss kommt eine Studie der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young (EY) in Zusammenarbeit mit dem Verein Charta der Vielfalt. Dabei ist sich zugleich eine große Mehrheit von 65 Prozent der Tatsache bewusst, dass die Einbindung unterschiedlicher Lebensmodelle, kultureller Perspektiven und Erfahrungen dem eigenen Unternehmen Vorteile bringt. Und drei Viertel der Unternehmen erkennen, dass eine vielfältig zusammengesetzte Belegschaft die Offenheit und Lernfähigkeit, und damit auch die Zukunftsfähigkeit sicherstellt.
Ana-Cristina Grohnert, Vorstandsvorsitzende des Vereins Charta der Vielfalt und Personalchefin bei EY sieht in diesen Zahlen ein Alarmsignal für viele Unternehmen in Deutschland. »Die Digitalisierung und die Globalisierung verlangen von uns, dass wir vielfältiger denken und schneller lernen«, so Grohnert. Sie warnt: »Der Wettbewerbsfaktor Vielfalt wird unterschätzt. Wer nicht in der Lage ist, eine vielfältige Belegschaft aufzubauen, der wird den Kontakt zu gesellschaftlichen und technologischen Trends und somit Kundenbedürfnissen an den Märkten verlieren«.
Die Studie zeigt, dass bei dem Drittel der Unternehmen und Institutionen, die aktives Diversity Management betreiben, vor allem Maßnahmen der Flexibilisierung von Arbeitszeit und Arbeitsort, sowie Maßnahmen der Personalgewinnung und Personalentwicklung im Vordergrund stehen. Für die Studienmacher ein Indiz dafür, dass die Organisationen vor allem aus kurzfristiger Perspektive auf Personalmangel reagieren.
Kritisch bewertet diese Herangehensweise Aletta Gräfin von Hardenberg, Geschäftsführerin des Charta der Vielfalt e.V. »Nur ein ganzheitlich ausgeübtes Diversity Management unter Einbeziehung aller Akteure und Akteurinnen sowie Dimensionen führt zum Erfolg«, ist sich die erfahrene Diversity-Managerin sicher. Sie fordert, dass Organisationen Diversity Management zum festen Bestandteil der Strategie machen. »Diversity Management steht in Deutschland immer noch am Anfang, es wird aber für die Zukunft des Standorts massiv an Bedeutung gewinnen«, so von Hardenberg. Sie stellt weiter fest: »Die Unterzeichner der Charta der Vielfalt sind dem durchschnittlichen Unternehmen mindestens zwei Schritte voraus«.
Hintergrund
Im Auftrag von EY und Charta der Vielfalt hat das Darmstädter Marktforschungsinstitut Reimund Research im Zeitraum von Juli bis September 349 Organisationen befragt, welche die Selbstverpflichtung »Charta der Vielfalt« unterzeichnet haben. Zugleich wurden Personalverantwortliche in 250 zufällig ausgewählten Unternehmen befragt, welche die Selbstverpflichtung nicht unterzeichnet haben.
Diversity Management entstand in den 90er Jahren in den USA als Reaktion auf den demografischen Wandel der Gesellschaft. Die Ausgrenzung oder Benachteiligung in der Arbeitswelt aufgrund des Alters, der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion, der sexuellen Orientierung und Identität oder einer Behinderung sollten abgebaut werden. In der Praxis der Unternehmen stehen beim Diversity Management die Förderung von Frauen, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie die Flexibilisierung der Arbeitsmöglichkeiten im Vordergrund. Das strategische Ziel liegt jedoch in einem umfassenden Kulturwandel. Diversity Management strebt eine offene, vielfältige und an Wertschätzung orientierte Arbeitswelt an, die jedem Individuum vollständige Teilnahme am Wertschöpfungsprozess ermöglich.