Hohes Wertschöpfungspotential durch mehr kulturelle Vielfalt nutzbar machen
Befragte mit Migrationshintergrund in Deutschland: 24% weniger Beförderungen, 25% geringeres Gehalt und 50% mehr Diskriminierung am Arbeitsplatz
Viele Unternehmen in Deutschland haben bis heute keine inklusive Unternehmenskultur aufgebaut
Über 40% der befragten Beschäftigten geben an, dass ihr Arbeitgeber keine Maßnahmen zur Erhöhung der kulturellen Diversität oder Inklusion ergriffen hat.
Beschäftigte mit Migrationshintergrund können daher ihr Potenzial nicht voll entfalten. So erfahren sie 50% mehr Diskriminierung am Arbeitsplatz, 24% weniger Beförderungen und verdienen 25% weniger Gehalt. Dies geht aus der Studie »Erfolgsfaktor kulturelle Diversität und faire Teilhabe – Wie deutsche Unternehmen jetzt aufholen können« hervor, die die Unternehmensberatung McKinsey & Company in Zusammenarbeit mit der Leadership Advisory Firma Egon Zehnder veröffentlicht hat.
Die Studie basiert auf einer repräsentativen McKinsey-Umfrage unter mehr als 2.000 Beschäftigten in Deutschland zwischen Dezember 2022 und Januar 2023, 75 Prozent davon mit kulturell diversem Hintergrund. Befragt wurden Beschäftigte, die in großen Unternehmen mit über 2.000 Angestellten arbeiten, zwischen 18 und 69 Jahre alt sind, mindestens 20 Stunden pro Woche arbeiten und mindestens das Abitur erworben haben. Als kulturell divers bezeichnet die Studie Umfrageteilnehmende, die sich mehreren Kulturkreisen zugehörig fühlen und sich selbst entsprechend identifizieren oder die sich aufgrund ihrer Nationalität und Identität als Menschen mit Migrationsgeschichte verstehen.
Unternehmen in Deutschland verpassen Chancen
Laut Studie kann die deutsche Wirtschaft von einer zusätzlichen Wertschöpfung von mehr als 100 Milliarden EUR durch mehr kulturelle Vielfalt und Inklusion profitieren. »Vielfalt und faire Teilhabe waren schon immer ein Wettbewerbsvorteil für Unternehmen«, sagt McKinsey-Partner und Studienautor Denis Francis. »Je volatiler und schnelllebiger die Zeiten werden, desto wichtiger wird es für Unternehmen, vielfältige Perspektiven in ihren Entscheidungen einzubeziehen. Gleichzeitig wird der Fachkräftemangel immer akuter. Unternehmen können davon profitieren, kulturell vielfältige Talente aktiv zu rekrutieren, zu fördern und durch Teilhabe auf Augenhöhe zu halten«.
So-Ang Park, Berater bei Egon Zehnder und Autor der Studie, ergänzt: »Die Studie zeigt, dass sich Führungspersönlichkeiten der Notwendigkeit eines inklusiven Arbeitsumfelds zwar bewusst sind, sie aber noch zu selten in konkrete, authentische Maßnahmen umsetzen.«
Maßnahmen der Unternehmen führen noch nicht zu fairer Teilhabe
Obwohl knapp 60% der befragten Beschäftigten angeben, dass Ihr Unternehmen bereits Maßnahmen für mehr kulturelle Vielfalt und Inklusion ergriffen haben, unterscheiden sich die Unternehmen stark in ihrem Anteil an kulturell diversen Talenten und Führungskräften. Während das nach Angaben der Befragten vielfältigste Viertel der Unternehmen mit 58% einen hohen Anteil kulturell vielfältiger Talente vorweist, liegt die Rate im untersten Quartil nur bei nur 9%. Im Topmanagement sinkt der Anteil der Führungskräfte mit Migrationshintergrundbei rapide: In den vielfältigsten Unternehmen sind es dort noch knapp 22%, im untersten Quartil sogar im Schnitt nur 3%.
Das Bewusstsein für die Vorteile eines kulturell vielfältigen Arbeitsumfelds unterscheidet sich innerhalb der Organisationen: Im Topmanagement ist es um 18 Prozentpunkte stärker ausgeprägt als im erweiterten Führungskreis und um 23 Prozentpunkte stärker als in der Gesamtbelegschaft. Aufgabe der Unternehmensspitze ist daher, einen Bewusstseinswandel in der gesamten Organisation zu schaffen, um das ökonomische Potenzial zu nutzen. »Um diverse Talente in ihrer persönlichen und professionellen Entwicklung bestmöglich zu unterstützen, braucht es Rollenmodelle, an denen sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter orientieren können. Selbst Vorbild sein und gleichzeitig Managerinnen und Manager mit Migrationshintergrund fördern – Führungspersönlichkeiten kommt eine besondere Verantwortung zu«, sagt So-Ang Park.
Die Umfrageergebnisse zeigen, dass Talente mit Migrationshintergrund in deutschen Unternehmen weiterhin berufliche Nachteile erfahren:
- Deutlich höherer Bewerbungsaufwand: Menschen mit Migrationshintergrund schreiben etwa ein Viertel mehr Bewerbungen als Menschen ohne Migrationshintergrund, bevor sie ein Jobangebot bekommen, trotz teils identischer Qualifikationen. Besonders groß ist der Abstand bei Menschen mit Migrationshintergrund der ersten Generation: Sie müssen im Durchschnitt 50 Prozent mehr Bewerbungen schreiben, bevor sie ein Angebot erhalten.
- Deutlich häufigere Diskriminierungserfahrungen: Beschäftige mit Migrationshintergrund nehmen sich überproportional häufig als Ziel von Diskriminierung wahr. Laut der Befragung erfahren sie 50 Prozent öfter Diskriminierung am Arbeitsplatz als Menschen ohne Migrationshintergrund.
- Häufigere Jobwechsel: 64% der diversen Talente, die Diskriminierung erfahren, geben an, im vergangenen Jahr darüber nachgedacht zu haben, ihren Arbeitsplatz zu verlassen. Fehlt das integrative Umfeld, dann ist die Häufigkeit, mit der Menschen mit Migrationshintergrund einen Arbeitsplatzwechsel in Betracht ziehen mehr doppelt so hoch als bei Menschen ohne Migrationshintergrund.
- Geringere Chancen auf eine Beförderung: Menschen mit Migrationsgrund berichten in der Befragung von etwa einem Viertel weniger Beförderungen als Mitarbeitende ohne Migrationshintergrund.
- Weniger Gehalt: Menschen mit Migrationshintergrund erreichen bei gleicher Qualifikation bis zu 25 Prozent weniger Gehalt. Diese in der Befragung gemessene Gehaltslücke in Deutschland übersteigt deutlich den entsprechenden EU-Durchschnitt, der bei 13 Prozent liegt.
Inklusive Unternehmenskultur erhöht die Zufriedenheit aller Beschäftigten
Über ein Drittel der Beschäftigten zwischen 25 und 44 Jahren hat heute einen Migrationshintergrund. Langfristig zeichnet sich nahezu eine Parität bei Berufseinsteiger:innen in einigen Branchen ab. Die aktuellen Befragungsergebnisse legen offen, dass Deutschland bei der Inklusion dieser Talente und bei der Kreierung von Chancengleichheit deutlichen Aufholbedarf hat. »Die Daten zeigen: Allein das Gewinnen kulturell diverser Profile reicht nicht aus. Erst die faire Teilhabe bisher unterrepräsentierter Gruppen mit Migrationshintergrund zu ermöglicht es ihnen, auf längere Sicht, ein höheres Maß an Kreativität und Innovationskraft zu entfalten und so die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens zu erhöhen,« betont McKinsey-Partner Denis Francis. Die aktuelle Umfrage zeigt, dass ein höheres Engagement von Unternehmen in diesem Bereich die Zufriedenheit aller Beschäftigten deutlich erhöht.
Topmanagement trägt Verantwortung
Um die kulturelle Vielfalt und faire Teilhabe zu systematisch zu erhöhen, beschreibt die Studie zahlreiche Maßnahmen, die Unternehmen umsetzen könnten. Sie lassen sich den folgenden Kategorien zuordnen:
- Topmanagement als Vorreiter: Hierzu gehören Maßnahmen wie die Definition klarer Diversitätsziele für Führungskräfte, glaubhaftes Vorangehen von Führungskräften, regelmäßiges Nachhalten der Diversitätsmaßnahmen und Ziele, aber auch die Einführung von Englisch als Unternehmenssprache.
- Recruiting und HR: Anonymisierte Bewerbungsverfahren und Programme zur gezielten Ansprache von Talenten mit Migrationshintergrund sowie formalisierte Prozesse zur Förderung und Weiterentwicklung von Talenten
- Unternehmenskultur: Eine geteilte Werte- und Leistungskultur sowie Benennung von Chancengleichheits-Beauftragten begünstigen eine inklusive Kultur, die faire Teilhabe aller Talente ermöglicht.
- Organisation: Auf Organisationsebene sollten Unternehmen nach außen hin als inklusiv positionieren, an öffentlichen Diskussionen teilnehmen und so dazu beitragen, die Attraktivität des Standort Deutschlands als Ganzes zu erhöhen.