Personalentwicklung im digitalen Zeitalter
Ein Beitrag aus unserer »Standpunkte«-Reihe von Dr. Daniela Kudernatsch, Straßlach.
Im digitalen Zeitalter benötigen die Mitarbeiter der Unternehmen nicht nur neue Kompetenzen, in ihm ist auch eine langfristige Personalplanung und -entwicklung kaum noch möglich. Deshalb überarbeiten zurzeit viele Unternehmen ihre Personal- und Führungskräfteentwicklungskonzepte.
»Digital leadership«, »digital leader« – seit zwei, drei Jahren geistern diese Begriffe durch die Managementdiskussion. Dass sie auf eine so große Resonanz stoßen, liegt unter anderem daran, dass die Unternehmen zunehmend erkennen: Die fortschreitende Digitalisierung stellt außer unseren Organisationsstrukturen auch unsere bisherigen Personalentwicklungskonzepte in Frage.
Strategische PE am Scheideweg
Als Gründe hierfür werden oft genannt:
- Eine langfristig orientierte Personalentwicklung und -planung ist in der VUCA-Welt (Abkürzung der Worte Volatility, Uncertainty, Complexity und Ambiguity) kaum noch möglich, weil sich die Strategien der Unternehmen und ihre Art, Probleme zu lösen, immer rascher ändern. Deshalb wissen die Unternehmen heute noch nicht, welche Kompetenzen sie und somit ihre Mitarbeiter in drei, fünf oder gar zehn Jahren brauchen.
- Der Veränderungs- und somit Lernbedarf ist in den Unternehmen heute oft so groß und dringlich, dass er zentral, also zum Beispiel von den Personalabteilungen, nicht mehr erfasst und in der erforderlichen kurzen Zeit mit zentral organisierten Personalentwicklungsmaßnahmen befriedigt werden kann.
- Der Qualifizierungsbedarf der Mitarbeiter ist in der digitalen Welt – unter anderem aufgrund ihrer unterschiedlichen Funktion in den Unternehmen und beruflichen Biografie – so verschieden, dass er top-down immer weniger befriedigt werden kann.
Personalentwickler werden Dienstleister
Daraus zogen viele Unternehmen bereits folgende Schlüsse:
- Die Verantwortung für die Personalentwicklung muss sich stärker auf die operative Ebene (also die Bereichs-, Abteilungs-, Teamebene) verlagern.
- Die Personalentwicklung muss sich stärker am individuellen Bedarf der Mitarbeiter und den Herausforderungen, vor denen sie aktuell stehen, orientieren.
- Die Mitarbeiter müssen mehr Eigenverantwortung dafür zeigen, dass sie kurz-, mittel- und langfristig über die benötigte Kompetenz verfügen (Stichwort: Employability). Und:
- Die Führungskräfte müssen ihre Mitarbeiter beim Entwickeln ihrer Kompetenz unterstützen und begleiten.
Dadurch verändert sich die Funktion der Personalentwicklungsabteilungen. In der Vergangenheit war eine ihrer Kernaufgaben, ausgehend von den strategischen Zielen des Unternehmens den kurz-, mittel- und langfristigen Qualifikationsbedarf in der Organisation zu erfassen und über zentral geplante und gesteuerte Maßnahmen das Gap zwischen benötigter und vorhandener Qualifikation zu schließen. In der VUCA-Welt verschiebt sich ihre Funktion in Richtung, eines Kompetenzentwicklungs-Dienstleisters für die Führungskräfte und Mitarbeiter, der diese bei der weitgehend selbstgeplanten und -gesteuerten Kompetenzentwicklung unterstützt. Außerdem bleibt es ihre Aufgabe, bei der Kompetenzentwicklung für ein gewisses Alignment zu sorgen, damit kein Wildwuchs entsteht – also die Kompetenzentwicklung so weit zu koordinieren, dass zum Beispiel die Führungskräfte weitgehend dasselbe Führungsverständnis haben.
Diese Dienstleister-Rolle zu akzeptieren, fällt mancher Personalentwicklungsabteilung schwer – auch weil damit nach Auffassung vieler Personalentwickler ein Bedeutungsverlust einhergeht. Zudem bedeutet dieser Funktionswandel: Die Personalentwickler müssen sich stärker als bisher auf die Shopfloor-Ebene, also an den Ort des Geschehens, begeben und sich mit den operativen Prozessen auf der Bereichs-, Abteilungs- und Teamebene befassen.
Führungskräfte werden (Digital) Leader
Doch auch Funktion von Führung wandelt sich – unter anderem, weil heute in den meisten Unternehmen deren Kernleistungen in bereichs- und hierarchie- und oft sogar unternehmensübergreifender Team- und Projektarbeit erbracht werden. Das heißt: Die Bereichs- und Abteilungsgrenzen werden durchlässiger und verlieren an Bedeutung. Für die Führungskräfte bedeutet dies: Sie müssen zunehmend in vernetzten Strukturen denken. Und: Sie müssen gute Netzwerker sein – unter anderem damit sie bereichsübergreifend im Dialog mit ihren Kollegen die Arbeitsstrukturen und -beziehungen so gestalten können, dass die (Bereichs-)Ziele erreicht werden.
Der zentrale Treiber dieser Entwicklung ist die Informationstechnologie. Sie ermöglicht neue Problemlösungen und durchzieht heute die meisten Unternehmen wie das Nervensystem den menschlichen Körper. Das bedeutet für die Führungskräfte: Sie müssen künftig stärker in digitalen Zusammenhängen denken und einschätzen können, was aktuell und in naher Zukunft technologisch möglich ist. Zugleich wird es verstärkt ihre Aufgabe, ihren Mitarbeiter vor Augen zu führen, welche Herausforderungen und Chancen sich hieraus ergeben; des Weiteren sie dazu zu ermutigen, diese aktiv zu nutzen.
Das setzt voraus, dass die Führungskräfte auch selbst bereit sind, ihre Denk- und Verhaltensgewohnheiten zu überdenken. Sie müssen sich zudem eingestehen, dass sie in der VUCA-Welt (allein) oft nicht über das erforderliche Wissen, Können und Know-how verfügen, um eine adäquate Lösung zu entwerfen. Also müssen sie offen sein für Rat und Unterstützung – sei es von Kollegen aus anderen Bereichen, externen Beratern oder Experten im eigenen Bereich, die bezogen auf die aktuelle Herausforderung einen Know-how- oder Erfahrungsvorsprung haben. Eine entsprechende Unterstützung müssen sie ihrerseits wiederum ihren Mitarbeiter gewähren – beim Lösen ihrer Aufgaben und beim Entwickeln ihrer Kompetenz.
Verabschieden müssen sich die Digital Leader von morgen zudem von der Fiktion: Veränderungen sind in der VUCA-Welt langfristig und im Detail planbar. In ihr gilt es, wenn weitreichende Veränderungen anstehen oder langfristige (Entwicklungs-)Ziele erreicht werden sollen, vielmehr ähnlich wie beim klassischen Lean Management vorzugehen, das auf eine kontinuierliche Verbesserung abzielt: Also ausgehend von einer vorläufigen Planung die ersten Schritte tun. Dann evaluieren: »Erzielen wir durch die Maßnahmen die gewünschte Wirkung?« Und dann abhängig vom Ergebnis, den Kurs entweder korrigieren oder den eingeschlagenen Weg weiter gehen. Das setzt voraus, dass die Führungskräfte in einem regelmäßigen, von Vertrauen geprägten Informationsaustausch mit ihren Mitarbeitern stehen, und sie und ihre Mitarbeiter bereit sind, sich Fehlversuche einzugestehen.
Digital Leader sind Lean Leader
Autorenangaben
Sie ist Autorin mehrerer Fachbücher zum Thema Strategieumsetzung.
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Einen solchen, von wechselseitigem Vertrauen, Kooperation auf Augenhöhe und regelmäßiger (Selbst-)Reflexion geprägten Führungsstil praktizieren noch wenige Führungskräfte. Deshalb feilen zurzeit viele Unternehmen an neuen Konzepten, wie sie ihren Führungs(nachwuchs)kräften die Kompetenzen vermitteln können, die sie im digitalen Zeitalter brauchen Dabei orientieren sie sich häufig am Lean Leadership-Development-Modell.
Dieses Modell unterscheidet in der Kompetenzentwicklung von Führungskräften vier Stufen.
Stufe 1: Sich als Führungskraft selbst entwickeln. Dahinter steckt die Annahme, dass in der VUCA-Welt eine Kernkompetenz von Führungskräften ist, das eigene Verhalten und Wirken zu reflektieren und die eigene Performance systematisch zu erhöhen.
Stufe 2: Andere Menschen coachen und entwickeln. Die zweite Kompetenz-Stufe besteht in der Fähigkeit, als Führungskraft andere Personen so zu entwickeln, dass diese ihrerseits die Kompetenz erwerben, ihr Verhalten und ihr Wirken zu reflektieren und eigene Lernprozesse zu initiieren.
Stufe 3: Das tägliche Sich-Verbessern (Kaizen) unterstützen. Hier geht es darum, Gruppen von Mitarbeitern (Teams, Abteilungen, Bereiche) in eine Richtung auszurichten und den kontinuierlichen Verbesserungsprozess zu sichern.
Unternehmen werden lernende Organisationen
Von einer Führungskräfteentwicklung, die sich an diesem Kompetenz-Modell orientiert, versprechen sich die Unternehmen eine höhere Innovationskraft ihrer Organisation; außerdem, dass sie sukzessiv zu einer Entlastung der Führungskräfte führt – und zwar in dem Maße, wie ihre Mitarbeiter die Kompetenz entwickeln, eigenständig ihr Verhalten und ihre Wirkung zu reflektieren und sich zu entwickeln. Denn je mehr Mitarbeiter eine gewisse Routine im eigenständigen Erkennen und Lösen von »Problemen« entwickelt haben, umso seltener müssen ihre Führungskräfte korrigierend und unterstützend eingreifen. Das entlastet sie. Und das Unternehmen? Es ist für das digitale Zeitalter und die VUCA-Welt gewappnet, da es sich zu einer lernenden Organisation entwickelt hat.
In unserer Reihe »Standpunkte« bieten wir von Zeit zu Zeit engagierten Akteuren aus den Bereichen Weiterbildung, Personalentwicklung und Wissensmanagement die Möglichkeit, sich mit einem aktuellen Thema an unsere Leser zu wenden. Unabhängig vom jeweiligen Inhalt weisen wir darauf hin, dass diese Artikel ausschließlich die Meinung des jeweiligen Autors wiedergeben und nicht zwangsläufig mit der Auffassung der Redaktion in Einklang zu bringen sind.
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