Studienabbrecher und Fachkräftemangel
Ein Beitrag aus unserer »Standpunkte«-Reihe von Dr. Gerhard Breitkreuz, Kiel.
Die Ausgangslage: Die Entdeckung der Studienabbrecher als personelle Alternative.
Das Thema »Fachkräftemangel« grassiert seit einigen Jahren in den europäischen Ländern. Dabei ist die aktuelle Ausgangslage in den einzelnen Ländern und Regionen weit auseinandergespreizt. Die Jugendarbeitslosigkeit ist in den südlichen Ländern mit Höchstständen von 40 % prekär, in anderen regionen wie z.B. in Süddeutschland macht man sich Sorgen, den Qualifikationsbedarf der Unternehmen zu decken.
Die zu Tage tretenden Differenzen in den Ländern sind von demografischen und anderen sozioökonomischen Faktoren geprägt. Es gibt Länder - wie Frankreich – die eine dauerhaft hohe Geburtenziffer aufweisen, aber deren Wirtschaftswachstum und eine senoritätsorientierte Einstellung de Unternehmerschaft es verhindern, dass es zu einer spürbaren Reduktion der Arbeitslosigkeit bei den unter 25-Jährigen kommt. Auf der anderen Seite bemühen sich die skandinavischen Länder, aber auch in prosperierender Weise Deutschland und Österreich, um alternative Strategien, um den zukünftigen Problemdruck eines Mangels von Fachkräften in den Griff zu bekommen.
Durch die Akademisierung der Berufsausbildung gibt es aktuell mit über 2.5 Millionen Studenten, mehr Studienanfänger als Auszubildende. Es ist jetzt schon absehbar, dass aber die Bewerber und die zukünftigen Ausgelernten aus dem dualen Berufsausbildungssystem der Bundesrepublik Deutschland nicht mehr ausreichen werden, um den Bedarf an bestimmten handwerklichen oder sozial-pflegerischen Fachkräften zu decken. Trotz des Bologna-Prozesses brechen Studenten – im bundesdeutschen Durchschnitt 28 % - ihr Studium aus unterschiedlichen Gründen ab, sie suchen nach Alternativen im bundesdeutschen dualen Ausbildungssystem.
Jeder Studienabbrecher verursacht gesellschaftliche Kosten
Trotz diese Unterschiede in der Qualifikations- und Bildungspolitik sollte man de volkswirtschaftlichen Schaden, der durch Studienabbrüche, Ausbildungsplatzabbrüche und anderen Fehlallokationen entsteht, generell nicht unterschätzen. Dieser Aspekt umfasst nicht nur die direkten Kosten, die die Bundesländer in die als Ausgaben pro Studienplatz investieren. Nach den aktuellen Zahlen des Statistischen Bundesamtes betragen die Kosten pro Studienplatz zwischen 6.666 Euro in Brandenburg bis fast 13.000 Euro in Mecklemburg -Vorpommern, Schleswig-Holstein liegt mit lediglich 9.666 Euro in der knappen Mitte.
Grundsätzlich bedeutet ein Studienabbruch – oder wie von uns noch konkreter zu erfassen – ein Jahr der Studienabbruchverzögerung! – einen Verlust an Bruttowertschöpfung. Darüber ist man sich in Deutschland bewusst. Studien des Hochschulinfornationssystems (HIS), des Stifterverbandes der Wissenschaft und der OECD zeigen, dass die Rendite eines Akademikers gegenüber eines Facharbeiters um 2/3 größer ist. Die Rendite beträgt mittlerweile 7% oder ungefähr eine halbe Million Euro im Berufsleben.
Eine frühzeitige Umorientierung, oder gar Verhinderung des Abbruches, sind konkrete Steuereinnahmen und Ausgabenreduzierungen für die Bundesländer. Somit existiert eine eindeutige Korrelation zwischen der Anzahl der Studienplätze und dem Wirtschaftswachstum des Bundeslandes. Deshalb gibt es auch offensichtliche Ungleichgewichte an einzelnen Hochschulen oder in einzelnen Bundesländern.
Gründe und Strategien Studienabbrecher zu integrieren
Um bei der Integration erfolgreich zu sein, braucht man marktrelevante Partner: neben den Hochschulen, Kammern und der Bundesagentur der Arbeit Wirtschaftsförderer und die regionalen Unternehmen selbst.
Für die Universitäten und Fachhochschulen steigt das Renommee der ausgewählten Studienorte, wenn die Quote der Studienabbrecher gering ist. So wird nicht nur die Anzahl der erfolgreich Exmatrikulierten und wohl integrierten Absolventen ein gewichtiges Qualitätsargument sein, sondern auch die Anzahl der Studienabbrecher und deren Integration zu einem anerkannten und soliden Akkreditierungsargument werden. Gerade auch dann, wenn die Anzahl der Studenten in Deutschland auf breiter Front (ab dem Wintersemester 2016/2017) sinken wird. Dann stehen die mittlerweile über 9.000 ausdifferenzierten Bachelor- und Masterstudiengänge auf dem Prüfstand. Dann wird auch ein Qualitätsmesser die Studienabbrecherquote sein.
Das hat zu einer Studienabbrecher - Initiative in Norddeutschland geführt. Nach einer gemeinsamen Auswertung durch den bundesweiten Bildungsträger Grone gibt es an den Hochschulen der Bundesländer Schleswig-Holstein und Hamburg überdurchschnittliche Abbrecherquoten. Davon sind nicht nur die traditionell mit 50 % betroffenen Studiengänge in Mathematik oder Ingenieurwissenschaften tangiert, sondern auch eine Vielzahl von anderen Fächern. Während bundesweit ungefähr 28% ein Studium abbrechen, sind es in diesen Bundesländern über 35%.
Ein weitere Aspekt dieser Initiative wird darin gesehen, dass nicht nur die Anzahl der Studienabbrecher reduziert werden soll, sondern auch mit Hilfe einer guten externen und internen Beratung an den Hochschulen und den Bundesagenturen für Arbeit selbst der Studienabbruch verhindert werden soll. Dabei soll relativ schnell über den Matchingprozess mit Ausbildungsstellen der Kammern, den örtliche und überörtlichen Arbeitsagenturen und den Career-Centern an den Hochschulen eine optimale Tätigkeit für den (latenten) Studienabbrecher gefunden werden. Das Gute ist, dass das das deutsche Ausbildungssystem unterschiedliche gut funktionierende Alternativen anbietet. Das kann eine qualifizierte duale Ausbildung ebenso sein, wie das Studium an einer berufsbetonten Hochschule. Das wird aus unterschiedlichen Gründen ein spannender Prozess. Zum einen sind die unterschiedlichen Motivationen und Studienlängen der Abbrecher zu berücksichtigen, zum anderen sollen die Kompetenzen mit angerechnet werden. Eine interessante Überlegung in diesem Projekt sind Anrechnungsmöglichkeiten von Modulen und Creditpoints auf die duale Ausbildung, damit für beide Partner der Ausbildung dieser Weg attraktiv wird.
Zum Autor: Dr. Gerhard Breitkreuz ist Diplom-Betriebswirt, Diplom-Pädagoge und promovierter Soziologe. Er verfügt über langjährige Berufserfahrungen in der Weiterbildung und als Lehrbeauftragter für Soziologie an der Universität Kiel.
In unserer Reihe »Standpunkte« bieten wir von Zeit zu Zeit engagierten Akteuren aus den Bereichen Weiterbildung, Personalentwicklung und Wissensmanagement die Möglichkeit, sich mit einem aktuellen Thema an unsere Leser zu wenden. Unabhängig vom jeweiligen Inhalt weisen wir darauf hin, dass diese Artikel ausschließlich die Meinung des jeweiligen Autors wiedergeben und nicht zwangsläufig mit der Auffassung der Redaktion in Einklang zu bringen sind.
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