Die Kultur entscheidet
Ein Beitrag aus unserer »Standpunkte«-Reihe von Dr. Georg Kraus, Bruchsal.
Warum sind manche Unternehmen nur mittelmäßig und andere Spitze? Zum Beispiel beim Ertrag oder Service. Oder beim Entwickeln neuer Produkte. Liegt es an der Strategie? Oder an den Prozessen? Zumeist nicht! In der Regel liegt es an der Unternehmens- und Führungskultur.
Was entscheidet darüber, ob ein Unternehmen zu den Low- oder High-Performern in seinem Markt zählt? Ob es eine Umsatzrendite von fünf oder zwölf Prozent erzielt? Ob sein Umsatz pro Jahr um zehn oder 20 Prozent wächst? Ob es aus Marktkrisen angeschlagen oder gestärkt hervor geht? Die Standardantwort beziehungsweise spontane Antwort auf diese Frage lautet meist: seine Strategie.
Schaut man jedoch genauer hin, stellt man oft fest: Dass die Strategie stimmt, ist zwar für den Erfolg eines Unternehmens sehr wichtig. Denn wenn es in die falsche Richtung marschiert, kann es auch nicht zum Ziel kommen. Doch dafür, wie erfolgreich ein Unternehmen ist – und ob es eher zum Branchendurchschnitt oder zu den High-Performern in seinem Markt zählt – ist ein anderer Faktor entscheidend: die Unternehmenskultur und insbesondere die Führungskultur.
Die strategischen Optionen sind meist begrenzt
Denn faktisch sind die strategischen Optionen der meisten Unternehmen begrenzt. Denn sie haben eine historisch gewachsene Kultur, Struktur und Kompetenz. Zudem bewegen sie sich im selben Marktumfeld wie ihre Mitbewerber. Entsprechend gleichlautend klingen zumeist die strategischen Grundaussagen der Unternehmen – zuweilen sogar branchenübergreifend. »Wir wollen uns vom Produktelieferanten zum Systempartner unserer Kunden entwickeln«. »Wir wollen die Technologie- oder Serviceführerschaft in unserem Markt erringen«. »Wir wollen uns vom Monoprodukt- zum Allfinanzanbieter entwickeln«. »Wir wollen ein Global Player werden«.
Häufig muss man denn auch beim Lesen der strategischen Verlautbarungen von Unternehmen gähnen – so gleichförmig sind sie. Nicht aufgrund mangelnder Kreativität der Unternehmensführer, sondern weil die Unternehmen faktisch oft nur zwei, drei strategische Optionen haben – und zwar dieselben wie das Gros ihrer Mitbewerber.
Unterscheidungsmerkmal: (Führungs-)Kultur
Worin sich Unternehmen jedoch unterscheiden ist die Konsequenz, mit der
- aus den strategischen Grundsatzentscheidungen die erforderlichen Folgeentscheidungen abgeleitet werden,
- aus den Folgeentscheidungen wiederum die nötigen Maßnahmen abgeleitet werden und
- mit der die Führungskräfte darauf drängen, dass den beschlossenen Maßnahmen auch das erforderliche Alltagshandeln folgt.
Die Unternehmen unterscheiden sich letztlich also darin, wie schnell sie aus Erkenntnissen die nötigen Schlüsse ziehen und wie konsequent und nachhaltig diese im Firmenalltag in konkretes Handeln umgesetzt werden – so dass letztlich die Ziele erreicht werden. Und dies ist eine (Führungs-)Kulturfrage.
Und genau hier klemmt es häufig in Unternehmen. Oft stellt man fest, dass deren oberste Führung strategische Ziele definiert, die es kurz-, mittel- oder langfristig zu erreichen gilt. Zum Beispiel: Wir möchten die Serviceführerschaft erringen. Oder: Wir wollen unseren Marktanteil um fünf Prozent steigern. Oder: Wir wollen die Durchlaufgeschwindigkeit bei Aufträgen um ein Viertel erhöhen.
Daraufhin setzen sich die Führungskräfte mit ihren Mitarbeitern zusammen. Gemeinsam ermitteln sie, was dies für ihre Arbeit bedeutet, und vereinbaren, was es zu tun gilt, damit ihr Bereich den nötigen Beitrag zum Erreichen der Ziele leistet. All das wird genau definiert und auf Papier fixiert. Doch dann kehren die Beteiligten zur Alltagsarbeit zurück und ihr Blick richtet sich erneut auf die Schreibtische, die vor Aufgaben überquellen. Und nur wenige Tage später sind zahlreiche Vereinbarungen vergessen – solange bis das nächste Mitarbeiter-, Team- oder Jahresgespräch ansteht, bei dem geprüft wird: Was haben wir geschafft? Dann stellen alle verdutzt fest: Viele Vereinbarungen wurden nicht umgesetzt und manch (Teil-)Ziel auf dem Weg zum großen Ziel wurde nicht erreicht. Insbesondere von den qualitativen Zielen, wie zum Beispiel
- die Fehlerquote zu senken,
- die Lieferfristen zu verkürzen und
- die Zusammenarbeit zu verbessern,
gingen zahlreiche in der Hektik des Arbeitsalltags unter.
Kultur der »tolerierten Mittelmäßigkeit«
Mit diesem Problem kämpfen viele Unternehmen hierarchie- und bereichsübergreifend – unter anderem, weil ihre Mitarbeiter inklusive Führungskräfte im Alltag die Erfahrung sammeln
- »Nichts wird so heiß gegessen wie es gekocht wird« und
- »Die Beschlüsse von heute sind morgen Schnee von gestern« und
- »Wenn ich so weitermache wie bisher, hat dies keine negativen Konsequenzen«.
Deshalb entwickelt sich in den Unternehmen mit der Zeit eine Kultur der Inkonsequenz – also tolerierten Mittelmäßigkeit. Das heißt, die Organisation erbringt keine Top-Leistungen mehr. Folglich sackt sie, selbst wenn sie mal zu den Top-Performern im Markt zählte, allmählich ins Mittelmaß ab.
Solche Entwicklungsprozesse beobachtet man oft in Unternehmen. Und häufig stört das niemanden – solange Umsatz und Ertrag stimmen. Als bedrohlich wird das ewige Aufschieben und »Darüber-hinweg-Sehen« erst empfunden, wenn plötzlich
- Marktanteile wegbrechen,
- die Rendite sinkt oder
- die Kunden den Mitbewerbern eine höhere Qualität attestieren
– scheinbar ganz unverhofft, aber faktisch, weil das Unternehmen sich langsamer als die Konkurrenz entwickelte.
Dann wird der Führungsriege oft über Nacht klar: Wir haben zwar viele sinnvolle und nötige Beschlüsse gefasst, doch leider wurden sie nicht konsequent umgesetzt. Unter anderem,
- weil wir uns vom Alltagsgeschäft auffressen ließen, so dass wichtige Aufgaben liegen blieben, und
- weil wir, wenn wir das Versäumnis registrierten, oft dachten: »Macht nichts. Das kann auch noch morgen erledigt werden«. Wobei auf das Morgen stets ein anderes Morgen folgte.
Auf die Kernaufgabe von Führung besinnen
Eine Ursache hierfür ist: Keine andere Funktion in den Unternehmen wurde in den zurückliegenden Jahren ideologisch so überfrachtet wie die Führungsfunktion. In Vergessenheit geriet dabei teilweise, was die zentrale Aufgabe jeder Führungskraft ist: Sie muss sicherstellen, dass ihr Bereich seine Ziele erreicht und seinen Beitrag zum Erfolg des Unternehmens leistet. Dieser Aufgabe ordnen sich alle anderen Führungsaufgaben wie das Fördern der Mitarbeiter unter. Mehr noch: Sie leiten sich hieraus ab.
In Vergessenheit geriet zudem, was Alfred Herrhausen, der 1989 ermordete Vorstandssprecher der Deutschen Bank, einmal als zentrale Anforderung an Führungskräfte formulierte: »Wir müssen das, was wir denken, auch sagen. Wir müssen das, was wir sagen, auch tun. Wir müssen das, was wir tun, auch sein«. Das heißt: Die tollsten Entscheidungen nutzen wenig, wenn die Führungskräfte nicht deren Umsetzung einfordern und durch ihr Alltagsverhalten ihren Mitarbeitern signalisieren: Konsequenz beim Umsetzen ist Pflicht.
Mehr Konsequenz beim Führen zeigen
Der Aufbau einer Kultur der Konsequenz in Unternehmen setzt zunächst ein Umdenken der Führungskräfte voraus. Ihr eigenes Handeln muss sich stärker an der Maxime orientieren: Getroffene Entscheidungen werden auch umgesetzt. Zudem muss sich ihr eigenes Verhalten stärker an den Zielen und getroffenen Vereinbarungen orientieren – denn sie haben eine Vorbildfunktion für ihre Mitarbeiter.
Oft verkünden Führungskräfte zwar Ziele wie »Wir wollen die Nummer 1 in Sachen Service werden« oder »Wir wollen uns zum Systemanbieter entwickeln«. Wenn daraus aber die nötigen Schlüsse für den Arbeitsalltag gezogen werden müssten, dann kommunizieren sie ihren Mitarbeitern: »Ja, es stimmt, dass wir das erreichen möchten. Aber jetzt sind andere Dinge wichtiger ..«. Sie vermitteln also ihren Mitarbeitern »So wichtig ist das, was wir vereinbart haben, auch wieder nicht« und definieren somit die Prioritäten im Arbeitsalltag neu. Also verhalten sich ihre Mitarbeiter entsprechend. Führungskräfte sollten deshalb regelmäßig prüfen: Spiegeln sich in meinem Alltagshandeln und in meinen alltäglichen Entscheidungen die kommunizierten übergeordneten Ziele wider?
Eine Kultur der Inkonsequenz wird auch dadurch gefördert, dass viele Führungskräfte in den Gesprächen mit ihren Mitarbeitern die vereinbarten (Teil-)Ziele nicht ausreichend operationalisieren. Sie leiten aus den übergeordneten Zielen nicht ab, was dies für das Verhalten der Mitarbeiter im Arbeitsalltag bedeutet. Zum Beispiel: Wie sollen künftig Angebote gestaltet sein und nachgefasst werden? Oder: Was tun wir, wenn wir registrieren, dass wir einen Termin nicht halten können? Sie definieren auch keine Meilensteine, die es auf dem Weg zum großen Ziel zu erreichen gilt. Und falls doch, kontrollieren sie nicht regelmäßig, ob sich ihr Bereich noch auf dem rechten Weg befindet. Folglich können sie letztlich nur das Erreichen oder Nicht-Erreichen der Ziele konstatieren.
Kernaufgabe: Den Bereich zum Erfolg führen
Diese Defizite lassen sich zum Teil auch darauf zurückführen, dass vielen Führungskräften nicht ausreichend bewusst ist: Das Delegieren von Aufgaben ist zwar ein Teil der Führungsfunktion, das entlässt mich aber nicht aus der Verantwortung für die Ergebnisse. Also müssen Führungskräfte auch kontrollieren, inwieweit ihre Mitarbeiter ihre Aufgaben und Befugnisse adäquat wahrnehmen – denn nur dann können sie bei Bedarf gegensteuern und sicherstellen, dass die Ziele doch noch erreicht werden.
VERWEISE