Coaching im digitalen Zeitalter

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Uwe Reusche 2 Ein Beitrag aus unserer »Standpunkte«-Reihe von Uwe Reusche, Urbar.

Wie sinnvoll ist es, die moderne Informations- und Kommunikationstechnologie für unsere Coachings zu nutzen? Das fragen sich zurzeit viele Coaches – unter anderem, weil sich neben den Lebens- und Arbeitsbedingungen ihrer Klienten deren Kommunikationsgewohnheiten verändert haben.

»Digitale Transformation« – so lautet aktuell ein Buzz-Wort in der Management-Diskussion. Damit verbunden ist die Erwartung, dass der Fortschritt im Bereich der modernen Kommunikations- und Informationstechnologie die Prozesse in den Unternehmen radikal verändern wird - auch im Bereich der betrieblichen Weiterbildung und Personalentwicklung.

Fakt ist bereits heute: Die zwischenmenschliche Kommunikation hat sich in den zurückliegenden ein, zwei Jahrzehnten stark verändert. Sie erfolgt zunehmend im virtuellen Raum. Deshalb stellt sich auch für Coaches die Frage: Sollen wir die moderne Kommunikations- und Informationstechnik stärker für unsere Arbeit nutzen und diese (partiell) in den virtuellen Raum verlagern?

Credo: Coaching setzt persönliches Treffen voraus

Für die meisten berufserfahrenen Coaches gilt: Sie haben ihr Coaching-Handwerk in vielen Präsenztrainings erlernt, und in zahlreichen Coaching-Sitzungen, in denen ihnen der Coachee – also die Person, die gecoacht wurde – gegenüber saß. Hieraus erwuchs ihre innere Überzeugung: Zum Coachen bedarf es eines persönlichen Treffens und Kontakts. Und diese Sichtweise wurde im Verlauf der Jahre immer wieder als »richtig« bestätigt.

Trotzdem stellt sich die Frage: Sollten Coaches diese Grundeinstellung überdenken, weil heute ihre Klienten und die Rahmenbedingungen zunehmend etwas anderes (er-)fordern? Um hierauf eine adäquate Antwort zu finden, lohnt es sich, noch einmal zu fragen: Was ist Coaching?

Laut Wikipedia ist das Wort Coaching ein Sammelbegriff, der die unterschiedlichen Beratungsmethoden zusammenfasst. Gemeinsam ist ihnen, dass sie darauf abzielen, die Lösungskompetenz des Coachees zu steigern und dessen individuelle Ressourcen zu aktivieren. Im Verlauf dieses Prozesses führt der Coach den Coachee durch unterschiedliche Settings von einer problemorientierten zu einer handlungsorientierten Denkweise mit verschiedenen Handlungsoptionen.

Persönliche Begegnung erweitert Wahrnehmung

Diese Coaching-Definition setzt nicht explizit ein persönliches Treffen von Coach und Coachee voraus. Erfahrene Coaches wissen jedoch: Ein persönliches Sich-Begegnen und Miteinander-Sprechen ist sehr hilfreich beim Coachen, denn es ermöglicht, ein intensiveres Wahrnehmen und somit oft auch angemesseneres Reagieren auf die gecoachte Person als zum Beispiel ein Kontakt per Mail oder Telefon; zudem erleichtert es den Beziehungs- sowie Vertrauensauf- und -ausbau.

Coaching-Sitzungen lösen bei Menschen oft intensive innere Prozesse aus: Es wird etwas »bewegt«. Diese innere Bewegung artikuliert sich außer durch verbale Äußerungen unter anderem in einer veränderten Stimmlage, Sprechgeschwindigkeit und Lautstärke. Und noch deutlicher zeigt sie sich oft in der Körpersprache – zum Beispiel in einer veränderten Sitzposition/Körperhaltung, nervösen Arm- oder Beinbewegungen, Muskelanspannungen.

Solche Beobachtungen signalisieren dem Coach, welche Prozesse im Coachee ablaufen. Sie helfen ihm, den Coachee beim Finden der Lösung zu begleiten. Sie ermöglichen es ihm zudem, festzustellen, ob der Coachee sich noch in einem Problemzustand befindet oder schon in einer Lösungsphysiologie. Seine Wahrnehmungen und hieraus resultierenden Vermutungen kann der Coach dem Coachee spiegeln und so neue Impulse in das »System« des Gegenübers geben. Dies alles sind Gründe, die für eine persönliche Begegnung von Coach und Coachee sprechen.

Nachteile des klassischen Coachings

Das klassische Coaching hat jedoch auch Nachteile. So vergeht zum Beispiel nach einer Coachingsitzung stets eine mehr oder minder lange Zeit, bis sich der Coach und der Coachee erneut treffen. Treten in dieser Zeit Fragen auf, die der Coachee gerne schnell besprechen möchte, steht der Coach oft nicht zeitnah zur Verfügung. Das heißt, der Coachee muss häufig bis zum nächsten Termin warten, bis er seine Frage stellen kann – sofern er sie bis dahin nicht vergessen hat. Deshalb ist es sinnvoll, über
Alternativen beziehungsweise Ergänzungen zum klassischen Coaching nachzudenken.

Hinzu kommt: Die Coaching-Rahmenbedingungen haben sich verändert. Heute ist der Faktor Zeit oft der zentrale Engpassfaktor beim Coachen – nicht nur auf Seiten des Coachees, der häufig einen sehr engen Terminkalender hat und sich eine schnelle Lösung seines »Problems« wünscht. Ähnlich verhält es sich beim Coach. Auch bei ihm ist der Terminkalender meist der zentrale Engpass, wenn es darum geht, wie viele Coachees er begleiten und wie intensiv er diese unterstützen kann.

Mangelnde Begleitung zwischen Coaching-Sitzungen

Zudem hat sich die Lebens- und Arbeitswelt der Coachees verändert: Die Bereiche »Arbeit« und »Freizeit«, die früher durch die Begriffe »Feierabend« und »Wochenende« getrennt waren, verschmelzen gerade bei beruflich stark engagierten Personen immer mehr. Und der zunehmende Zeitdruck machen es für die Coaches und Coachees immer schwieriger, einen Termin zu finden. Außerdem haben die Coachees zwischen den Coaching-Sitzungen seltener die erforderliche Muße und Zeit, um das beim Coaching Besprochene nochmals zu reflektieren, um dem »Neuen« auch innerlich Raum zu geben. Die Folge: Das in den Sitzungen Besprochene »verpufft« häufig – sofern zwischenzeitlich keine Begleitung erfolgt. Und weil sich viele Menschen und somit auch Coachees zunehmend »ausgelaugt« fühlen, erfahren sie die Coaching-Termine oft eher als Zusatz-Belastung denn als hilfreiche Unterstützung.

Die modernen Medien für das Coaching nutzen

Deshalb stellen sich die Fragen:

  • Sind heute andere Coaching-Settings sinnvoll als in der Vergangenheit? Und:
  • Empfiehlt es sich, verstärkt auf Coaching-Designs zu setzen, die Präsenz-Coachings, bei denen sich der Coach und Coachee treffen, mit Coachingformaten verknüpfen, bei denen der Coach und der Coachee mit Hilfe der elektronischen Medien miteinander kommunizieren – ähnlich wie dies im Bereich Weiterbildung bei Blended Learning-Konzepten bereits geschieht?

Für solche Designs stellt die moderne Kommunikationstechnologie Coaches viele Tools bereit.

Email-Coaching
Diese Form der Kommunikation praktizieren bereits viele Coaches. Das heißt, sie stellen den Coachees zwischen den Coachingsitzungen zum Beispiel per Mail den Transfer sichernde Aufgaben und beantworten Fragen, die beim Coachee auftauchen.

Vorteile:

  • ermöglicht einen persönlichen Kontakt zwischen den Coaching-Treffen
  • sorgt dafür, dass das Coaching-Anliegen zwischen den Treffen nicht in Vergessenheit gerät
  • Fragen können zeitnah beantwortet werden

Nachteile:

  • Coach und Coachee sehen und hören sich hierbei nicht
  • rein schriftliche Kommunikation erschwert Wahrnehmung inner-persönlicher Prozesse beim Coachee; Fehlinterpretationen sind deshalb leicht möglich
  • ein echter Dialog findet anders als beim persönlichen Coaching nicht statt

WhatsApp-Coaching
Letztlich eine spezielle Form des Email-Coachings, bei der über Smartphones jedoch auch kurze Sprach- und Video-Nachrichten versendet werden können.

Vorteile:

  • Coachee hört zwischenzeitlich auch mal die Stimme des Coaches und sieht ihn (sowie umgekehrt); das stärkt die persönliche Beziehung
  • Sprach- und Videonachrichten transportieren auch Signale über das »Befinden« des Coachees

Nachteile:

  • eher für Kurznachrichten geeignet; ungeeignet zum Bearbeiten komplexer Probleme, Fragestellungen; auch weil kein echter Dialog erfolgt.

Video-Coaching
Coaching mit Hilfe solcher visuellen Medien wie Skype, und Facetime.

Vorteile:

  • ermöglicht ein Coachen von Einzelpersonen und Teams auf Distanz, bei dem das Gegenüber und seine Reaktionen auch akustisch und visuell wahrgenommen werden
  • Reisezeiten entfallen
  • kurzfristig planbar
  • echter Dialog, bei dem ein spontanes Reagieren auf das Gesagte und Wahrgenommene möglich ist.

Nachteile:

  • Wahrnehmung des Gegenübers ist auf das von der Kamera Aufgezeichnete beschränkt

Telefon-Coaching
Auch diese Form des Coachings wird von vielen Coaches schon selbstverständlich zum Coachen von Einzelpersonen und Teams genutzt.
Vorteile:

  • ähnlich wie beim Video-Coaching, nur dass die visuelle Wahrnehmung entfällt
  • Medium Telefon steht (fast) jederzeit zur Verfügung
  • niedrige Hemmschwelle; Coachees sind den Umgang mit dem Telefon gewohnt

Nachteile:

  • Wahrnehmung der körperlicher Reaktionen des Gegenübers entfällt weitgehend, sofern diese sich nicht über die Stimme artikulieren
  • höheres Risiko von Fehleinschätzungen als bei Video-Coaching

Apps für den Coachingprozess nutzen

Neben den genannten Medien spielen Apps in unserem Leben eine immer bedeutendere Rolle. Viele Menschen nutzen sie bereits ganz selbstverständlich zum Sprachen-lernen oder als Selbst-Coaching-Instrumente – zum Beispiel, wenn es darum geht, regelmäßig Sport zu treiben oder das Gewicht zu reduzieren.

Auch klassische Coachingprozesse lassen sich mit Apps zeitgemäßer und dynamischer gestalten. So können zum Beispiel mit Hilfe einer App dem Coachee alle relevanten Infos über den Coachingverlauf, die getroffenen Vereinbarungen usw. zur Verfügung gestellt werden. Zudem kann der Coach dem Coachee zwischen den Sitzungen Aufgaben stellen, die dieser, wenn er hierfür Zeit und Muße hat, bearbeiten kann. Außerdem können sich via App mehrere Coachees zu einer Gruppe zusammenschließen und sich in einem Chat-Raum über Erfahrungen und mögliche Problemlösungen austauschen. Und der Coach kann diesen Prozess, sofern gewünscht, moderierend und Input gebend begleiten.

Coaches müssen mit der Zeit gehen

Coaches haben heute viele Möglichkeiten, Coaching-Designs zu entwerfen, die Präsenz-Coachings mit Coachingformen, die die moderne Informations- und Kommunikationstechnik nutzen, verknüpfen – ähnlich wie dies im Bereich Weiterbildung in den Blended-Learning-Konzepten bereits geschieht. Welche Verknüpfungen zielführend sind, gilt es ziel-, bedarfs- und themenabhängig sowie abhängig davon, wer die zu coachenden Personen sind, zu entscheiden.

Zum Teil macht die moderne Informations- und Kommunikationstechnik ein Coachen jedoch erst möglich – so zum Beispiel, wenn der Coach und der Coachee weit voneinander entfernt wohnen. Entsprechendes gilt bei Team- und Gruppen-Coachings, bei denen die Teilnehmer an unterschiedlichen Orten leben, so dass ein persönliches Treffen mit sehr hohen Reisekosten und langen Reisezeiten verbunden wäre. Hier macht das Nutzen der modernen Informations- und Kommunikationstechnologie ein Coaching oft erst ökonomisch vertretbar. Deshalb sollten sich Coaches intensiv mit den Coachingmöglichkeiten befassen, die ihnen die moderne Technik bietet. Sie sollten also, soweit pädagogisch sinnvoll, mit der Zeit gehen, damit sie nicht mit der Zeit gehen müssen, also vom Markt verschwinden – weil ihr Coachingangebot nicht mehr dem Bedarf ihrer Zielkunden und den Marktanforderungen entspricht.

 


{tab Über den Autor}

Uwe Reusche 2

 
Uwe Reusche  ist einer der beiden Geschäftsführer des ifsm Institut für Sales & Managementberatung, Urbar bei Koblenz, das unter anderem zertifizierte Sales- und Change-Coaches ausbildet..
 

 

 
 
 
 
 
In unserer Reihe »Standpunkte« bieten wir von Zeit zu Zeit engagierten Akteuren aus den Bereichen Weiterbildung, Personalentwicklung und Wissensmanagement die Möglichkeit, sich mit einem aktuellen Thema an unsere Leser zu wenden. Unabhängig vom jeweiligen Inhalt weisen wir darauf hin, dass diese Artikel ausschließlich die Meinung des jeweiligen Autors wiedergeben und nicht zwangsläufig mit der Auffassung der Redaktion in Einklang zu bringen sind.

 

 

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