Kompetenzmanagement: Kompass zur Navigation durch die digitale Transformation
Ein Beitrag aus unserer »Standpunkte«-Reihe von Markus Dohm, Köln.
Durch das Internet der Dinge und den verstärkten Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) in Wirtschaft und Gesellschaft entwertet sich Fachwissen immer schneller, KI-Systeme übernehmen repetitive menschliche Arbeit. Berufliche (Weiter-)Bildung muss nicht nur Wissen vermitteln und Methoden trainieren, die den neuen Aufgaben entsprechen, sondern Unternehmen und Mitarbeiter darin unterstützen, Kompetenzen zu entwickeln, um in einer sich wandelnden Arbeitswelt weiterhin handlungsfähig zu bleiben. »Der Einsatz von Kompetenzmodellen ist im Rahmen der digitalen Transformation für Unternehmen wichtiger denn je«, so Markus Dohm, Leiter des Geschäftsbereichs Academy & Life Care bei TÜV Rheinland, »zur Sicherung der Zukunftsfähigkeit des Unternehmens, als Teil des betrieblichen Gesundheitsmanagements bis hin zum Schutz vor Arbeitslosigkeit«.
Eine Erstqualifikation und daraus entstandene Fertigkeiten, Methoden und Fachwissen sind notwendige Voraussetzung für beruflichen Erfolg. Sie sind aus unternehmerischer Sicht aber nur ein Teilaspekt bei der Mitarbeiterentwicklung. Wichtiger ist das, was Mitarbeiter aus ihren Fähigkeiten machen, wie sie Problemstellungen in der Praxis angehen. Vor allem in komplexen Situationen, in denen die bekannten Regeln, die alten Kenntnisse und Fertigkeiten nicht mehr zur Problembewältigung ausreichen, müssen Mitarbeiter selbstorganisiert die unbekannte Herausforderung lösen können. Und genau dafür brauchen sie die entsprechende Kompetenz und das gleich auf mehreren Handlungsfeldern. Trotz Wissens- und Erfahrungslücken müssen sie bereit und in der Lage sein, sich selbstlernend einer Lösung zu nähern und eine Entscheidung zu treffen. Handlungskompetenz setzt Eigeninitiative und Selbststeuerung voraus, nicht nur bei Managern, sondern immer häufiger auch in vermeintlich einfachen Positionen. Vor allem Teams müssen sich dafür Lernräume erschließen, in denen sie durch Reflektion ihrer Arbeit eine permanente Situation des Erfahrungslernens schaffen.
Kompetenzmanagement und der Einsatz eines Kompetenzmodells ist deshalb für jedes Unternehmen mit Zukunftsperspektiven ein wichtiges Mittel für die Weiterentwicklung der Organisation und seiner Mitarbeiter, unabhängig vom individuellen Eingangsniveau. Ein Kompetenzmodell beschreibt die im Unternehmen vorhandenen und benötigten Kompetenzen für alle Arbeitsprozesse und bildet faktisch die Unternehmensstrategie ab. Es unterstützt die beständige Entwicklung der Organisation - sowohl bei der Personalentwicklung aktueller Mitarbeiter als auch bei der Gewinnung und Eingliederung neuen Personals oder der Änderung in kompletten Wertschöpfungsprozessen. Typisch sind im Kompetenzmanagement Cluster wie Fachkompetenz, Methodenkompetenz, Sozialkompetenz, Persönlichkeits- und personale Kompetenzen sowie Führungskompetenz.
Wie geht man die Einführung eines Kompetenzmanagements im Unternehmen am besten an?
Grundlage ist die Analyse und Definition von Einzelkompetenzbereichen und ihren Ausprägungen an der konkreten Aufgabe, Tätigkeit bzw. Jobrolle. Wichtige Erfolgsfaktoren sind neben der Entwicklung relevanter Kompetenzprofile die unabhängige Kompetenzfeststellung und -bewertung der Mitarbeiter sowie die Entwicklung von Programmen zum Schließen von Kompetenzlücken. Wer das notwendige Know-how nicht im Hause hat, ist mit externer Unterstützung gut beraten. Denn hinter jedem Kompetenzmodell sollte ein solides Informationsmanagement stehen: Wie wurden die Kompetenzen erhoben (Ableitung aus einer Formalqualifikation, Test, Fragebogen, Lernmodul oder Praxisbeurteilung)? Wie wurden sie bewertet und wie wurde ermittelt, dass die Kompetenzen tatsächlich individuell vorhanden sind? Transparenz zu diesen Fragestellungen liefern beispielsweise Personenzertifizierungen nach DIN EN ISO/IEC 17024 - und davon profitieren dann Unternehmen wie auch Individuen. Es handelt sich um einen unabhängigen Nachweis gegenüber Geschäftspartnern, Arbeitgebern und Kunden, dass die beruflichen Kenntnisse und Fertigkeiten höchsten Anforderungen genügen.
Das Wissen um notwendige Kompetenzen und deren Ausprägungsgrade für eine Arbeitsstelle, Tätigkeit bzw. Jobrolle ermöglicht
- eine passgenaue Besetzung von Arbeitsplätzen, um etwa bei Änderungen in Prozessen, Kundenanforderungen oder Produktlinien einen Aufbau neuer fachlicher Kompetenzen oder die Entwicklung bestehender Kompetenzen zielorientiert umsetzen zu können.
- die Einführung und Pflege eines gültigen Kompetenzmessungs- und Bewertungsstandards in einem Unternehmen bzw. einer Organisation, die es auch ermöglicht bspw. über Standorte weltweit mit unterschiedlichen Reifegraden hinweg Wirkung zu entfalten. Davon profitieren Kunden (Produkt- und Servicequalität) und Mitarbeiter (Arbeitsschutz, Arbeitsplatzzufriedenheit, Karrieremöglichkeiten) gleichermaßen.
Beispiel: Die T-Systems International GmbH lässt ihre Service-Manager weltweit nach einem internationalen Kompetenzprofil zertifizieren, das auf Basis deutscher Anforderungen entwickelt wurde und von TÜV Rheinland in verschiedenen Prüfungsmodellen abgeprüft wird. So ist sichergestellt, dass der Mobilfunkspezialist standortunabhängig stets gleichbleibende Service-Management-Level bieten kann.
- die passgenaue Weiterbildung und Qualifizierung entlang der Unternehmensstrategie und entsprechend der festgelegten Ziele wie z.B. einer Steigerung von Effizienz oder Qualität von Services oder Produkten. Dabei kann die Kompetenzentwicklung auch die umfassende Weiterentwicklung der Fachkompetenz umfassen, um einheitliche Standards in unterschiedlichen Wertschöpfungsbereichen sicher zu stellen.
Beispiel: Die derzeit größte Erdölfördergesellschaft der Welt, Saudi Aramco, ist darum bemüht, einheitliche Kompetenzprofile für interne wie externe Mitarbeiter anzuwenden. Vor diesem Hintergrund wurden für die Bereiche Elektrotechnik, Mechanische Instandhaltung, Metallbearbeitung etc. Mindeststandards entwickelt. Diese sollen sicherstellen, dass auch alle externen Mitarbeiter und Kontraktoren einem einheitlichen Qualifikationsprofil in den jeweiligen technischen Bereichen entsprechen. Gemäß dieser Kompetenzanforderungen hat TUV Rheinland Prüfungssysteme entwickelt und umgesetzt, die die individuellen theoretischen und insbesondere praktischen Kompetenzen messen und bewerten. Auf Basis der Erhebung ließ sich der individuelle Qualifizierungsbedarf feststellen und anschließend mit entsprechenden Weiterbildungsmaßnahmen realisieren.
Und hier kommen wir zur psychosozialen Komponente des professionellen Managements von Kompetenzen in Unternehmen, die nicht zu unterschätzen ist. Arbeitsunfähigkeit oder Burnouts, also die Überforderung am Arbeitsplatz, muss nicht von permanenter quantitativer Überlastung herrühren, sondern kann auch auf mangelnde Qualifikation am Arbeitsplatz zurückzuführen sein. Mit systematischem Kompetenzmanagement lassen sich Kompetenzlücken aktiv identifizieren - und gezielt schließen z.B. über Auffrischungstrainings im Bereich fachlicher Kompetenzen oder durch Coachings am Arbeitsplatz. Der Mitarbeiter wird selbstbestimmter, sicherer und letztlich zufriedener in der Bewältigung seiner täglichen Aufgaben. Dadurch sichert der Unternehmer den Erhalt der Arbeitsfähigkeit.
Offene Lernräume und alle Macht den Lernenden
Berufliche Bildung bedeutet in der Kompetenzgesellschaft, dass sie die Fähigkeiten der Mitarbeiter zum selbstorganisierten und kreativen Lernen stärken und mit der Seminarunkultur brechen muss. Bildungsangebote müssen künftig darauf abzielen, dass Mitarbeiter dazu befähigt werden, Herausforderungen mit ihren ständig verfeinerten Kompetenzen künftig ebenfalls selbstorganisiert zu bewältigen. Kompetenzlernen lässt sich aber nicht mehr ausschließlich in Curricula vorgeben, sondern muss auch durch offene Lern- und Experimentierräume ermöglicht werden. Die Lernenden definieren darin selbst oder mit Hilfe externer oder interner Lernpartner und Coaches ihre Kompetenzziele.
Was bedeutet das für die Anbieter beruflicher Bildung und Personalentwickler? Wir müssen die Gestaltung von offenen Lernräumen bzw. frei wählbaren Lernwegen fördern und die idealerweise selbstinitiierten Bildungsprozesse ermöglichen sowie die Lernbegleitung über professionelle, zeitgemäße Lernplattformen sicherstellen. Es gilt das Leitmotiv: »Alle Macht den Lernenden«, die ihre Lernprozesse eigenverantwortlich organisieren. Das hat zwangsläufig Auswirkungen auf die Didaktik, denn es sind auch nicht mehr Lehrer oder Trainer, sondern die Lernpartner im Team oder Coaches, die eine Ermöglichungsdidaktik für selbstorganisiertes Lernen zulassen und ermöglichen. Methoden und Inhalte orientieren sich dabei zunehmend an den realen Herausforderungen der Teams in ihrer Arbeit. Der enge Bezug zu realen Aufgaben sorgt, wie John Erpenbeck und Werner Sauter es treffend formulieren, für »eine emotionale Imprägnierung des Wissens durch Begeisterung, Leidenschaft, Engagement, Willen, Interesse, Neugier, Wissbegierde, Entdeckergeist und Phantasie«. Seminare werden durch selbstorganisierte Lernformen in Blended Learning Arrangements, anwendungsnahem Lernen und kollaborativem Lernen in Projekten und am Arbeitsplatz, Social Work-Place Learning sinnvoll ergänzt.
So gelebt, kann Kompetenzmanagement gleich mehrfach einen wichtigen Beitrag leisten: zur Zukunftssicherung der Organisation, zum betrieblichen Gesundheitsmanagement, zum Schutz vor technologischer Arbeitslosigkeit und nicht zuletzt zur individuellen Karriereplanung und persönlichen Zufriedenheit.
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