Betriebliche Ausbildung attraktiver machen - durch Aufwertung und zeitgemäße Lernformate
Ein Beitrag aus unserer »Standpunkte«-Reihe von Tobias Lohmann, Hannover.
Der Ausbildungsmarkt ist in der Bredouille: Die Zahl der Schulabgänger ist seit Jahren rückläufig, gleichzeitig entscheiden sich immer mehr Jugendliche für ein Studium. Den Unternehmen fehlen daher Bewerber – insbesondere gute Bewerber. Bereits im Jahr 2013 haben die Studienanfänger die Ausbildungsstarter erstmals zahlenmäßig übertroffen – seitdem entwickelt sich die Situation rasant weiter zuungunsten der betrieblichen Ausbildung.
Mit zunehmender Akademisierung wächst jedoch die Gefahr, am Arbeitsmarkt vorbei zu studieren – was den Berufseinstieg erschwert. Ein Manko besteht zudem darin, dass sich die Studienaufnahme im Nachhinein oftmals als Fehlentscheidung entpuppt. Die Abbruchquoten sind enorm und liegen bei 20 bis 30 Prozent, bei ingenieurwissenschaftlichen Studienfächern sogar bei bis zu 50 Prozent. Erst über diesen Umweg finden viele Jugendliche dann doch den Weg in eine betriebliche Ausbildung. Nicht nur für die Betroffenen selbst, auch für die Wirtschaft sind es »verschenkte Jahre«, weil die dringend benötigten Nachwuchskräfte den Unternehmen dadurch erst sehr spät zur Verfügung stehen.
Die gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen eines sinkenden betrieblichen Ausbildungsinteresses sind dramatisch: Das Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) und des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) rechnen in einer gemeinsam erarbeiteten Projektion vor, dass die Anzahl der Arbeitnehmer mit Berufsausbildung bis zum Jahr 2030 um etwa drei Millionen zurückgehen wird. Engpässe im produzierenden Gewerbe, bei handwerklichen Berufen, aber auch im Gesundheits- und Sozialsektor stünden damit auf der Tagesordnung. Würde dies Szenario Wirklichkeit, wäre die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft ernsthaft in Gefahr.
Mangelndem Ausbildungsinteresse begegnen – aber wie?
Gegensteuern ist daher eine zentrale Herausforderung – doch eines dürfte schon jetzt klar sein: Imagekampagnen für die betriebliche Ausbildung allein werden das Problem nicht lösen. Eine der Hauptanforderungen besteht vielmehr darin, die Ausbildung selbst attraktiver zu gestalten. Wollen Unternehmen dafür sorgen, dass ihnen weiterhin betrieblich qualifizierte Fachkräfte zur Verfügung stehen, müssen sie sich vor allem um die betriebliche Ausbildung selbst Gedanken machen. Es geht um die Frage: Welche Anreize würden Jugendliche veranlassen, statt eines Studiums eine betriebliche Ausbildung in Erwägung zu ziehen?
Die Qualität der Ausbildung und ihre »Konkurrenzfähigkeit« rücken damit in den Blickpunkt – es geht um attraktive Inhalte sowie um zeitgemäße Lernformate. Darüber hinaus können anspruchsvolle innovative Ausbildungswege viel dazu betragen, bei den Jugendlichen Interesse für den betrieblichen Berufseinstieg zu wecken. Wenn in einer Befragung unter rund tausend Auszubildenden drei Viertel angeben, sie fühlten sich unterfordert, ist Handeln mehr denn je gefragt.
Vielversprechende Ansätze: Inhaltliche Aufwertung und neue Lernformate
Um die Ausbildung inhaltlich anzureichen, nutzen etliche Unternehmen bereits die Möglichkeit, eine Weiterbildung (etwa in Fremdsprachen oder IT) zu finanzieren, die für die Ausbildung eigentlich nicht vorgesehen ist. Ein Auslandpraktikum für leistungsorientierte Jugendliche stellt eine weitere Option dar. Wegen der steuerlichen Absetzbarkeit oder aufgrund von Förderprogrammen müssen solche Zusatzangebote das Unternehmen nicht viel kosten. Mit der Mitnahme von Auszubildenden zu Branchenevents oder regionalen Netzwerktreffen können Ausbildungsbetriebe ebenfalls punkten. In den Bereich inhaltlicher Anreicherung fällt nicht zuletzt das triale Studium, das eine betriebliche Ausbildung, den Erwerb der Meisterqualifikation und ein Bachelor-Studium kombiniert.
Attraktive neue Lernformate hingegen sind bisher eher noch selten. Hierbei bietet es sich natürlich an, die Nutzung mobiler Endgeräte in das Lernen mit einzubeziehen. Interessante Experimente gehen derzeit in Richtung »Augmented Reality« und kollaborativer Lernplattformen, die die Auszubildenden über ein Netzwerk miteinander verbinden. Hinter dem Ansatz der »Augmented Reality« steht das Ziel, den Jugendlichen beim arbeitsplatzorientierten Lernen – auf Abruf – Zusatzinformationen bereitzustellen, etwa zu Abläufen und Bauteilen. Eine Kommentarfunktion und die Möglichkeit des Teilens sorgen zudem für eine standortübergreifende Interaktion.
Fallbeispiel: Im Fernplanspiel »PlayBizz« zum Unternehmer werden
In seinem Bundesland engagiert sich das Bildungswerk der Niedersächsischen Wirtschaft (BNW) in besonderer Weise dafür, die betriebliche Ausbildung aufzuwerten und unterstützt Unternehmen dabei, die Lehrjahre attraktiver zu gestalten. Dabei setzt das BNW direkt bei den Interessen und Vorlieben sowie der Online-Affinität der Jugendlichen an: Sie lieben bekanntermaßen Online-Games und stehen ständig in Kontakt mit ihren Freunden über Messenger-Dienste und soziale Netzwerke. Diese Vorlieben greift das BNW mit gleich zwei Bildungsangeboten auf – dem Fernplanspiel »PlayBizz« sowie Online-Kursen zur Prüfungsvorbereitung.
Das Fernplanspiel »PlayBizz« bietet das BNW – unterstützt von Arbeitgeberverbänden – in Niedersachsen und Bremen an. In dem Spiel werden Teams aus jeweils bis zu sechs Auszubildenden zu Managern auf Zeit. Wie in einem richtigen Unternehmen müssen sie Entscheidungen zu Mengen, Kapazitäten und Budgets treffen, etwa im Bereich Produktion. 48 Teams aus 39 Firmen waren im jüngsten Durchgang in Niedersachsen dabei. Sie erhielten ein Handbuch und Zugangsdaten zur »PlayBizz«-Website. Auf der virtuellen Oberfläche erarbeiteten sie gemeinsam Entscheidungen, mit dem Ziel, einen möglichst hohen Gewinn zu erwirtschaften und gleichzeitig die langfristige Zahlungsfähigkeit ihres fiktiven Unternehmens zu sichern.
Die niedersächsischen Teams waren mit Begeisterung und erstaunlichem Engagement bei der Sache. Fünf Teams schafften es schließlich in die Endrunde. Sie kamen aus der BASF Polyurethanes GmbH, der ArcelorMittal Bremen GmbH, dem Leuchten- und Leuchtmittelhersteller Brilliant AG, der Industriepark Nienburg GmbH und der CubiDesign Gehäuse GmbH. Bestenfalls wird über »PlayBizz« nicht nur Einblick gewährt in unternehmerisches Denken und Handeln, sondern darüber hinaus Interesse geweckt an beruflich-unternehmerischen Perspektiven.
Jugendgerecht: Prüfungsvorbereitung mit Online-Kursen
Ein weiteres zeitgemäßes Angebot für Auszubildende sind Online-Kurse zur Prüfungsvorbereitung, die das BNW gemeinsam mit der Prozubi GmbH bereitstellt. Jugendliche leben heute im Internet. Folglich geht auch bei Prüfungsvorbereitung der Trend hin zu digitalen Lernformaten. YouTube und Co werden zunehmend genutzt, um Wissen zu erwerben und zu überprüfen. Diesen Trend greift das BNW in seiner Kooperation mit der Prozubi GmbH gezielt auf.
Prozubi – ein Startup, das 2013 einen Preis für die Gründungsidee des Jahres erhielt und zwei Jahre darauf vom Wirtschaftsministerium des Landes Niedersachsen mit einem Preis für herausragendes Unternehmertum bedacht wurde – bietet Online-Kurse zur Prüfungsvorbereitung für nahezu alle kaufmännischen Ausbildungen an. Da Vorbereitungskurse für Prüfungen in kaufmännischen Berufen ein wichtiger Bestandteil des BNW-Weiterbildungsportfolios für Auszubildende sind, konnte eine enge Kooperation in diesem Bereich zustande kommen.
In einer Pilotphase, die im Frühjahr 2017 endete, erwies sich das neue Angebot für 78 Auszubildende als ausgesprochen hilfreich. Die einfache und verständliche Weise, Themen zu erklären, kommt gut bei den Jugendlichen an – neben der Flexibilität beim Lernen sowie dem zeitgemäßen Lernformat. Online-Kurse zur Prüfungsvorbereitung verschaffen einen schnellen Überblick über die wichtigsten Informationen. Das BNW und Prozubi planen nun weitere Online-Kurse zur Prüfungsvorbereitung, etwa einen für Industriekaufleute und einen weiteren Kurs zur Vorbereitung auf die Ausbildereignungsprüfung im Blended-Learning-Format.
Nicht zu vergessen ist jedoch: Den Schulabsolventen ist stärker als bisher zu vermitteln, dass eine betriebliche Ausbildung mit der Meisterqualifikation, einer Führungsweiterbildung oder sogar Unternehmensgründung eine vielversprechende Karriereoption darstellt. Während der Vorbereitung von Berufsorientierungstagen an der Schulen der Sekundarstufe I und II setzt das BNW auf seinen bewährtes Netzwerk an regionalen Firmen, Institutionen und Kammern. Diese beschränken sich in ihren Gesprächen mit den Jugendlichen nicht allein auf die Ausbildungsinhalte in ihrer jeweiligen Branche, sondern informieren auch sehr dezidiert über Aufstiegsmöglichkeiten. Die Erfahrung zeigt, dass die Schüler aufgrund ihres neu gewonnen Wissens über Karrierewege mit einem neuen, positiveren Blick auf den Wert einer betrieblichen Ausbildung aus der Veranstaltung gehen. Wenn sie dann noch anhand eines Wirtschaftsplanspiels in der Schule schon erfahren, wie spannend unternehmerische Herausforderungen sind, wurde viel für eine gute Reputation der dualen Ausbildung als Start in eine erfüllende Berufsbiographie getan.
Fazit
Die betriebliche Ausbildung krankt an mangelndem Interesse bei Jugendlichen. Mit frischen Ideen, die an den Inhalten und den Lernformaten ansetzen, kann es jedoch gelingen, das Ruder herumzureißen und die Attraktivität nachhaltig zu steigern. Da die Zeit drängt, sollten die Akteure mit den Neuerungen allerdings nicht zu lange warten.
VERWEISE