Die Zukunft lässt sich nicht abwählen

(Geschätzte Lesezeit: 3 - 5 Minuten)

Tine Schlaak Ein Beitrag aus unserer »Standpunkte«-Reihe von Tine Schlaak.

Die Deutschen sehnen sich gern. Früher war alles besser, selbst die Kühe hatten größere Köpfe, schrieb Erich Kästner einmal. Er wusste, dass das nicht stimmt, aber Nostalgie hilft bekanntlich beim Verarbeiten der Gegenwart.

Angesichts der hiesigen Gegenwart, die durch den Einzug der AfD in den Bundestag geprägt ist, blickt das Land derzeit wieder verstärkt in die Vergangenheit, um seine Zukunft zu schützen. Wichtig und richtig, unser Zusammenleben der kommenden Legislaturperiode hat allerdings weitere, sehr zukunftsrelevante Aspekte als das Wirken einer einzelnen Partei. Welche Aspekte vom Wahlkampf weitgehend ignoriert wurden, lässt sich wunderbar am viel diskutierten TV-Duell rekonstruieren: Wozu wurden Merkel und Schulz befragt? Zu Geflüchteten, zur AfD. Wozu nicht? Zur Zukunft, zum Netz- und Infrastrukturausbau, zur Bildung, und schon gar nicht zum Zusammenhang der drei.

Ein großer Fehler. Es sind federführende Themen auf unserem Weg in die Zukunft. Eine Zukunft, der Deutschland viel zu geben hat.

Uns eilt der Ruf einer Ingenieursnation voraus. Zurecht. Autos, Messsysteme, Maschinen, Mechatronik und Chemie gehören zu den deutschen Exportschlagern. Vor wenigen Tagen veröffentlichte die OECD neue Zahlen, die die MINT-Fächer in Deutschland gut dastehen lassen: Wir haben die meisten Absolventen in Informatik, Naturwissenschaften und technischen Fächern unter allen untersuchten Ländern (OECD). Mögen Google, Apple, Facebook und andere Schwergewichter aus dem Silicon Valley noch so behände aus Daten schöpfen und ihre Software-Hoheit behaupten können – ein solch profundes und erfahrenes Ingenieurswesen wie das deutsche geht ihnen ab.

Dafür sieht es dem Vernehmen nach hierzulande eher mau aus in Sachen Technologie, Software und digitalem Mindset. Hinkt Deutschland, das Land der Dichter und Techniker, hinterher, was progressives Tech-Know-how anbelangt?

Vielleicht, wenn man sich am Silicon Valley misst, wohin wir so gern verstohlen blicken, wenn es um digitale Ideale geht. Ein Abgleich, der allerdings hinkt: Schon für den Rest der Vereinigten Staaten gelten andere Regeln, genauso in Deutschland und Europa: andere Voraussetzungen, Metriken, ein anderer Digitalmarkt. Weshalb Deutschland gut beraten wäre, seine Stärken zu erkennen und einzubringen, statt zu versuchen, die kalifornischen abzupausen. Eine Bundesregierung sollte diese Unabhängigkeit aussprechen und unterstützen. Es genügte ein Satz: Wir haben die nötigen Fähigkeiten vor Ort, um den digitalen Wandel einzuleiten, den wir brauchen und der zu Deutschland passt.

Das gilt prinzipiell auch für die sogenannte »digitale Bildung«. Etliche Studien belegen, dass die technischen Voraussetzungen für digitales Lernen nicht nur vorhanden, sondern herausragend sind. Warum hakt es dann trotzdem? Vermutlich an der ungeübten Einbindung digitaler Medien (Heise) und sicherlich, weil Bildung Ländersache ist. 16 Bundesländer zählen 16 verschiedene Bildungskonzepte, einige digital, andere weniger.

Zur Beruhigung aller: Digitale Bildung bleibt – wie die klassische Bildung auch – vorrangig eine Frage der Formate. Unter den vielen bekannten sind einige, die sich digital nutzen lassen. Die Kursteilnehmer bei Udacity etwa lernen interaktiv, mit Videos und Quizzes, praxisnah an Projekten, und unterstützt von Foren aus Mitlernenden und Experten. Die – aus deutscher Sicht – wohl wichtigste Einsicht dieses didaktischen Programm ist, dass solche Methoden nicht nur ausgewählt und gezielt eingesetzt, sondern vor allem betreut und gewartet werden müssen. Diese Erkenntnis lässt sich auch auf das Bildungssystem übertragen.

Deutsche Lehrer werden gern bestätigen, dass ein Whiteboard und ein Klassensatz Tablets noch keinen digitalen Unterricht machen (ZEITOnline). In einem Land, dass öffentlichkeitswirksam eine »Bildungsoffensive« ausruft (BMBF), müssen wir uns an dieser Stelle infrastrukturellen, personellen und konzeptionellen Fragen neuer Dringlichkeit stellen.

Erhebt dann eine Bertelsmann-Umfrage, dass besonders große Angst vor digitaler Bildung bei den Lehramtsstudenten auszumachen ist (Monitor Digitale Bildung), wird einem ganz anders. Wir sprechen hier über exakt die Menschen, die Kinder und Jugendliche wesentlich auf die digitale Welt vorbereiten und die kommende Gesellschaft so mitgestalten. Nicht besser sieht es laut der Studie bei Lehrern oder Schulleitern aus: Gerade 15 Prozent von ihnen sind versierte Nutzer digitaler Medien. Zwar sind gut 70 Prozent der Lehrer und Schulleiter der Überzeugung, dass digitale Medien die Attraktivität der Schule steigern. Trotzdem erkennen (und nutzen) nur wenige das volle didaktisch-methodische Potenzial des digitalisierten Unterrichts.

Die Zukunft zu gestalten ist komplex. Es macht Arbeit, gar keine Frage. Der Einsatz aber muss hoch sein, denn die Gewinnchancen sind es auch: Es winkt die breite Überzeugung (bei Lehrenden und Belehrten), von den digitalen Möglichkeiten profitieren zu können. Etwa, in dem man die eine neue Gesellschaft aktiv formt, statt die von anderen geformte einfach zu akzeptieren. Diese Überzeugung ist so etwas wie die Voraussetzung für einen Wandel, der sich vor allem kulturell und weniger wirtschaftlich vollziehen muss.

Denn die digitale Zukunft der Lehre infrage zu stellen wäre in etwa, als kritisierte man den Regen oder die Sonne. Die Zukunft lässt sich nicht abwählen.

  


Tine Schlaak

 
Tine Schlaak ist Partnerships Manager Europa bei der globalen Online-Lernplattform Udacity. In ihrer Position leitet sie die strategische Unternehmensentwicklung und ist verantwortlich für Partnerschaften mit Unternehmen, wie Audi oder die Deutsche Telekom.
 

 

 
 
 
 
 
In unserer Reihe »Standpunkte« bieten wir von Zeit zu Zeit engagierten Akteuren aus den Bereichen Weiterbildung, Personalentwicklung und Wissensmanagement die Möglichkeit, sich mit einem aktuellen Thema an unsere Leser zu wenden. Unabhängig vom jeweiligen Inhalt weisen wir darauf hin, dass diese Artikel ausschließlich die Meinung des jeweiligen Autors wiedergeben und nicht zwangsläufig mit der Auffassung der Redaktion in Einklang zu bringen sind.

 

 

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