Weiterbildung in der Coronakrise: Neue Gesetze erleichtern Zugang
Von Fanny Kabelström-Stefani, Berlin.
Der Ausbruch des Coronavirus verlangt Anpassungsfähigkeit – dazu gehört es auch, neue Kenntnisse und Fähigkeiten zu erwerben. Das im Mai beschlossene Arbeit-von-Morgen-Gesetz will daher die staatlich finanziell geförderte Weiterbildung stärken und den Zugang erleichtern. Das Qualifizierungschancengesetz erweitert bereits seit Anfang 2019 den förderbaren Personenkreis und unterstützt Unternehmen und Arbeitnehmer gleichermaßen.
Die langfristigen Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Wirtschaft sind kaum abzusehen. Seit Monaten sind Arbeitnehmer in Kurzarbeit, von Arbeitslosigkeit betroffen oder bedroht – in der Reise- und Luftfahrtbranche genauso wie in der Kultur- und Eventbranche. Und da es jederzeit wieder zu regionalen Schließungen kommen kann, ist auch in der Gastronomie und im Einzelhandel die Unsicherheit groß. Unternehmen stehen unerwartete Veränderungen und anhaltende Unsicherheit bevor. Aktuell steigen die Infektionszahlen wieder an. Sollte dieser Trend sich fortsetzen, kann es zu erneuten Lockdowns kommen. Oder die Gesundheitspolitik ordnet zusätzliche Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie an, die umgesetzt werden müssen.
Die »neue Normalität« erfordert Anpassungsfähigkeit
In der öffentlichen Diskussion bezeichnen wir diese unberechenbare Situation inzwischen als die »neue Normalität«. Sie kann Monate andauern, vielleicht sogar Jahre. Es wird unmöglich sein, zukünftig alle Wirtschaftsbereiche krisenfest aufzustellen und alle Arbeitsplätze zu erhalten. Anpassungsfähigkeit ist daher die entscheidende Eigenschaft für Unternehmen genauso wie für den einzelnen Arbeitnehmer. Um widerstandsfähig zu werden, entwickeln Betriebe neue Geschäftsmodelle. Der Fort- und Weiterbildung kommt hierbei eine Schlüsselrolle zu. Die gute Nachricht: Der Staat möchte die Wirtschaft und die Bürger unterstützen. Er vereinfacht den Zugang zu Qualifizierungen insbesondere im Bereich Digitalisierung und fördert diese finanziell. In den Unternehmen selbst sind diese Fördermöglichkeiten allerdings bis heute kaum bekannt. Dabei gibt es zum Beispiel das Qualifizierungschancengesetz, das in der aktuellen Krise eine große Hilfe sein kann.
Die Digitalisierung als Schlüssel zum Erfolg
Die Digitalisierung spielt in dieser Situation eine wichtige Rolle: für interne Prozesse, bei der Entwicklung neuer Geschäftsfelder oder beim Einsatz von KI, Automatisierung und Robotik in der Produktion. Für neun von zehn Unternehmen hat Digitalisierung durch die aktuelle Krise an Bedeutung gewonnen. Nach Angaben von McKinsey planen oder realisieren 68 Prozent der Unternehmen, die sich durch die Corona-Zeit Umsatzzuwächse erhoffen, aktuell ein komplett neues Geschäftsfeld mit eigenständigen digitalen Produkten oder Dienstleistungen. Hierdurch werden neue Berufsfelder und damit neue Arbeitsplätze entstehen. Es ist davon auszugehen, dass ein Flaschenhals zwischen Tätigkeiten, die wegfallen, und neuen Arbeitsgebieten entstehen wird. Das liegt daran, dass viele Arbeitnehmer für die neuen Aufgaben nicht qualifiziert sein werden. Darum müssen wir das gesamte Potenzial der arbeitsfähigen Bevölkerung in den Fokus nehmen.
Gezielt Fähigkeiten bei den Mitarbeitern aufbauen
Hinsichtlich des Bedarfs an technologischen Fähigkeiten geht McKinsey von einem Mehrbedarf von rund 700.000 Personen bis 2023 aus. Unternehmen stehen vor der Aufgabe, Fähigkeiten bei ihren Mitarbeitern aufzubauen, die für die Digitalisierung relevant sind. Oder sie müssen sich auf dem Arbeitsmarkt um qualifiziertes Personal bemühen. Für viele Beschäftigte bedeutet das, sie müssen sich weiterbilden, um ihren Arbeitsplatz zu behalten und um auf dem Arbeitsmarkt weiter zu bestehen. Das kürzlich vom Bundesrat beschlossene Arbeit-von-Morgen-Gesetz möchte Unternehmen und Arbeitnehmer in dieser Situation unterstützen. Das Ziel ist ein leichterer Zugang zu geförderter Weiterbildung, denn sie ist ein wichtiger Hebel, um das Personalpotenzial in der Bevölkerung zu heben. Es geht jedoch nicht nur um Qualifizierung. Gefragt sind genauso flexiblere Rahmenbedingungen. Die Unternehmen müssen die Bedingungen anpassen, zum Beispiel indem Teilzeit- und Vollzeitmodelle für Familien gleichberechtigt existieren und sich abwechseln können. Die Corona-Krise hat uns drastisch vor Augen geführt, wie hochqualifiziertes Potenzial im Falle fehlender Kinderbetreuung entwertet wird.
Das Qualifizierungschancengesetz: Bis zu 100 Prozent Förderung
Früher kam eine geförderte Weiterbildung zumeist erst dann in Frage, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen war, der Arbeitnehmer also seinen Job verloren hatte. Das neue »Gesetz zur Stärkung der Chancen für Qualifizierung«, auch bekannt als Qualifizierungschancengesetz (QCG), soll bereits vorher greifen. Das Gesetz erweitert den förderbaren Personenkreis, der im §82 des SGB III festgelegt ist. Bisher nutzen Unternehmen diese Möglichkeit, die seit Anfang 2019 in Kraft ist, nur selten, was auch an seiner fehlenden Bekanntheit liegen mag. Dabei können Unternehmen und ihre Angestellten gleichermaßen profitieren. Die Idee: Der Staat möchte Arbeitnehmer bereits während ihrer Beschäftigung fördern, um ihre Fähigkeiten zu erweitern – besonders im Hinblick auf den digitalen Strukturwandel und damit einhergehende Veränderungen.
Je nach Größe des Unternehmens werden bis zu 100 Prozent der Kosten für die Weiterbildung und bis zu 75 Prozent der Lohnkosten erstattet. Beschäftigt ein Arbeitgeber weniger als zehn Angestellte, so muss er sich gar nicht an den Lehrgangskosten beteiligen. Große Firmen mit mehr als 2.500 Beschäftigten dagegen tragen mindestens 80 Prozent der Kosten selbst. Somit unterstützt das QCG auch kleinere Unternehmen, die in der jetzigen Situation mit Umsatzrückgängen zu kämpfen haben und sich mangels üppiger Rücklagen Weiterbildungen nicht leisten können.
Voraussetzungen für eine Förderung
Das QCG richtet sich an drei Gruppen von Arbeitnehmern:
- Flexibilisierung der beruflichen Weiterbildungsförderung arbeitsloser Arbeitnehmer durch Förderung von Erweiterungsqualifizierungen
- Ausbau der Weiterbildungsförderung für alle Beschäftigten, deren berufliche Tätigkeiten durch Technologien ersetzt werden können, oder in sonstiger Weise vom Strukturwandel betroffen sind, oder die eine Weiterbildung in einem Engpassberuf anstreben
- Erweiterter Zugang zur Weiterbildungsförderung für Beschäftigte unabhängig von Ausbildung, Lebensalter und Betriebsgröße
Normalerweise müssen Antragsteller eine dreijährige berufliche Tätigkeit nachweisen. Diese Anforderung fällt weg, wenn die Weiterbildung zum Abschluss in einem Engpassberuf, etwa in der Erziehung oder in der Pflege, führt. Und auch zum zeitlichen Umfang macht der Gesetzgeber Vorgaben: Nur Qualifizierungen mit mehr als 160 Stunden erhalten eine Förderung. Das entspricht einer mindestens vierwöchigen Vollzeit-Weiterbildung. Häufig möchten die Arbeitgeber nicht so lange auf ihre Mitarbeiter verzichten. Im Moment sind jedoch immer noch viele Arbeitnehmer in Kurzarbeit und haben damit grundsätzlich Anspruch auf einen Bildungsgutschein. Innerhalb der letzten vier Jahre darf der Beschäftigte keine geförderte Maßnahme in Anspruch genommen haben. Inhaltlich sollen Kenntnisse und Fertigkeiten erworben werden, die über ausschließlich arbeitsplatzbezogene kurzfristige Anpassungsfortbildungen hinausgehen. Andererseits fördert das QCG keine sogenannten Aufstiegsfortbildungen, die zum Beispiel zu einem Abschluss als Meister oder Techniker führen.
Webentwicklung und Marketing sind gefragt
Unternehmen in Deutschland haben bereits angekündigt, als Antwort auf die Pandemie den digitalen Strukturwandel voranzutreiben, so das Ergebnis einer Umfrage von McKinsey. Ermittelt wurde, welche Fähigkeiten für etwa 60 Prozent der Erwerbstätigen in Deutschland entscheidend sein werden, insbesondere in der gewerblichen Wirtschaft sowie bei Versicherungen und Banken: komplexe Datenanalyse, nutzerzentriertes Design, Webentwicklung, Konzeption und Administration vernetzter IT-Systeme. Dies deckt sich mit den aktuellen Entwicklungen bei cimdata: Wir sehen eine starke Nachfrage nach Qualifizierungen im Bereich Social Media, Content- und Community-Marketing, UX/UI, Screendesign, E-Commerce oder Webprogrammierung wie HTML. Aber auch Kenntnisse im Bereich App-Entwicklung und Videoproduktion sind gefragt. Viele Gewerbetreibende benötigen die Kenntnisse, um ihre Angebote digital besser zu vermarkten, indem sie etwa ihre Websites optimieren und erweitern, um Produkte und Services verstärkt online zu verkaufen. Auch Marketing-Kurse werden stärker gebucht. Denn viele Unternehmer müssen neue Zielgruppen erschließen, um Umsatzrückgänge aufzufangen.
Fünf Schritte zur geförderten Weiterbildung
Interessierte Unternehmen beantragen die Förderung direkt bei der Arbeitsagentur. Damit der Antrag bewilligt wird, sollten sich Amtragsteller auf die folgenden Schritte vorbereiten:
- Die Arbeitsagentur möchte wissen, wie groß das Unternehmen ist, für welchen Mitarbeiter welche konkrete Weiterbildung beantragt werden soll und mit welchem Ziel, wie alt er ist und wie sein bisheriger beruflicher Werdegang aussieht.
- Mit diesen Informationen ruft der Personalverantwortliche nun beim Arbeitgeberservice der örtlich zuständigen Arbeitsagentur an. Wenn Fragen offen sind, berät die Arbeitsagentur zunächst allgemein, um zu klären, welche Qualifizierungen für das jeweilige Unternehmen sinnvoll sind.
- Der Sachbearbeiter wird die Angaben prüfen und eine Rückmeldung geben. Stimmen die Voraussetzungen, sendet die Arbeitsagentur das Antragsformular an den Arbeitgeber.
- Wird der eingereichte Antrag positiv entschieden, sendet die Arbeitsagentur dem betreffenden Arbeitnehmer einen auf ihn ausgestellten Bildungsgutschein zu.
- Diesen Bildungsgutschein kann der Mitarbeiter bei einem nach der Akkreditierungs- und Zulassungsverordnung Arbeitsförderung (AZAV) zertifizierten Weiterbildungsanbieter seiner Wahl einlösen.
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