Selbstcoaching: Auf die eigene Kraft vertrauen
Ein Beitrag aus unserer »Standpunkte«-Reihe von Sabine prohaska, Wien.
In unserem Leben geraten wir immer häufiger in Situationen, in denen wir uns entscheiden und die Weichen teilweise neu stellen müssen. Dies geschieht so oft, dass wir hierfür nichts stets einen professionellen Coach als Unterstützer engagieren können. Also benötigen wir die Kompetenz, uns selbst zu coachen – wenn wir unsere Leben aktiv gestalten möchten.
In der modernen Welt verändern sich unsere Lebensbedingungen immer rascher. Also geraten wir auch häufiger in Situationen, in denen wir uns entscheiden und die Weichen in unserem Leben teilweise neu stellen müssen. Das kann anstrengend und mitunter beängstigend sein. Zugleich resultiert hieraus jedoch eine Wahlfreiheit, von der frühere Generationen nicht einmal zu träumen wagten. Damit einher geht jedoch eine höhere Selbstverantwortung. Wir müssen unser Leben sozusagen selbst-bewusst gestalten. Das überfordert viele Menschen – in gewissen Lebensphasen und -situationen. Dies ist ein zentraler Grund, warum das sogenannte Coaching boomt.
Eine Brücke zum künftigen Leben bauen
Beim Coaching geht es vereinfacht darum, eine Brücke zwischen unserem aktuellen Leben und dem Leben, das wir führen möchten, zu schlagen. Und der Coach? Er unterstützt seine Klienten, auch Coachees genannt, beim Bewältigen der Herausforderungen, die sich hieraus ergeben – unter anderem, indem er bei ihnen einen Selbstreflexionsprozess bewirkt, der zu einem Erkennen der Problemursachen und möglicher Lösungswege führt.
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Diesen Reflexionsprozess können Menschen auch ohne professionelle Unterstützung bei sich auslösen. Und um unser Leben zu meistern, benötigen wir künftig zunehmend diese Kompetenz. Denn aufgrund unseres dynamischen Lebensumfelds und der vielen Optionen, die sich uns bieten, geraten wir immer häufiger in Situationen, in denen wir die Weichen in unserem Leben teilweise neu stellen müssen. So zum Beispiel, wenn wir vor folgenden Fragen stehen:
- Soll ich mich beruflich verändern?
- Welche Form der Beziehung möchte ich mit meinem Partner haben?
- Wie möchte ich im Alter leben?
- Was ist mir bei der Erziehung meiner Kinder wichtig?
Beim Beantworten all dieser Fragen können wir theoretisch stets einen Coach zu Rate ziehen. Doch weil wir in unserem Leben immer häufiger vor solchen Fragen stehen, benötigen wir verstärkt die Kompetenz, uns selbst zu coachen – also ohne professionelle Unterstützung Antworten auf besagte Fragen zu finden und den entsprechenden Lösungsweg zu beschreiten.
Auf »stabile Zonen« achten
Eine Voraussetzung für ein erfolgreiches Selbstcoaching ist, dass wir noch über die hierfür nötige Kraft und psychische Stabilität verfügen. Das setzt wiederum voraus, dass es in unserem Leben »stabile Zonen« gibt. Also zum Beispiel soziale Beziehungen, die uns Halt geben. Oder einen Beruf, der uns erfüllt. Oder Werte und Überzeugungen, die uns als innerer Kompass dienen. Solche stabilen Zonen sind für uns Menschen extrem wichtig, denn aus ihnen speist sich unsere Identität. Aus ihnen erwächst zudem die Kraft, unser Leben aktiv zu gestalten. Fehlen sie, benötigen wir in der Regel professionelle Hilfe.
Eine weitere Voraussetzung für ein erfolgreiches Selbstcoaching ist: Wir müssen uns vom Irrglauben lösen, es gebe den einen richtigen Weg. Und wenn wir ihn finden, sind wir glücklich bis ans Lebensende. Diesen einen richtigen Weg gibt es nicht – auch, weil wir uns selbst, nebst unseren Wünschen und Bedürfnissen, im Verlauf unseres Lebens ändern. Deshalb müssen wir uns die Fragen
- Was ist mir wichtig?
- Welches Leben will ich führen? Und:
- Wie kann ich es realisieren?
immer wieder neu stellen. Entscheidend ist, dass wir uns auf den Weg machen und den nächsten Schritt in die angestrebte Richtung gehen. Denn jeder Schritt zieht weitere Schritte nach sich, die uns unserem Ziel näher bringen und vielleicht eine neue Lebensperspektive eröffnen.
Kernfrage: Wer bin ich und was will ich?
Beim Selbstcoaching sind wir unser eigener Coach. Und wir geben uns sozusagen auf eine Expedition zum eigenen Ich. Dabei geht es nicht darum, möglichst schnell das Ziel zu erreichen. Vielmehr soll uns im Coachingprozess, Schritt für Schritt, immer klarer werden, was uns im Leben wichtig ist und uns beim Erreichen unserer Ziele unterstützt
Beim Selbstcoaching lauten die zwei zentralen Fragen:
- »Wer bin ich?« und
- »Was will ich?«
Somit kann Selbstcoaching uns helfen,
- uns besser kennenzulernen,
- unsere persönlichen Ziele zu klären und zu erreichen,
- die hierfür nötigen Entscheidungen zu treffen und
- die angestrebten Veränderungen zu realisieren.
Eine Voraussetzung hierfür ist, dass wir die richtigen Fragen stellen und passende Übungen kennen, um die erforderlichen Reflexionsprozesse bei uns auszulösen. Manchmal hilft jedoch die beste Übung und Frage nicht weiter. Dann drehen wir uns gedanklich im Kreis und tappen in die sogenannte Grübelfalle. Dann sollten wir darüber nachdenken, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen und eventuell einen Coach aufzusuchen.
Herausforderung: Unser Leben aktiv gestalten
Das Konzept des lösungsorientierten Selbstcoachings fußt auf Annahmen darüber, wie das Lernen und die Entwicklung von Menschen erfolgt.
- Annahme 1: Jeder Mensch trägt die Lösung seiner Probleme in sich. Fast alle Menschen haben in ihrem Leben schon viele Herausforderungen gemeistert. Außerdem verfügen sie über die Fähigkeit, selbst zu erkennen, wann eine Herausforderung für sie neu oder zu groß ist, weshalb sie eine punktuelle Unterstützung brauchen. Also können sie eigenständig einen adäquaten Lösungsweg für sich finden und ihn mit selbstorganisierter Unterstützung beschreiten.
- Annahme 2: Menschen wollen in der Regel ihre Probleme eigenverantwortlich und selbstständig lösen. Die meisten Menschen verfügen über die nötige psychische Stabilität, um bei Herausforderungen nicht in eine Problemtrance zu verfallen, bei der das Problem immer größer und unlösbarer erscheint, je länger sie sich damit beschäftigen. Sie sind dazu in der Lage, sich zielorientiert zu fragen:
• Was wäre für mich eine attraktive Lösung?« Und:
• Wie würde der Zielzustand konkret ausschauen?«
Und dann passende Lösungen zu entwerfen.
Diesen Annahmen liegt ein konstruktivistischer Denkansatz zugrunde; also die Annahme, dass wir die Welt, so wie wir sie erleben, weitgehend selbst erschaffen (»konstruieren«) – durch die Art, wie wir Dinge sehen und bewerten. Das gilt auch für unsere Probleme. Hierfür ein Beispiel: Angenommen Sie hätten in den letzten Jahren bereits mehrfach Ihren Job gewechselt. Dann könnten Sie, bestärkt durch Bekannte, zur Überzeugung gelangen: Ich habe ein Problem – nämlich einen Job durchzuziehen. Doch muss das so sein? Nein! Vielleicht gehört es zu Ihrem Konzept eines erfüllten Lebens, beruflich regelmäßig etwas Neues auszuprobieren? Wo ist dann das Problem? Sie sehen, wir konstruieren viele Probleme selbst, durch die Art, wie wir Situationen und Konstellationen bewerten. Das ist auch eine zentrale Ursache dafür, warum uns manche Probleme unlösbar erscheinen. Das heißt, wenn wir lernen, die Probleme neu zu sehen und zu bewerten, werden sie vielleicht lösbar.
Geduld mit sich selbst und dem eigenen Gehirn haben
Doch was bedeutet (Neu- und Um-)Lernen? Neurologisch betrachtet ist Lernen ein ganz handfester Prozess, bei dem sich in unserem Gehirn neue Nervenverbindungen bilden und diese durch entsprechende Impulse immer stärker werden. Am Anfang ist die neue Nervenbahn nur ein kaum sichtbarer Trampelpfad, aus dem nach einigen Wochen oder Monaten, weil wir das neue Verhalten regelmäßig zeigen, allmählich eine Landstraße und irgendwann vielleicht sogar eine Autobahn wird.
Beim Aufbau neuer Kompetenzen und Verhaltensmuster müssen wir mit Rückfällen und Phasen des scheinbaren Stillstands rechnen – denn Lernprozesse verlaufen nicht linear. Sie verlaufen oft scheinbar sprunghaft. Hierfür ein Beispiel. Angenommen Sie sind ein Tennisspieler und wollen einen neuen Schlag einstudieren. Also üben sie den ganzen Nachmittag, ohne große Fortschritte. Frustriert fahren Sie nach Hause. Doch eine Woche später stehen Sie erneut auf dem Platz, und plötzlich gelingt ihnen auf Anhieb der neue Schlag. Der Grund hierfür ist: Sie haben zwar nicht bewusst geübt, doch Ihr Gehirn arbeitete weiter. Es hat neue neuronale Verbindungen geknüpft, die für den Schlag nötigen Bewegungsabläufe immer wieder durchgespielt und mit ähnlichen Bewegungsmustern in Verbindung gebracht, so dass Ihnen plötzlich, scheinbar aus dem Nichts der Schlag gelang.
Ähnliche Prozesse werden Sie beim Selbstcoaching registrieren – zum Beispiel, wenn Sie strukturiert und regelmäßig über ein Problem nachdenken. Dann passiert oft wochenlang scheinbar nichts. Doch dann plötzlich, scheinbar aus heiterem Himmel haben Sie – zum Beispiel beim Kochen – den berühmten Geistesblitz. Das heißt, Sie haben die Problemlösung vor Augen. Denn während Sie scheinbar nur mit anderen Dingen beschäftigt waren, blieb Ihr Gehirn am Ball. Es baute neue neuronale Verbindungen auf, und plötzlich kennen Sie die Lösung
Beim Selbstcoaching erteilen wir unserem Gehirn sozusagen den Auftrag, eine neue Aufgabe zu lösen oder eine bekannte, anders als bisher zu lösen. Zugleich versorgen wir unser Gehirn, indem wir die entsprechenden Fragen stellen und adäquate Übungen durchführen, mit den erforderlichen Reizen, um neue neuronale Verbindungen aufzubauen – und zwar solange bis wir die Problemlösung kennen und das gewünschte Verhalten zeigen.
Sich die angestrebte Zukunft bildhaft vorstellen
Um dieses Ziel zu erreichen, ist es wichtig, sich die angestrebte Lösung und das angestrebte Leben regelmäßig bildhaft vorzustellen – also die Zukunft gedanklich vorwegzunehmen. Spitzensportler kennen die Kraft der sogenannten Imagination. Sie wissen, dass sie ein sehr wirksames Instrument ist, um sich einem Ziel Schritt für Schritt zu nähern. Denn unser Gehirn strebt nach einem kohärenten Zustand, bei dem unsere Lebensrealität mit dem Zielbild übereinstimmt. Deshalb befähigt es uns irgendwann, die äußeren Umstände dem inneren Bild anzugleichen.
Henry Ford wird folgende Aussage zugeschrieben: »Egal, ob du glaubst, du kannst es, oder ob du glaubst, du kannst es nicht, du hast immer recht!«. Sie verweist auf den von der psychologischen Forschung belegten Sachverhalt, dass unsere Erwartung einen großen Einfluss auf das Ergebnis hat – positiv und negativ. Deshalb ist es wichtig, sich beim Selbstcoaching regelmäßig in den gewünschten Zielzustand zu versetzen.
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Das fällt vielen Menschen schwer. Sie denken, kaum haben sie ein positives Zielbild entworfen, »Ja, aber. Das geht nicht, weil..«.. Dann verlieren die Zielbilder ihre Energie. Sie funktionieren nur, wenn man die eigenen Wünsche zulässt und in eine (Noch-)Phantasiewelt eintaucht.
Wie stark unsere Gedanken unser Empfinden und Befinden beeinflussen, das können Sie selbst ausprobieren. Stellen Sie sich bildhaft vor, Sie würden herzhaft in eine Zitrone beißen, und achten Sie darauf, wie Ihr Körper reagiert. Vermutlich verzieht sich Ihr Mund allein durch die Vorstellung des sauren Geschmacks einer Zitrone. Und das nur aufgrund einiger weniger, gedachter Worte. Wie groß muss dann erst die Wirkung sein, wenn wir uns nicht nur regelmäßig unser künftiges Leben bildhaft vorstellen, sondern auch Schritte in die gewünschte Richtung tun? Probieren Sie es doch einfach mal aus.
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