Transparenz = Information?
Ein Beitrag aus unserer »Standpunkte«-Reihe von Dr. André Schläfli (Direktor SVEB, Schweiz).
Was das Weiterbildungsgesetz zum Thema Transparenz (nicht) sagt.
Mitte April wurde die Vernehmlassung zum Entwurf für das erste Bundesgesetz über die Weiterbildung (WeBiG) abgeschlossen. Zu den Zielsetzungen des Gesetzes gehört auch die Herstellung von Transparenz. Allerdings: Was darunter zu verstehen ist, lässt der Gesetzesentwurf weitgehend im Dunkeln. Der folgende Artikel geht der Frage nach, was Transparenz in der Weiterbildung heisst und wie sie erreicht werden kann.
Der Mangel an Transparenz gehört zu den am häufigsten beklagten Problemen des Weiterbildungssystems in der Schweiz – immer wieder ist von «Dschungel», «Wirrwarr» und Ähnlichem zu hören.
Was heisst «Transparenz»?
Transparenz besteht definitiv nicht nur aus Informationen! Und sie ist auch keine automatische Nebenwirkung der Qualitätsentwicklung – wie es der aktuelle Entwurf zum Weiterbildungsgesetz suggeriert. Kurz gesagt, bedeutet Transparenz aus Sicht des Autors zweierlei: erstens Markttransparenz und zweitens die Einordnung aller Weiterbildungsangebote und Abschlüsse in ein anerkanntes Niveausystem.
Markttransparenz
Zum ersten Punkt, der Markttransparenz: Transparenz in diesem Sinn ist gegeben, wenn alle Marktteilnehmenden die Möglichkeit haben, jedes Weiterbildungsangebot in Bezug auf Inhalt und Zielsetzungen, Nutzen und Preis-/Leistungsverhältnis zu beurteilen. Markttransparenz geht also über die Information hinaus. Sie verschafft den Marktakteuren – den KäuferInnen und BestellerInnen, aber auch der Konkurrenz – Vergleichsmöglichkeiten und erlaubt ihnen so, ihr Marktverhalten mit einer rationalen Auswahl zu steuern.
Aus Teilnehmersicht ist ausserdem festzuhalten: Es reicht nicht aus, dass alle Informationen verfügbar sind, auch wenn sie dank eduQua und Datenbanken wie AliSearch übersichtlich präsentiert werden. Viele Personen finden sich in den Informationen nicht allein zurecht, sie brauchen Hilfe und Begleitung bei der Auswahl geeigneter Angebote. Das gilt nicht nur auf individueller Ebene, sondern auch für Betriebe: Arbeitgeber, die ihre Mitarbeitenden in der Weiterbildung unterstützen, haben oft Mühe, sich im Angebot zurechtzufinden. Nicht selten lösen sie das Problem, indem sie auf ihnen bereits bekannte Institutionen zurückgreifen.
Dass die Orientierung schwierig ist, liegt nicht am mangelhaften Orientierungssinn der Interessenten, sondern am System, das über keine allgemein verbindlichen Kriterien für die Beurteilung von Angeboten und Abschlüssen verfügt. Die Anbieter können dies nicht in eigener Regie lösen. Hier ist auch der Staat gefragt.
Niveausysteme
Zum zweiten Aspekt der Transparenz, der Einordnung von Angeboten in anerkannte Niveausysteme, ist festzuhalten: Auch dieser Anspruch ist in der Schweiz noch nicht eingelöst.
Auf dem Markt werden zahlreiche Abschlüsse angeboten, die gleich heissen, aber auf sehr unterschiedlichen Zielen und Methoden beruhen. So gibt es zahlreiche Branchenzertifikate, deren Wert und Anrechenbarkeit für die Nachfragenden oft undurchschaubar sind. Zu den Branchenzertifikaten gehören so unterschiedliche Abschlüsse wie das SVEB-Zertifikat, das Aerobic-Zertifikat oder das SRK-Zertifikat Pflegehelferin. Schon allein die Migros-Klubschulen bieten rund 40 Lehrgänge an, die mit einem Klubschul-Diplom abschliessen, beispielsweise: WellnessTrainer, Klassische Massage, IT Netzwerk Supporter oder Projektmanagement. Für diese Abschlüsse gelten die von den Klubschulen definierten Qualitätsmerkmale (einheitliches Prüfungswesen, national einheitliche Lehrpläne, Bezug zum europäischen Qualifikationsrahmen usw.).
Die Rolle des Staates
Grosse Anbieter wie die Klubschulen können für ihre eigenen Angebote Transparenz herstellen. Der systembedingten Intransparenz kann eine einzelne Organisation aber nicht abhelfen, solange ein anerkanntes, übergeordnetes Instrument für die Einordnung der Abschlüsse fehlt. Solche Instrumente einzuführen, ist Sache des Staates. Der zurzeit in Entwicklung befindliche Nationale Qualifikationsrahmen (NQR) ist ein solches Instrument. Bisher hat der Bund den NQR aber nur für das formale System vorgesehen. Zu Unrecht, wie man aus Sicht der Weiterbildung sagen muss. Es ist weder sinnvoll noch nachvollziehbar, warum ein Niveausystem, das kompetenz- und outputorientiert und eben gerade nicht systemorientiert ist, den Weiterbildungsbereich ausklammern sollte. Wenn der Bund die (non-formale) Weiterbildung vom NQR ausschliesst, vergibt er eine wertvolle Chance zur Förderung der Transparenz.
Die Rolle des WeBiG
Mit dem Verfassungsauftrag und dem neuen Weiterbildungsgesetz hat der Bund erstmals eine gesetzliche Grundlage, um den vielbeklagten «Dschungel» der Weiterbildung in ein transparentes System zu verwandeln.
Ein erster Schritt dazu ist getan: Der Entwurf zum Weiterbildungsgesetz erwähnt das Thema Transparenz bei den Zielen, welche Bund und Kantone gemeinsam erreichen wollen:
Art 4c. «günstige Rahmenbedingungen für die Einzelnen und die öffentlich-rechtlichen und privaten Anbieter von Weiterbildung zu schaffen und namentlich für eine hohe Qualität, Durchlässigkeit, Transparenz und für einen chancengleichen Zugang zu sorgen.»
Auch im erläuternden Bericht kommt Transparenz zur Sprache, und das gleich 20 Mal. Trotzdem wurde Transparenz leider nicht als eigenständiger Grundsatz im Gesetz verankert. Gesetzesentwurf und erläuternder Bericht gehen offenbar davon aus, dass Transparenz automatisch als Nebenprodukt der Qualitätssicherung entstünde. Transparenz und Qualität hängen sicherlich zusammen. Doch die oben skizzierte Problematik der Niveausysteme ist keine Frage der Qualitätssicherung. Da geht es um übergreifende Systemfragen, die in die Zuständigkeit des Bundes fallen.
Fazit
Zusammenfassend gesagt, ist Transparenz erreicht, wenn folgende Anforderungen erfüllt sind:
- Alle Angaben zur Beurteilung im Preis-/Leistungsverhältnis oder in der Preis-/Qualitäts-Relation
- Der Preis muss die vom Teilnehmer zu entrichtende Gesamtsumme enthalten
- Qualitätskontrolle und Qualitätsgarantie
- Der Abschluss muss durch Titelgebung und Einstufung mit anderen Abschlüssen vergleichbar gemacht werden
- Validierung und Anrechnung von Abschlüssen
In allen diesen Bereichen bietet das Weiterbildungssystem bewährte Ansatzpunkte und Lösungswege, im Qualitätsbereich vor allem das Label eduQua, bei der Anrechung von Abschlüssen existieren Credit-Systeme wie ECTS und ECVET, zur Sicherung der Durchlässigkeit gibt es den NQR und diverse Portfoliomethoden (z.B. das Sprachenportfolio), Validierungsverfahren sind ebenfalls vorhanden. Der Staat hat nun die Aufgabe – und dank Weiterbildungsgesetz auch den Auftrag -, die Rahmenbedingungen zu schaffen, damit aus der Ansammlung von Lösungsansätzen ein kohärentes, transparentes Weiterbildungs-System wird.
Zum Autor: Dr. André Schläfli ist Direktor des Schweizerischen Verbandes für Weiterbildung SVEB. Neben seiner Führungsfunktion hat er seinen Arbeitsschwerpunkt im Bereich Bildungspolitik. Er vertritt die Interessen der Weiterbildung gegenüber Bund, Privaten und Kantonen. Sein Hauptanliegen ist die Stärkung der Weiterbildung in der Schweiz. Dazu entwickelt er neue Ideen und Konzepte. Ausserdem engagiert er sich als Experte in internationalen Gremien und Projekten. Er ist Vizedirektor des Weltverbandes für Weiterbildung ICAE und seit 2011 Mitglied der «International Adult and Continuing Education (IACE) Hall of Fame».
In unserer Reihe »Standpunkte« bieten wir von Zeit zu Zeit engagierten Akteuren aus den Bereichen Weiterbildung, Personalentwicklung und Wissensmanagement die Möglichkeit, sich mit einem aktuellen Thema an unsere Leser zu wenden. Unabhängig vom jeweiligen Inhalt weisen wir darauf hin, dass diese Artikel ausschließlich die Meinung des jeweiligen Autors wiedergeben und nicht zwangsläufig mit der Auffassung der Redaktion in Einklang zu bringen sind.
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