Studierende ohne Abitur sind gleichermaßen erfolgreich wie andere Studierendengruppen
Nicht-traditionelle Studierende, die mit einer beruflichen Qualifizierung ein Studium beginnen, haben keinen schlechteren Notendurchschnitt als ihre Kommilitoninnen und Kommilitonen, die direkt nach dem Abitur ein Studium aufgenommen haben. Allerdings zeigt sich bei ihnen ein höheres Abbruchrisiko wie auch bei anderen Gruppen mit beruflicher Qualifikation. Dies sind zwei Ergebnisse einer Studie, die die HU Berlin und das DZHW in den vergangenen Jahren durchgeführt haben.
Eine Längsschnittuntersuchung des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) und der Humboldt-Universität zu Berlin kommt zu dem Ergebnis, dass nicht-traditionelle Studierende trotz eines höheren Studienabbruchrisikos ähnlich erfolgreich sind wie andere Studierendengruppen. Dies gilt in besonderem Maße für die erzielten Studiennoten und den Studienfortschritt.
Bislang lagen zur Frage des Studienerfolgs von nicht-traditionellen Studierenden kaum bundesweit vergleichende Untersuchungen vor. Die Studie »Nicht-traditionelle Studierende zwischen Risikogruppe und akademischer Normalität« (Teil I 2011 – 2016 und Teil II 2016 – 2019) wird durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert.
Das Forscherteam hat nicht-traditionelle Studierende zu verschiedenen Zeitpunkten im Studienverlauf mit anderen Studierendengruppen wie Abiturienten und Abiturientinnen oder Studierenden des Zweiten Bildungswegs verglichen. In den Vergleich wurden verschiedene Studienfächer einbezogen. Dabei stehen Studierende im Präsenzstudium im Vordergrund. Der Gruppenvergleich zeigt: Nicht-traditionelle Studierende werden den spezifischen Anforderungen ihres Studienfachs in ähnlicher Weise gerecht wie andere Studierende. Sie können sich an ihrer Hochschule erfolgreich akademisch integrieren. »Bereits im dritten Semester erreichen die Studiennoten ein annähernd gleiches Niveau, und bis zum fünften Semester haben die Studierenden ohne Abitur ähnlich viele Leistungspunkte gesammelt wie die Vergleichsgruppen«, erläutert Gunther Dahm vom DZHW die Studienergebnisse. Er hat für die Studie die Daten des Nationalen Bildungspanels (NEPS) ausgewertet.
Das Ausmaß der Unterschiede zwischen den Studienleistungen von nicht-traditionellen und traditionellen Studierenden bleibt auch bis zum siebten Hochschulsemester gering. Erste hochschul- und fachbezogene Auswertungen der Hochschulstatistik zeigen außerdem, dass auch bei den Examensnoten die Abstände zwischen nicht-traditionellen und traditionellen Studierenden klein sind. Damit gelangen Studierende ohne (Fach-)Abitur zu Studienleistungen, die ihre eigenen Erwartungen vor Studienbeginn weit übertreffen.
Eine Erklärung für diesen Befund sieht das Forscherteam in den Bildungs- und Erwerbsbiografien dieser Studierenden. Ihre Werdegänge zeichnen sich u.a. dadurch aus, dass sie in Schule, Berufsausbildung, Erwerbstätigkeit und Weiterbildung umfangreiche Studienvoraussetzungen erworben haben und über eine klare Studienmotivation verfügen. Beides befähigt sie zu einem erfolgreichen Studieren. »Viele Studierende haben uns berichtet, dass sie ihre persönlichen und beruflichen Erfahrungen als wichtige Ressourcen zur erfolgreichen Bewältigung des Studiums ansehen. Dabei spielen aus ihrer Sicht vor allem Ziel- und Leistungsorientierung, Organisationsfähigkeit und Fachinteresse eine entscheidende Rolle. Einige nehmen ihre Lebenserfahrung sogar als eine Art ‚Wettbewerbsvorteil’ gegenüber anderen Studierenden wahr«, kommentieren Caroline Kamm und Alexander Otto von der HU Berlin die Studienergebnisse. Beide haben seit 2012 mehr als 80 nicht-traditionelle Studierende bis zu drei Mal interviewt.
Die Studie zeigt aber auch, dass die Abschlussquoten bei den nicht-traditionellen Studierenden unter dem Wert der Studierenden aus der gymnasialen Oberstufe liegen. »Ursachen für die geringere Abschlussquote liegen beispielsweise in der schwierigeren Vereinbarkeit zwischen Studium, Beruf und Familie oder in finanziellen Problemen. Außerdem kann es größere Schwierigkeiten bei der Bewältigung der Leistungs- und Lernanforderungen im Studium geben«, erklären die Projektleiter Andrä Wolter (HU Berlin) und Christian Kerst (DZHW) (siehe Abbildung 2).
Hintergrund und Anlass der Studie
Anlass für die Studie ist die weitere Öffnung des Hochschulzugangs für beruflich Qualifizierte ohne schulische Hochschulzugangsberechtigung (sog. nicht-traditionelle Studierende). Inzwischen nehmen jährlich etwa 13.000 nicht-traditionelle Studierende ein Hochschulstudium auf. Das sind etwa 3 % aller Studienanfänger und -anfängerinnen. Deutlich häufiger als ihre Kommilitonen und Kommilitoninnen studieren sie an privaten Hochschulen und in Fernstudiengängen. Mit dem Hochschulzugang für beruflich Qualifizierte sind seit seiner erstmaligen Einführung vor beinahe 100 Jahren Diskussionen um die Studierfähigkeit dieser Gruppe verbunden. So wird vermutet, dass Studierende ohne (Fach )Abitur deutlich schlechtere Studienleistungen erreichen als Absolventen und Absolventinnen der gymnasialen Oberstufe und seltener ein Studium erfolgreich abschließen.
Bislang gibt es, abgesehen von wenigen studiengang- oder standortbezogenen Studien, kaum belastbare Daten, die die Frage des Studienerfolgs hochschulübergreifend beantworten. Hier setzt die Studie an, für die die Forschergruppe Erfolg und Misserfolg im Studium über mehrere Jahre beobachtet hat. Die Studie basiert auf Daten des Nationalen Bildungspanels (NEPS), der Hochschulstatistik sowie auf Interviews mit nicht-traditionellen Studierenden, die wiederholt zu verschiedenen Zeitpunkten ihres Studienverlaufs befragt wurden. Das Forschungsvorhaben ist noch nicht beendet. In einer zweiten Phase wird der Frage nachgegangen, welchen Weg nicht-traditionelle Studierende nach dem Bachelorabschluss einschlagen und welchen Nutzen sie aus dem Studium ziehen.
VERWEISE
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