Zahl der Studierenden ohne Abitur hat sich seit 2010 verdoppelt
57.000 Menschen in Deutschland studieren ohne allgemeine Hochschulreife oder Fachhochschulreife – das sind so viele wie noch nie. Frauen und Männer sind darunter jeweils rund zur Hälfte vertreten und fast jede(r) zweite Studierende ohne Abitur ist älter als 30 Jahre. Dies ergeben aktuelle Berechnungen des CHE Centrum für Hochschulentwicklung. Seit fast zehn Jahren existiert über den sogenannten dritten Bildungsweg überall im Bundesgebiet die Möglichkeit, sich auch über Berufspraxis für ein Studium zu qualifizieren. Dies gilt sogar für zulassungsbeschränkte Fächer wie Medizin und Pharmazie.
Die Zahl der Studierenden ohne allgemeine Hochschulreife oder Fachhochschulreife hat sich seit 2010 mehr als verdoppelt und liegt 2016 bei 57.000. Auch bei den Studienanfänger(inne)n ist der Wert gestiegen. Der Anteil an allen Studienanfänger(inne)n liegt im Bundesgebiet aktuell bei 2,6 Prozent. Die Studierenden- und Absolvent(inn)enquote beträgt 2 bzw. 1,5 Prozent. Die Zahl derjenigen, die ein Studium ohne den vorherigen Erwerb einer schulischen Hochschulzugangs-berechtigung erfolgreich abschließen, ist in den zurückliegenden Jahren kontinuierlich angewachsen und erreichte 2016 mit 7200 Personen ihren vorläufigen Höchstwert.
»Die Kombination von Berufs- und Hochschulbildung wird immer mehr zum Normalfall. Man muss sich nicht mehr für nur einen Weg entscheiden. Gelernte Krankenpfleger oder Handwerks-meisterinnen sind heute keine Exoten mehr auf dem Campus, sondern gehören zur selbstverständlichen Vielfalt der Studierenden an deutschen Hochschulen«, bewertet CHE-Geschäftsführer Frank Ziegele den erneuten Rekordwert.
Weiterhin sehr unterschiedlich präsentiert sich die Entwicklung in den einzelnen Bundesländern. Beim Anteil der Studienanfänger(inne)n ohne Abitur belegen Hamburg (4,6 Prozent), Nordrhein-Westfalen (4,2 Prozent) und Berlin (3,6 Prozent) die vorderen Plätze. Schlusslicht ist das Saarland, das als einziges Bundesland mit 0,8 eine Quote von unter einem Prozent aufweist.
Erstmals hat das CHE auch Daten zu Geschlecht und Alter der Studierenden analysiert, die sich rein über den beruflichen Weg für ein Studium qualifiziert haben. So ist in etwa die Hälfte zwischen 20 und 30 Jahren alt, aber auch die 30- bis 40-Jährigen sind mit einer Quote von ungefähr einem Drittel relativ häufig anzutreffen. Männer sind bei den Studierenden ohne Abitur mit 55 Prozent nur wenig mehr vertreten als Frauen mit 45 Prozent. Auffallend ist, dass Frauen häufiger als Männer auch noch im fortgeschrittenen Lebensalter von über 40 den Sprung in die akademische Ausbildung wagen.
»Die Zahlen zeigen, dass Angebote zum lebenslangen Lernen im Hochschulbereich immer mehr Zuspruch finden. So war rund ein Drittel der Personen, die ohne vorherigen Erwerb einer allgemeinen Hochschulreife oder einer Fachhochschulreife im Jahr 2016 ein Studium erfolgreich abschließen konnten, älter als 40 Jahre«, veranschaulicht Sigrun Nickel, Leiterin Hochschulforschung beim CHE. »Von der mitgebrachten Berufs- und Lebenserfahrung können im Seminar-Alltag sowohl Kommilitoninnen und Kommilitonen, die direkt nach der Schule ins Studium gewechselt sind, als auch Lehrende profitieren«, meint die Expertin.
Was nur Wenige wissen: Selbst ein Studium in den bundesweit zulassungsbeschränkten Fächern Medizin und Pharmazie ist für Studierende ohne Abitur möglich. So ersetzt etwa die Note der Meister- oder Fachwirtprüfung die Abitur-Note bei der Bewerbung um einen Studienplatz. Von den aktuell 107.000 Medizinstudierenden in Deutschland sind rund 700 über den beruflichen Weg an einen Studienplatz gelangt. Jährlich kommen etwa 150 Studienanfänger(innen) ohne Abitur in der Human- und Zahnmedizin hinzu. In einer neu erschienenen Publikation hat das CHE zusammengefasst, welche Qualifikationen und Nachweise dafür erbracht werden müssen. Daneben gibt es viele hilfreiche Tipps zur Bewerbung.
Insgesamt wählte mit 55 Prozent mehr als die Hälfte aller Studienanfänger(innen) ohne Abitur im Jahr 2016 ein Fach aus den Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften. An zweiter und dritter Stelle stehen die Ingenieurwissenschaften (20 Prozent) und Humanmedizin / Gesundheitswissenschaften (12 Prozent). Dabei stehen Fachhochschulen bzw. Hochschulen für angewandte Wissenschaften deutlich höher im Kurs als Universitäten. Knapp 61 Prozent der Studienanfänger(innen) ohne schulische Hochschulzugangsberechtigung im Jahr 2016 entschieden sich für ein Studium an diesem Hochschultyp. Etwas mehr als ein Drittel ging an eine Universität und gut vier Prozent an eine Kunst- oder Musikhochschule.
Generelle Voraussetzung für die Bewerbung um einen Studienplatz ohne allgemeine Hochschulreife und Fachhochschulreife ist fächerübergreifend eine abgeschlossene Berufsausbildung sowie der Nachweis von Berufserfahrung. Studieninteressierten stehen in Deutschland bundesweit über 8.000 Studienangebote offen.
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