Weniger Studienanfänger nach Turbo-Abitur
Die Verkürzung der Schulzeit bis zum Abitur von 13 auf 12 Jahre führt dazu, dass Abiturientinnen und Abiturienten im ersten Jahr nach dem Schulabschluss seltener ein Studium aufnehmen. Stattdessen nutzen sie das Jahr häufiger für einen Freiwilligendienst oder einen Auslandsaufenthalt. Zu diesem Ergebnis kommen Tobias Meyer, Stephan Thomsen (beide NIW Hannover) und Heidrun Schneider (DZHW Hannover) in einer aktuellen Studie, die das Bonner Institut zur Zukunft der Arbeit (IZA) jetzt veröffentlicht hat.
Die meisten Bundesländer haben im vergangenen Jahrzehnt die Länge der Schulzeit bis zum Abitur um ein Jahr verkürzt, ohne dabei die Anzahl der Unterrichtsstunden zu reduzieren. Dadurch müssen Gymnasiasten den gleichen Lernstoff nun in kürzerer Zeit aufnehmen. Ziel der Reform war, das gleiche Bildungsniveau in kürzerer Zeit zu erreichen, damit die Abiturienten ihre nachschulische Bildung und den Berufseinstieg ein Jahr früher beginnen können.
Studienaufnahme direkt nach Abitur geht um 15 Prozent zurück
Ob und inwieweit dieses Ziel tatsächlich erreicht wird, ist bislang empirisch kaum erforscht. Das aktuelle IZA-Diskussionspapier untersucht mögliche Auswirkungen der Reform auf die nachschulischen Bildungsentscheidungen männlicher und weiblicher Abiturienten in einer Reihe von Bundesländern. Die Studie basiert auf Daten des DZHW-Studienberechtigtenpanels für die Abiturjahrgänge 2006 bis 2012.
Da die Reform nicht gleichzeitig, sondern sukzessive in den einzelnen Bundesländern eingeführt wurde, lassen sich die Bildungsentscheidungen in Ländern mit und ohne »Turbo-Abitur« vergleichen. Durch mehrere Analysen unterschiedlicher Jahre und Bundesländer überprüften die Autoren, inwieweit sich die Reformwirkungen in den einzelnen Bundesländern unterscheiden.
Der Untersuchung zufolge ist die Wahrscheinlichkeit, direkt im Anschluss an das Abitur ein Studium aufzunehmen, infolge der Schulzeitverkürzung um rund 15 Prozent zurückgegangen. Dieser Effekt ist in allen untersuchten Bundesländern zu finden und betrifft nicht nur die erste von der Reform betroffene Kohorte, sondern auch die nachfolgenden Jahrgänge.
Unterschiede zwischen Ost und West
Interessanterweise zeigt sich jedoch ein Unterschied zwischen den westdeutschen und ostdeutschen Bundesländern bei der Ursache für die reduzierte bzw. verzögerte Studienaufnahme: Während westdeutsche Abiturientinnen häufiger ein Freiwilliges Jahr absolvieren oder ein Jahr im Ausland verbringen, um im Anschluss ein Hochschulstudium zu beginnen, nehmen die Abiturientinnen in Ostdeutschland deutlich häufiger eine Berufsausbildung anstelle eines Studiums auf.
Dadurch ist die Studierneigung im zweiten Jahr nach dem Abitur in Westdeutschland nicht mehr geringer als vor der Reform, während sie in Ostdeutschland auch über das erste Jahr hinaus reduziert bleibt. Bei Abiturientinnen und Abiturienten aus nicht-akademischem Elternhaus sowie bei männlichen Abiturienten ist die Studierneigung im zweiten Jahr nach dem Schulabschluss jedoch auch in Westdeutschland verringert.
Lernstress und Unsicherheit mögliche Ursachen
Die Autoren der Studie sehen mögliche Erklärungen darin, dass sich Abiturienten nach der kürzeren, lernintensiveren Schulzeit von 12 Jahren schlechter auf ein Studium vorbereitet fühlen, unsicherer über ihren weiteren Bildungs- und Berufsweg sind oder vor der Aufnahme einer nachschulischen Bildung erst einmal andere Erfahrungen sammeln wollen.
»Die Bildungspolitik sollte darauf hinarbeiten, die verkürzte Schulzeit so zu organisieren, dass die Abiturientinnen und Abiturienten gleichermaßen auf ein Hochschulstudium vorbereitet und dazu motiviert sind wie nach 13 Schuljahren«, fordert der Bildungsexperte Stephan Thomsen. Außerdem gelte es sicherzustellen, dass genügend Angebote zur beruflichen Orientierung bereitgestellt und auch genutzt werden.
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