Studentische Beschäftigte arbeiten wochenlang ohne Bezahlung
Sechs von zehn der studentischen Beschäftigten geben an, im Durchschnitt fast fünf Wochen vor oder nach Vertragsbeginn ohne Bezahlung zu arbeiten.
Das ist ein Ergebnis der Studie, die die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) und die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) in Auftrag gegeben haben. Die große Mehrheit von den 11.000 Befragten, nämlich 90 Prozent, gab gleichzeitig an, dass sie mit der Arbeit ihr Studium finanziere.
Die Mindestvertragsdauer der Arbeitsverhältnisse beträgt zudem laut der heute (20. Januar 2023) vorgestellten Studie durchschnittlich nicht einmal ein halbes Jahr und Kettenverträge sind üblich. Sind studentische Beschäftigte mehr als einmal an einer Hochschule angestellt (83%), dann arbeiten sie durchschnittlich bereits zum dritten Mal auf dieselben Stelle. Studentische Hilfskräfte übernehmen unterstützende Aufgaben für wissenschaftliche Mitarbeiter*innen wie Daten bei Forschungsprojekten erfassen, Material für Seminare und Vorlesungen bereitstellen oder selbst Tutorien geben.
Sylvia Bühler, im ver.di-Bundesvorstand zuständig für Bildung und Wissenschaft, kritisiert: »Die Arbeitsbedingungen von studentischen Beschäftigten grenzen an Ausbeutung. Dass Hochschulen und Universitäten Menschen arbeiten lassen, ohne sie dafür zu bezahlen, ist ein unhaltbarer Zustand. Vielen wird auch kein Urlaub gewährt. Und das alles ausgerechnet im öffentlichen Dienst. Die täglichen Gesetzesverstöße müssen die Arbeitgeber sofort abstellen.«
Außerdem fordere ver.di die Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) auf, bei den anstehenden Gesprächen zügig zum eigentlichen Thema zu kommen. »Damit die prekären Arbeitsbedingungen abgestellt werden, brauchen die studentischen Beschäftigten endlich den Schutz eines Tarifvertrages. Unter anderem müssen darin Mindestlaufzeiten für die Arbeitsverträge und faire Entgelte geregelt werden«, stellt Bühler klar.
Andreas Keller, stellvertretender GEW-Vorsitzender, ruft die Arbeitgeber ebenfalls zum Handeln auf: »Studentische Beschäftigte werden mit Kettenarbeitsverträgen und Dumping-Löhnen auf die steinigen Karrierewege in der Wissenschaft nach dem Studium eingestimmt. Auf diese Weise werden viele Hochschulabsolventinnen und -absolventen von einer Laufbahn in Forschung und Lehre abgeschreckt. Für stabile Beschäftigung in der Wissenschaft zu sorgen, heißt daher auch, die Arbeitsbedingungen von studentischen Beschäftigten tarifvertraglich und gesetzlich abzusichern.«
ver.di und GEW haben die nun vorliegende Studie mit dem Titel »Jung, akademisch, prekär?« beim Institut für Arbeit und Wirtschaft, kurz iaw, der Universität Bremen in Auftrag gegeben. Mit 11.000 befragten studentischen Beschäftigten ist es die bisher größte Untersuchung zu den Arbeitsbedingungen dieser Berufsgruppe.
Marvin Hopp vom Forschungsteam des iaw der Universität Bremen fasst die Ergebnisse so zusammen: »Die Befragung zeigt, dass ein flächendeckender Regulierungsbedarf der Arbeitsbeziehungen im Bereich studentischer Beschäftigung besteht. Es gibt deutliche Lücken in der Einhaltung der gesetzlichen Arbeitnehmerrechte wie Urlaubsanspruch, Arbeitszeiterfassung und Entlohnung von Mehrarbeit. Hier wird deutlich, dass die gesetzliche Mitbestimmung dringend auf studentische Beschäftigte in allen Bundesländern ausgeweitet werden muss.«
Bisher hat einzig das Land Berlin einen Tarifvertrag für studentisch Beschäftigte. ver.di und GEW werden die Folgen der Studienergebnisse Ende Februar mit den studentischen Beschäftigten auf einer großen Konferenz an der Universität Göttingen diskutieren.
Hintergrund
2021 haben sich studentisch Beschäftigte bundesweit organisiert und bei der Tarifrunde der Länder mit anderen Länder-Beschäftigten gestreikt. Ziel ist ein flächendeckender Tarifvertrag, kurz TV Stud. Ein erster Erfolg sind die zwischen der Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) und ver.di vereinbarten Gespräche zum Thema »TV Stud«.
Laut Statistischem Bundesamt (2021) gibt es in Deutschland circa 136.000 studentische Beschäftigte. Verschiedene Quellen wie etwa Kleine Anfragen in den Landtagen deuten jedoch darauf hin, dass die tatsächliche Zahl deutlich höher liegt. Genaue Zahlen liegen nicht vor, weil die Hochschulen und Universitäten die Beschäftigten häufig nur unter Sachmitteln und nicht als Personal führen. Eine aussagekräftige Personalstatistik dazu gibt es nicht.