Studie: Wählen ab 16 kann Wahlbeteiligung dauerhaft erhöhen
Seit vielen Jahren sinkt die Wahlbeteiligung stetig, bei Bundestags-, Landtags- und Kommunalwahlen. Das schadet der Demokratie, weil Wahlen immer weniger repräsentativ sind und eine immer größere soziale Spaltung aufweisen. Die Absenkung des Wahlalters könnte diesen Trend langfristig stoppen.
Je früher und je häufiger Erst- und Jungwähler ihre Stimme abgeben, desto höher ist langfristig das Niveau der allgemeinen Wahlbeteiligung. Durch das Wahlrecht ab 16 kann es langfristig gelingen, die Wahlbeteiligung von 71,5 Prozent (Bundestagswahl 2013) auf bis zu 80 Prozent (2049) zu steigern. Das geht aus der Studie »Wählen ab 16« der Bertelsmann Stiftung hervor. Sie prognostiziert in drei Szenarien die zukünftige Höhe der Wahlbeteiligung auf Bundesebene – mit und ohne 16-jährige Erstwähler.
Das Basisszenario berechnet die zukünftige Wahlbeteiligung auf Grundlage des aktuellen Wahlverhaltens aller Altersgruppen: Während es Jung- und Erstwähler durchschnittlich seltener an die Wahlurne zieht, steigt die Wahlbeteiligung mit zunehmendem Alter fast kontinuierlich an. Sollte dieser Alterseffekt in der Wahlbeteiligung bestehen bleiben, prognostiziert die Studie bis zur Bundestagswahl 2049 einen Einbruch der Wahlbeteiligung auf 68 Prozent. Wählen ab 16 könnte dies verhindern: »Wenn wir es schaffen, Jugendliche früher und häufiger zur Wahl zu motivieren, könnte sich langfristig auch die Gesamtwahlbeteiligung steigern«, sagte Robert Vehrkamp, Direktor des Programms Zukunft der Demokratie der Bertelsmann Stiftung.
Jung und aktiv: Mögliche Folgen eines Wahlrechts ab 16
Die Absenkung des Wahlalters ist zur langfristigen Steigerung der Wahlbeteiligung entscheidend, da 16-Jährige noch stark in schulischen und familiären Strukturen verankert sind, in denen sich durch Bildungsmaßnahmen politisches Interesse aktivieren lässt. Wie sich Wählen ab 16 konkret auswirken könnte, zeigt das Mobilisierungsszenario der Studie. Gelingt es, durch früheres Wählen die Erstwählerbeteiligung um etwa ein Drittel, im Vergleich zur Bundestagswahl 2013, zu erhöhen, dann könnte die Wahlbeteiligung insgesamt bis 2049 auf knapp 80 Prozent klettern (Bundestagswahl 2013: 71,5 Prozent). Ohne Wählen ab 16 und bei einer um etwa ein Drittel sinkenden Erstwählerbeteiligung könnte die Gesamtwahlbeteiligung im gleichen Zeitraum auf knapp 58 Prozent einbrechen (Demobilisierungsszenario).
Jüngere Erstwähler könnten nicht nur positive Auswirkungen auf den Andrang an den Wahlurnen haben, sondern auch die soziale Spaltung der Wahlergebnisse verringern: »Vor allem Jugendliche aus sozial schwächeren und bildungsferneren Milieus gehen immer seltener wählen. Die soziale Spaltung der Wahlbeteiligung ist bei jungen Menschen zwischen 18 und 29 Jahren dreimal so stark ausgeprägt wie bei allen anderen Wahlberechtigten in den anderen Altersgruppen. Eine höhere Erstwählerbeteiligung könnte die politische Ungleichheit in Deutschland entschärfen«, sagte Vehrkamp.
Wahlen gehören in den Schulalltag
Die Absenkung des Wahlalters ist jedoch kein Selbstläufer. Das Beispiel Österreich und die drei deutschen Bundesländer Hamburg, Brandenburg und Bremen zeigen: Nur mit gezielten Maßnahmen zur Mobilisierung der Erstwähler wird Wählen ab 16 ein Erfolg. Besonders gefragt sind dabei Bildungsmaßnahmen an Schulen, denn sie erreichen gut 90 Prozent aller 16- bis 17-Jährigen in Deutschland. Dass sich Jugendliche für Wahlen aktivieren lassen, lässt sich aus den Erfahrungen der österreichischen Nationalratswahl 2008 ableiten: Die geschätzte Wahlbeteiligung der 16- und 17-Jährigen entsprach mit 77 Prozent nahezu der durchschnittlichen, allgemeinen Wahlbeteiligung (78,8 Prozent).
Eine im Rahmen der Studie vom Institut für Demoskopie Allensbach durchgeführte repräsentative Umfrage zeigt, dass die Deutschen solchen Aktivierungsmaßnahmen in Schulen positiv gegenüber stehen. Mehr als acht von zehn (81 Prozent) Jugendlichen und mehr als sechs von zehn (61,5 Prozent) aller Menschen in Deutschland befürworten eine stärkere Integration von Wahlen in den Schulalltag.
Hintergrund
Die Studie basiert auf den Wahlanalysen und repräsentativen Statistiken des Bundeswahlleiters, des Statistischen Landesamtes Bremen, des Statistischen Amtes für Hamburg und Schleswig-Holstein und des Amtes für Statistik Berlin-Brandenburg. Die Daten für Österreich stammen aus wissenschaftlichen Studien, insbesondere aus Veröffentlichungen, die im Rahmen der nationalen Wahlstudie AUTNES (Austrian National Election Study) erschienen sind. Aussagen zur sozialen Selektivität bei Jugendlichen beruhen auf einer empirischen Analyse des GLES-Datensatzes (German Longitudinal Election Study). Angaben zur Alters-struktur basieren auf den Daten des Statistischen Bundesamts. Für die Schätzung der sozialen Alterungsprozesse in Deutschland wurden Prognosen der Bevölkerungsentwicklung vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin verwendet.
Zusätzlich wurden für die Studie die Ergebnisse einer repräsentativen Bevölkerungsumfrage berücksichtigt, die das Institut für Demoskopie Allensbach im Auftrag der Bertelsmann Stiftung zum Thema »Wählen ab 16« im September 2015 durchgeführt hat.