Netzwerkdurchsetzungsgesetz: Experten fordern Nachbesserungen

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Von Optimierung bis hin zu einem regulatorischen Neuansatz reichte die Bandbreite der Meinungen der zehn Sachverständigen aus Justiz, Wissenschaft, Medien und Medienrecht in einer zweieinhalbstündigen öffentlichen Anhörung im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz am Mittwoch zum Thema Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG).

Anlass der Sitzung unter Leitung des Ausschussvorsitzenden Stephan Brandner (AfD) waren Gesetzentwürfe der AfD-Fraktion zur Aufhebung und der Fraktion Die Linke zur teilweisen Aufhebung des NetzDG sowie ein Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, die Nachbesserungen fordert, um die Nutzerrechte in sozialen Netzwerken zu stärken, und mehrere Artikel eines Gesetzentwurfs der FDP-Fraktion zur Stärkung der Bürgerrechte, in dem ebenfalls die Aufhebung des NetzDG gefordert wird.

Das noch kurz vor der Bundestagswahl 2017 verabschiedete Gesetz zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken, wie es eigentlich heißt, verpflichtet Betreiber von Internet-Plattformen wie Facebook und Twitter zur zügigen Löschung strafbarer Inhalte. Kritiker sehen in dem Gesetz einen Eingriff in das Recht der freien Meinungsäußerung und bemängeln unter anderem eine Privatisierung der Rechtsdurchsetzung. Die Abgeordneten konzentrierten sich mit ihren Fragen an die Sachverständigen auf verfassungsrechtliche Probleme bei der Durchsetzung des NetzDG und die Effektivität der damit verbundenen Arbeitsabläufe. Im Detail wollten sie wissen, wie Sperrungen, Löschungen und Wiedereinstellungen ablaufen. Fragen gab es auch zu Möglichkeiten der Weiterentwicklung und Verbesserung des Gesetzes, zu den Aussichten für gemeinschaftliche Standards der Netzwerke sowie zur Verteilung der Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern.

Heinz-Josef Friehe, der Präsident des Bundesamtes für Justiz (BfJ), der für die Durchführung des Gesetzes zuständigen Verwaltungsbehörde, erklärte in seinem Statement, nach Einschätzung seiner Behörde sei das NetzDG geeignet, die Durchsetzung des geltenden Rechts im Bereich der Internetkriminalität zu verbessern. Aus Sicht des BfJ bestehe im Einzelfall sowohl im Bereich der sogenannten Meldewege der Netzwerke als auch im Bereich des Beschwerdemanagements und des Berichtsverhaltens dennoch weiterhin Optimierungsbedarf. Bei der Prüfung der Meldewege als einem Schwerpunkt der Tätigkeit des BfJ gehe es um die Frage, ob die großen sozialen Netzwerke mit mindestens zwei Millionen registrierten Nutzern im Inland jeweils ein leicht erkennbares, unmittelbar erreichbares und ständig verfügbares Verfahren zur Übermittlung von Beschwerden über rechtswidrige Inhalte zur Verfügung stellen.

Sonja Boddin vom Hamburger Verein ichbinhier, der Aufklärungs- und Bildungsarbeit zum Thema Diskussionskultur in den sozialen Medien betreibt, sprach sich nach den Erfahrungen mit dem NetzDG für die Beibehaltung der darin enthaltenen Regeln aus. Nachbesserungen sollte es jedoch unter anderem beim Beschwerdemanagement, den Anhörungspflichten und dem Umgang mit der Löschung rechtmäßiger Inhalte geben. Bei aller Kritik sei positiv anzumerken, dass die Pflichten wie auch insgesamt die Diskussion um das NetzDG zu einer erkennbar gesteigerten Sensibilität der Netzwerkbetreiber für die Themen Hassrede und Desinformation geführt haben und dass sie ihrer Verantwortung heute deutlich mehr nachkommen als noch vor zwei Jahren.

Martin Eifert von der Juristischen Fakultät der Berliner Humboldt-Universität wies Vorwürfe einer Verfassungswidrigkeit des Gesetzes zurück. Die Ausgestaltung des Grundansatzes, die Betreiber sozialer Netzwerke in die Verantwortung für Straftatbestände zu nehmen, erfolge in verfassungsgemäßer Weise, könne aber noch weiter optimiert werden. Die verfassungsrechtliche Kritik an den bußgeldbewehrten Löschfristen und auch an der privaten Rechtsdurchsetzung, also der Löschung durch die Netzwerke, sei unberechtigt.

Auch der Hamburger Oberstaatsanwalt Michael Elsner, der für den Deutschen Richterbund (DRB) sprach, sieht den Gesetzgeber mit dem NetzDG grundsätzlich auf dem richtigen Kurs, um Hasskriminalität im Internet, die das politische Klima in der Bundesrepublik Deutschland vergifte, zu bekämpfen. Das Gesetz habe jedoch die Möglichkeiten für die Strafverfolgungsbehörden nicht verbessert. Nach wie vor bestehe eine faktische Strafbarkeitslücke für die Verfolgung von Hasskriminalität im Internet und eine nicht nachvollziehbare Ungleichbehandlung von Telemediendienste- und Telekommunikationsanbietern bei der Beantwortung von Bestandsdatenanfragen.

Sabine Frank von Google Deutschland verwies darauf, dass für die Umsetzung des NetzDG zahlreiche Änderungen und Verbesserungen bei der Google-Tochter YouTube vorgenommen worden seien. Illegale Inhalte hätten in den Google-Diensten keinen Platz, sagte die Leiterin Regulierung, Verbraucher- und Jugendschutz. Ihren Angaben zufolge gingen 2018 rund 465.800 NetzDG-Meldungen bei YouTube ein. 94 Prozent der gemeldeten Inhalte seien innerhalb von 24 Stunden nach Erhalt einer Rechtsbeschwerde entfernt worden. Zu den von Google vorgeschlagenen Änderungen am NetzDG gehört Frank zufolge eine Überarbeitung des Katalogs der Straftaten, um den Zweck des Gesetzes, Hassrede und Gewalt in sozialen Netzwerken einzudämmen, wirksam erfüllen zu können.

Der Medienrechtler Hubertus Gersdorf von der Universität Leipzig forderte dagegen in seiner Stellungnahme, das NetzDG aufzuheben, weil es formell und materiell verfassungswidrig sei. Soziale Netzwerke seien laut NetzDG Telemedien, und für diese seien die Länder zuständig. Das Gesetz kollidiere mit dem Rundfunkstaatsvertrag und verstoße gegen die Meinungs- und Medienfreiheiten des Grundgesetzes. Gersdorf bemängelte, dass die Gefahr des sogenannten Overblockings dadurch verstärkt werde, dass Anbieter sozialer Netzwerke nicht verpflichtet seien, den betroffenen Nutzer vor der Entscheidung über die Löschung seines Inhalts anzuhören.

Die Sicht der Landesmedienanstalten legte Cornelia Holsten, Direktorin der Bremischen Landesmedienanstalt, dar. Die Landesmedienanstalten sind zuständig für die Zulassung und Aufsicht im privaten Hörfunk und Fernsehen sowie im Internet. Das NetzDG habe wichtige Impulse gesetzt, sagte Holsten. Zugleich werfe es jedoch eine Reihe von Fragen auf, die im Zuge von Nachbesserungen lösbar wären. So sollten Überschneidungen im Umgang mit strafrechtsrelevanten Inhalten vermieden werden, denn es sei theoretisch möglich, dass ein Fall von vier Stellen geprüft wird: der Staatsanwaltschaft, dem BfJ, einer Selbstkontrolleinrichtung und der Landesmedienanstalt. Auch sollte die Rechtsdurchsetzung beim Verfasser von Hate Speech ansetzen.

Matthias Kettemann vom Hamburger Leibniz-Institut für Medienforschung erklärte, mit Blick auf die vorliegenden Anträge und die Debatte im Rechtsausschuss sowie die von einer großen Mehrheit gesellschaftlicher Akteure geäußerte Kritik verfüge der Gesetzgeber über eine ausreichend Wissensbasis, um das NetzDG weiterzuentwickeln. Ziel sollte eine sensibel aufeinander abgestimmte Plattform- und Telemedienregulierung sein, die besonders gefährdete Gruppen schützt und das Internet als Raum der Ausübung der Grundrechte sichert.

Der Rechtswissenschaftler Alexander Peukert von der Goethe-Universität Frankfurt sagte, weder die Sichtweise des Gesetzgebers noch die der Gegner des NetzDG gewährleisteten eine ausgewogene Regulierung sozialer Netzwerke. Wie im Antrag der Grünen zur Weiterentwicklung des NetzDG dargelegt werde, sei vielmehr ein ganzheitlicher Regulierungsansatz gefragt, der darauf abziele, die Kommunikation in sozialen Netzwerken so zu regulieren, dass rechtswidrige Inhalte möglichst gelöscht und rechtmäßige Kommunikation nicht willkürlich beeinträchtigt wird. Peukert legte einen Vorschlag zur Änderung des NetzDG vor, mit dem »das auf dem Auge der Kommunikationsfreiheit weitgehend blinde NetzDG« um den Aspekt einer Gewährleistungspflicht für die rechtsgleiche Informations- und Meinungsfreiheit ergänzt werden solle.

Der Hamburger Rechtsanwalt Joachim Nikolaus Steinhöfel, dessen Kanzlei zahlreiche Verfahren gegen Betreiber sozialer Medien führt und unter anderem Grundsatzentscheidungen zugunsten von Nutzern erstritten hat, deren Inhalte rechtswidrig gelöscht oder die gesperrt wurden, bezeichnete es als einen Akt demokratischer, parlamentarischer und gesetzgeberischer Hygiene, das NetzDG aufzuheben. Die teilweise vernünftigen Änderungs- und Ergänzungsvorschläge sämtlicher Oppositionsparteien sowie die erhaltenswerten Vorschriften des NetzDG - zu denen Steinhöfel das Beschwerdesystem, die Berichts- und Transparenzpflichten und den Zustellungsbevollmächtigten zählte - sollten in andere Gesetze wie das Telemediengesetz oder in einem neu zu formulierendes Gesetz, in dessen Mittelpunkt die Freiheits- und Bürgerrechte im Internet stehen sollten, aufgenommen werden.

   

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