Abwanderung und Alterung: Gefahr für die Demokratie
Demografische Homogenität verstärkt das Gefühl sozialer Benachteiligung und fördert intolerante Einstellungen, zeigt eine Studie für Thüringen
Abwanderung, Alterung und Frauenschwund stellen eine bislang unterschätzte Gefahr für eine offene Gesellschaft dar. Das zeigt Katja Salomo, Gastforscherin am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB), in einer Untersuchung für Thüringen. Vor allem in ländlichen Gebieten Thüringens, wo eine hohe Abwanderung auf eine alternde Bevölkerung trifft, fühlen sich Menschen oft sozial benachteiligt. Das wiederum führt vermehrt zu demokratieskeptischen und fremdenfeindlichen Einstellungen.
Bislang wurden intolerante Einstellungen in Ostdeutschland oft mit der wirtschaftlichen Situation und der Höhe der Arbeitslosigkeit erklärt. Die Analyse von Katja Salomo zeigt dagegen für Thüringen: Unterschiede im Ausmaß fremdenfeindlicher und demokratieskeptischer Einstellungen lassen sich in den vergangenen Jahren stärker auf Unterschiede in der demografischen Homogenität zurückführen (siehe Grafik). Demografische Homogenität meint das Zusammentreffen ungünstiger Bevölkerungsentwicklungen wie hoher Abwanderungsraten, einer stark alternden Bevölkerung und eines Überhangs von Männern im heiratsfähigen Alter. In Thüringen sind davon vor allem die ländlichen Gebiete betroffen.
In Landkreisen wie Greiz, Saalfeld-Rudolstadt, dem Saale-Orla-Kreis, Sonneberg und Schmalkalden-Meinigen wurden zwischen 2011 und 2014 überdurchschnittlich stark ausgeprägte fremdenfeindliche und chauvinistische Einstellungen (zusammengefasst: ethnozentrische Einstellungen) gemessen. Im selben Zeitraum war die Arbeitslosigkeit in diesen Landkreisen jedoch nur durchschnittlich hoch oder vergleichsweise gering (Sonneberg). Stark ausgeprägt ist dagegen die Alterung in diesen Landkreisen, mit Ausnahme von Sonneberg, ebenso der Männerüberhang. Unter den kreisfreien Städten in Thüringen fällt nur Suhl mit hohen ethnozentrischen Einstellungen auf, während die Arbeitslosenquote mit 7,6 Prozent eher auf durchschnittlichem Niveau liegt. Die Bevölkerung Suhls ist jedoch, untypisch für Städte, stark gealtert – stärker als jene anderer kreisfreier Städte und Landkreise. Auf eine/n Einwohner*in unter 15 Jahren kommen rund sechs Einwohner*innen im Alter von 50 Jahren oder älter. Suhl weist außerdem als einzige kreisfreie Stadt im Betrachtungszeitraum einen deutlichen Überhang an Männern im heiratsfähigen Alter auf.
Die Studie legt dar, wie sich eine hohe Abwanderung destabilisierend auf das soziale Geflecht auswirken kann. Fehlen junge Menschen in Regionen mit stark alternder Bevölkerung, brechen auch Freizeitangebote weg. Männer können sich zurückgelassen fühlen, wenn die Suche nach einer Partnerin durch die demografische Situation vor Ort erschwert ist. »Mit zunehmender demografischer Homogenität fühlen sich Menschen gegenüber der (städtischen) Mehrheitsgesellschaft benachteiligt und haben Angst, auf die Verliererseite des Lebens zu geraten«, sagt Katja Salomo.
Für Thüringen und andere ostdeutsche Bundesländer sieht die Forscherin daher einen Teufelskreis. Ohne Zuwanderung, besonders in ländliche Gebiete, lasse sich der Bevölkerungsschwund nicht wenden. »Dazu braucht es Offenheit gegenüber Zugewanderten. Diese wird allerdings immer weniger wahrscheinlich, je homogener die Bevölkerung in Hinblick auf die Alters- und Geschlechterverteilung ist«, sagt Salomo.
Für die Untersuchung wurden Daten des Thüringen-Monitors ausgewertet, einer seit dem Jahr 2000 jährlich stattfindenden repräsentativen Bevölkerungsbefragung zur politischen Kultur in Thüringen. Ein Schwerpunkt liegt auf der Erforschung rechtsextremer Einstellungen, der Demokratieakzeptanz, der Demokratiezufriedenheit, des Institutionenvertrauens und der politischen Partizipation der Thüringer Bevölkerung.
Hintergrund
Katja Salomo ist Gastwissenschaftlerin in der Forschungsgruppe der WZB-Präsidentin und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Soziologie der Universität Jena.
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