Junge Migrant*innen haben noch immer viele Nachteile

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DJI-Kinder- und Jugendmigrationsreport 2020 analysiert das Aufwachsen von unter 25-Jährigen mit Migrationshintergrund in Deutschland 

Mehr als ein Drittel aller Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen unter 25 Jahren in Deutschland hat einen Migrationshintergrund (34 Prozent im Jahr 2017). In vielen westdeutschen Ländern liegt dieser Wert inzwischen bei über 40 Prozent; in manchen Großstädten hat jedes zweite Kind eine Zuwanderungsgeschichte.

Mit welchen Herausforderungen das Aufwachsen dieser jungen Menschen in Deutschland verbunden ist, zeigt der DJI-Kinder- und Jugendmigrationsreport 2020, für den das Deutsche Jugendinstitut (DJI) die Daten amtlicher Statistiken und repräsentativer Surveys ausgewertet hat.

Der Report beschreibt das Aufwachsen in der Familie, in den Bildungsinstitutionen sowie in Bereichen der Kinder- und Jugendhilfe. Verglichen werden junge Menschen mit und ohne Migrationshintergrund, aber auch die verschiedenen Migrationsgenerationen: Nur gut ein Viertel (26 Prozent) der unter 25-Jährigen mit Migrationshintergrund ist selbst nach Deutschland zugewandert – zum Beispiel auf der Flucht oder im Rahmen der EU Binnenmigration – und gehört damit der ersten Generation an. Knapp drei Viertel (73 Prozent) sind hier geboren und leben bereits in der zweiten oder dritten Generation im Land.

Die Ergebnisse für den Bildungsbereich zeigen: Während für viele Neuzugewanderte geringe Kenntnisse der deutschen Sprache und des hiesigen Kita-, Schul- und Ausbildungssystems zunächst große Hürden darstellen, hat ein Großteil der zweiten und dritten Migrationsgeneration zunehmend Erfolg in Schule und Ausbildung. Doch auch sie haben im deutschen Bildungssystem immer noch Nachteile gegenüber jungen Menschen ohne Migrationshintergrund.

Die Kita ist der zentrale Ort für das Erlernen der deutschen Sprache

Je jünger die betrachtete Altersgruppe, desto höher ist der Anteil junger Menschen mit Migrationshintergrund. Das spiegelt sich auch in der Kindertagesbetreuung wieder: Knapp ein Drittel der Kita-Kinder zwischen drei Jahren und dem Schuleintritt hatte im Jahr 2018 einen Migrationshintergrund. 67 Prozent davon sprechen zu Hause vorwiegend eine andere Sprache als Deutsch. Das bedeutet, dass heutzutage mehr als jedes fünfte Kita-Kind in dieser Altersgruppe Deutsch als Zweitsprache erlernt – und das mit steigender Tendenz vor allem in den Stadtstaaten und Ballungsräumen. »Die Kita ist damit der zentrale Ort, an dem diese Kinder Deutsch lernen«, sagt Prof. Dr. Thomas Rauschenbach, Direktor am Deutschen Jugendinstitut (DJI).

Familien mit Migrationshintergrund bekommen häufig die gewünschten Betreuungsplätze nicht

Für den Erwerb des Deutschen gilt ein möglichst früher Besuch einer Kindertageseinrichtung als erfolgversprechend. Doch Kinder mit Migrationshintergrund, insbesondere in der Altersgruppe der unter Dreijährigen, sind dort im Jahr 2018 immer noch deutlich seltener anzutreffen als Gleichaltrige ohne Migrationshintergrund (20 Prozent gegenüber 41 Prozent). »Offenbar tun sich diese Familien schwerer, trotz Rechtsanspruch einen Betreuungsplatz zu bekommen, solange keine ausreichende Anzahl an Plätzen vorhanden ist«, sagt Rauschenbach mit Blick auf die Ergebnisse der DJI-Kinderbetreuungsstudie (KiBS) aus dem Jahr 2017. Danach gaben 22 Prozent der Familien mit Migrationshintergrund an, keinen Platz für ihr unter dreijähriges Kind bekommen zu haben, obwohl sie sich einen wünschten. Zum Vergleich: Unter den Familien ohne Migrationshintergrund haben nur 10 Prozent keinen Platz erhalten. »Damit diejenigen Kinder, die erst mit dem Eintritt in das Bildungssystem mit der deutschen Sprache in Berührung kommen, von Anfang an gefördert werden, müssen Familien mit Migrationshintergrund so schnell wie möglich bei der Platzvergabe berücksichtigt werden«, fordert Rauschenbach.

In jeder fünften Kita haben mindestens 50 Prozent der Kinder einen Migrationshintergrund

Doch auch für die Kinder mit Migrationshintergrund, die eine Kindertageseinrichtung besuchen, gibt es beim Spracherwerb im Spiel oder durch Nachahmung häufig Einschränkungen: Denn in etwa jeder fünften Einrichtung (19 Prozent) waren Kinder mit Migrationshintergrund im Jahr 2018 in der Mehrheit (mindestens 50 Prozent), so dass sie dort weniger Kontakt zu Gleichaltrigen haben, die vorwiegend Deutsch sprechen. Und fast jedes zweite Kita-Kind mit Migrationshintergrund (46 Prozent) besucht eine dieser Einrichtungen, wobei es in den westdeutschen Ländern und in Berlin deutlich mehr Kinder sind als in Ostdeutschland – und in den meisten Ballungsräumen mehr als auf dem Land.

Der Übertritt ans Gymnasium gelingt seltener, doch es zeichnet sich eine positive Entwicklung ab

Die schlechteren Startchancen für Kinder mit Migrationshintergrund setzen sich beim Übertritt von der Grundschule ans Gymnasium fort: 11- und 12-Jährige mit Migrationshintergrund waren im Jahr 2017 seltener an Gymnasien vertreten als Gleichaltrige ohne Migrationshintergrund. Doch der Anteil steigt von Generation zu Generation: Während 22 Prozent der selbst zugewanderten, ersten Migrationsgeneration ein Gymnasium besuchten, waren es in der zweiten und dritten bereits 35 Prozent im Vergleich zu mehr als 40 Prozent der Kinder ohne Migrationshintergrund. Bei den 11- und 12-Jährigen der zweiten Migrationsgeneration zeigen sich Unterschiede je nachdem, ob beide Eltern nach Deutschland zugewandert sind oder nur ein Elternteil: »Jugendliche mit nur einem ausländischen Elternteil nähern sich Jugendlichen der dritten Migrationsgeneration an und Jugendliche mit zwei ausländischen Elternteilen, sind eher mit der ersten Migrationsgeneration zu vergleichen«, erklärt Dr. Susanne Lochner, die den Kinder- und Jugendmigrationsreport zusammen mit sieben Sozialwissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern des DJI und des Forschungsverbunds DJI/TU Dortmund erstellt hat.

Auch bei den Schulabschlüssen holen Migrantinnen und Migranten auf

Bei den Schulabschlüssen der 18- bis unter 25-Jährigen mit Migrationshintergrund zeigt sich ebenfalls ein positiver Trend: So haben im Jahr 2017 junge Erwachsene der zweiten und dritten Generation viel seltener die Schule ohne Abschluss verlassen (4 Prozent) als die der ersten Migrationsgeneration (13 Prozent), aber immer noch häufiger als ihre Mitschüler*innen ohne Migrationshintergrund (2 Prozent). Gleichzeitig haben Migrant*innen der ersten Generation häufiger eine (fachgebundene) Hochschulreife erworben (41 Prozent) als die der zweiten und dritten Generation (37 Prozent), aber seltener als junge Erwachsene ohne Migrationshintergrund (48 Prozent). »Es gibt empirische Hinweise darauf, dass junge Erwachsene mit Hochschulreife größtenteils erst zum Arbeiten oder Studieren nach Deutschland gekommen sind und somit in einem anderen Land die Schule abgeschlossen haben«, erklärt Susanne Lochner. »Je nach Herkunftsland verfügen Neuzugewanderte über ganz unterschiedliche Bildungsvoraussetzungen«.

Dass Migrant*innen der zweiten und dritten Generation an verschiedenen Stellen des Bildungssystems, etwa bei den Schulabschlüssen und beim Übertritt ans Gymnasium immer noch schlechter abschneiden als Menschen ohne Migrationshintergrund, lässt sich in erster Linie auf nachteilige familiäre Herkunftsmerkmale zurückführen, beispielsweise niedrigere Bildungsabschlüsse der Eltern, eine andere Familiensprache als Deutsch und eine schlechtere finanzielle Lage der Familie. Der Migrationshintergrund selbst ist also oft gar nicht der ausschlaggebende Faktor; das belegen zahlreiche Studien, die dem Migrationsreport vorangegangen sind.

»Allerdings wachsen junge Menschen mit Migrationshintergrund überdurchschnittlich häufig mit diesen Rahmenbedingungen auf«, unterstreicht Susanne Lochner und fordert: »Um ihnen gleichwertige Chancen in Bezug auf Bildung, Teilhabe und Lebensverhältnisse zu gewähren, sind mehr politische Maßnahmen gefragt, die unabhängig von der nationalen Herkunft auf einen Ausgleich familiärer Risikolagen abzielen«.

 

 

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