Immer mehr Jugendliche nehmen Nachhilfe – besonders aus der Mittelschicht
Anteil der Nachhilfeschülerinnen und -schüler fast doppelt so hoch wie vor rund 15 Jahren – Haushaltseinkommen verliert an Bedeutung – Migrationshintergrund der Eltern spielt keine Rolle mehr – Bildungsungleichheiten bleiben dennoch bestehen
Immer mehr Schülerinnen und Schüler in Deutschland nehmen Nachhilfe: Im Zeitraum von 2009 bis 2013 gaben 47 Prozent der jeweils befragten 17-Jährigen an, zumindest einmal im Laufe ihrer Schulzeit bezahlte Nachhilfeangebote genutzt zu haben – rund 20 Prozentpunkte mehr als vor etwa 15 Jahren. Insgesamt nahmen im Jahr 2013 13 Prozent aller Schülerinnen und Schüler innerhalb der vorangegangenen sechs Monate Nachhilfe: In den Grundschulklassen waren es durchschnittlich sechs Prozent, in der Sekundarstufe I 18 Prozent.
Das geht aus einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) hervor, die im aktuellen DIW Wochenbericht erschienen ist. Wie Adrian Hille, C. Katharina Spieß und Mila Staneva auf Basis von Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) und dessen Zusatzstudie »Familien in Deutschland« außerdem herausfanden, spielt das Haushaltseinkommen über die Jahre eine immer geringere Rolle: Während es früher Jugendliche aus den einkommensstärksten Haushalten waren, die am häufigsten Nachhilfe bekamen, ist dieser Anteil heute in Haushalten mit mittleren Einkommen am höchsten.
Ein Vergleich über die Zeit zeigt außerdem, dass die Nutzung von Nachhilfeangeboten besonders stark in Haushalten gestiegen ist, die Hartz IV beziehen. »Wenn man davon ausgeht, dass es dort einen Bedarf an Nachhilfe gibt und solche Angebote die Schülerinnen und Schüler tatsächlich unterstützen, dann kann dieser Anstieg als ‚Aufholen‘ bewertet werden«, sagt Studienautorin Spieß und mahnt dennoch zur Vorsicht: »Nach wie vor nehmen Kinder aus finanzschwachen Haushalten seltener Nachhilfe. Dabei sind sie grundsätzlich ohnehin schon benachteiligt, da ihre Eltern weniger finanzielle Ressourcen haben, um Nachhilfe und auch andere private Bildungsangebote zu bezahlen«.
Erwerbsstatus der Mutter war zuletzt weniger wichtig
Anders als bei Sport- und Musikunterricht oder beim Besuch von Kindertageseinrichtungen sehr junger Kinder haben sozioökonomische Unterschiede wie Haushaltseinkommen, Migrationshintergrund der Eltern und Erwerbsstatus der Mutter in jüngster Zeit deutlich weniger Einfluss darauf, ob ein Kind Nachhilfe bekommt oder nicht. So nahmen in Familien, in denen beide Eltern einen Migrationshintergrund haben, im Zeitraum von 2000 bis 2003 um die 20 Prozent der Jugendlichen mindestens einmal Nachhilfeunterricht, im Vergleich zu etwa 30 Prozent bei Jugendlichen mit Eltern ohne Migrationshintergrund oder nur einem Elternteil mit Migrationshintergrund. Dieser Unterschied war rund 15 Jahre später nicht mehr vorhanden: Nun gab fast die Hälfte aller 17-Jährigen an, bereits Nachhilfe bekommen zu haben – unabhängig vom Migrationshintergrund der Eltern. Auch der Erwerbsstatus der Mutter war zuletzt weniger wichtig. Ganz gleich, ob die Mutter Vollzeit, Teilzeit, geringfügig oder gar nicht erwerbstätig war: In jedem Fall lag der Anteil der Kinder, die Nachhilfe bekamen, bei 45 bis 50 Prozent. Etwa 15 Jahre zuvor waren die Unterschiede größer. Einzig bei Kindern von arbeitslosen Müttern hat sich der Anteil der Nachhilfeschülerinnen und -schüler kaum erhöht
Kinder aus der Mittelschicht erhalten am häufigsten Nachhilfe
Besonders deutlich werden die abnehmenden Unterschiede jedoch, wenn man das Haushaltseinkommen betrachtet: In Haushalten mit mittleren Einkommen hat sich der Anteil der Nachhilfeschülerinnen und -schüler von 26 auf 59 Prozent mehr als verdoppelt und ist inzwischen größer als bei den Haushalten mit den höchsten Einkommen. Kinder aus Haushalten, die Arbeitslosengeld II erhalten, bekommen zu 31 Prozent Nachhilfe. Zwischen 2000 und 2003 waren es rund zwölf Prozent. Da Kinder aus finanziell schlechter gestellten Haushalten unter dem Strich aber noch immer seltener bezahlte Nachhilfe bekommen, lassen sich Bildungsungleichheiten auf diesem Wege kaum reduzieren.
Hintergrund: Stichwort SOEP
Das Sozio-oekonomische Panel (SOEP) ist eine Multi-Kohortenbefragung, die seit 1984 durchgeführt wird. Für die unter dem Dach der Leibniz-Gemeinschaft am DIW Berlin geleitete Studie werden zur Zeit jedes Jahr in Deutschland etwa 30.000 Personen in fast 15.000 Haushalten von TNS Infratest Sozialforschung (München) in persönlichen Interviews befragt. Beispielsweise geben diese Auskunft zu persönlichen Einstellungen und politischen Ansichten, Einkommen, Erwerbstätigkeit, Bildung oder Gesundheit. Da jedes Jahr in etwa dieselben Personen befragt werden, können langfristige psychologische, wirtschaftliche, gesellschaftliche und soziale Entwicklungen aufgezeigt werden.
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