Alt und arm? Appell für eine präventive, lebenslauf- orientierte Alterssicherungspolitik
Arm im Alter – gegenwärtig sind in Deutschland (erst) eine halbe Million Menschen davon betroffen. Sie sind auf Grundsicherung im Alter angewiesen, weil sie früher aus unterschiedlichsten Gründen wenig oder gar nicht in die Rentenversicherung eingezahlt haben. Ihr Anteil – derzeit rund 3 Prozent – wird in absehbarer Zukunft aber deutlich steigen: wegen der Umbrüche auf dem Arbeitsmarkt, politisch gesetzter Einschnitte und weil die Babyboomer, die beides besonders betrifft, bald in Rente gehen. Wie »Lebenswege in die Altersarmut« führen, untersucht eine aktuelle Publikation aus dem Institut Arbeit und Qualifikation (IAQ) der Universität Duisburg-Essen (UDE).
Prof. Dr. Ute Klammer, Direktorin des IAQ, und Dr. Antonio Brettschneider sind in dem umfangreichen Buch den oftmals verschlungenen individuellen Lebenswegen in die Altersarmut nachgegangen. Anhand von 49 Interviews mit grundsicherungsbedürftigen Seniorinnen und Senioren zwischen 65 und 75 Jahren haben sie »prekäre« Lebensverläufe und Altersvorsorgebiografien nach Erwerbsleben, Familienhintergrund, Gesundheit, Bildung, Vorsorge und Migration analysiert. Fünf typische Lebenslaufmuster und Risikoprofile machten sie aus: familienorientierte Frauen, ehemalige Selbstständige, Zugewanderte und Arbeitsmigranten, umbruchsgeprägte Ostdeutsche und »komplex Diskontinuierliche«.
Unterschiedliche Risikofaktoren spielen eine Rolle
Bei allen Befragten war die Versicherungsbiografie deutlich verkürzt: im Durchschnitt erreichten sie gerade einmal 15 Jahre in der gesetzlichen Rentenversicherung. »Verursacht wurden die massiven Lücken durch sehr unterschiedliche Faktoren, teilweise in Kombination«, stellt Prof. Ute Klammer fest: »Lange Erwerbsunterbrechungen aufgrund von Kindererziehung und Haushaltsführung, längere Selbstständigkeit ohne Versicherungspflicht, Phasen der Arbeitslosigkeit sowie vorzeitiger Erwerbsausstieg aufgrund von gesundheitlichen Problemen und dauerhafter Erwerbsunfähigkeit«. Ein wichtiger Befund der Fallanalysen, bislang zu wenig beachtet: viele – vor allem Frauen – haben wegen Schwarzarbeit kaum Rentenansprüche. Viele ältere Alleinstehende tragen zudem ein überdurchschnittliches Altersarmutsrisiko, weil die Absicherung über den (Ehe-)Partner im Haushaltskontext fehlt.
Neue Risikoprofile kommen künftig hinzu, die bisher noch keine große Rolle spielen. »Neben der wachsenden Gruppe von Personen mit jahrzehntelanger atypischer bzw. prekärer Beschäftigung und »Patchwork-Biografien« werden in Zukunft auch die langjährig Versicherten mit niedrigem Durchschnittseinkommen zunehmend von Grundsicherungsbedürftigkeit betroffen sein«, stellt Dr. Antonio Brettschneider fest. Sie sind nicht nur Opfer der Arbeitsmarkt- und Verteilungsentwicklungen der 1990er und 2000er Jahre, sondern auch der politisch beschlossenen Einschnitte in die gesetzliche Rentenversicherung.
»Der beste Schutz gegen Grundsicherungsbedürftigkeit und finanzielle Abhängigkeit im Alter ist eine »gute« Erwerbsbiografie«, konstatiert Prof. Ute Klammer. In deren Rahmen müsse ein ausreichendes Einkommen erzielt werden können, mit dem sowohl der aktuelle Lebensunterhalt bestritten als auch ausreichende eigenständige Rentenanwartschaften aufgebaut werden können. Das Autorenteam plädiert deshalb für eine präventiv ausgerichtete, lebenslauforientierte Alterssicherungspolitik und eine konsequente Stärkung und Revitalisierung der gesetzlichen Rentenversicherung. »Nur im Rahmen eines universellen staatlichen Pflichtversicherungssystems mit Mindestbeitrag und Mindestsicherungsziel lässt sich unserer Überzeugung nach sicherstellen, dass möglichst viele Menschen im Verlauf ihres Lebens ausreichende Rücklagen für ihren Lebensabend bilden und dass Altersarmut eine Ausnahme bleibt!« - Unbenommen davon bleibt die Notwendigkeit einer besseren Aufklärung der Bürgerinnen und Bürger: Bestimmte Lebensentscheidungen, insbesondere zu Bildung und Erwerbsarbeit, haben langfristige Konsequenzen für die spätere Absicherung im Alter.
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