Die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen stärken

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AID-A

Die Covid-19-Pandemie hat die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen mitunter stark beeinträchtigt und soziale Ungleichheiten verschärft.

Dies zeigt sich unter anderem an wichtigen Weichenstellungen in Bildungsverläufen, wie zum Beispiel am Übergang von der Grundschule in die weiterführende Schule und von der Schule in die Ausbildung. Die wissenschaftliche Jahrestagung 2022 des Deutschen Jugendinstituts (DJI) am 8. und 9. November 2022 in Berlin befasste sich mit Risiken für junge Menschen in verschiedenen Lebensphasen und mit wirksamer Prävention von sich verstetigender Benachteiligung – von der Familie über die Kita und die offene Jugendarbeit bis zum Internet.

»Viele junge Menschen und ihre Eltern haben in den letzten Jahren stark unter den Einschränkungen der Pandemie gelitten. Deshalb gilt es nun, das Thema psychische Gesundheit in allen Bildungsangeboten aufzugreifen – in den Kitas, in den Schulen und auch in der Kinder- und Jugendhilfe«, sagt DJI-Direktorin Prof. Dr. Sabine Walper. »In der Forschung untersuchen wir, ob sie die Alltags-, Gesundheits- und digitalen Kompetenzen haben, die sie für ein gesundes Aufwachsen benötigen und entwickeln Ansätze, diese zu stärken.«

Sabine Walper hielt den Eröffnungsvortrag der wissenschaftlichen Jahrestagung des DJI und tauschte sich mit Ekin Deligöz, Parlamentarische Staatssekretärin bei der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, in einem Podiumsgespräch darüber aus, wie Forschungsergebnisse für politische Entscheidungen nutzbar gemacht werden können.

Die im Folgenden ausgewählten Forschungsergebnisse, die neben vielen weiteren auf der DJI-Jahrestagung präsentiert wurden, geben wichtige Impulse für Politik und Praxis.

Verhaltensprobleme bei Kindern und Jugendlichen nehmen erneut zu

Inwiefern das psychische Wohlbefinden von Kindern und Jugendlichen während der Covid-19-Pandemie beeinträchtigt wurde und immer noch beeinträchtigt wird, zeigen Daten aus der DJI-Studie »Kind sein in Zeiten von Corona« und neue Auswertungen des DJI-Surveys »Aufwachsen in Deutschland: AIltagswelten«, kurz AID:A. Bei den 3- bis 17-Jährigen nahmen im Jahr 2020 und erneut im Herbst 2021, also lange nach den strikten Lockdowns, Verhaltensprobleme zu. Mehr emotionale Reaktionen wie Weinen, Rückzug, Kopf- und Bauchmerzen, Probleme mit Gleichaltrigen, Hyperaktivität und Konzentrationsschwierigkeiten stellten die befragten Eltern bei ihren Kindern im Vergleich zur Befragung vor Corona im Jahr 2019 fest. Dies betraf diejenigen jungen Menschen am stärksten, die bereits zuvor benachteiligt waren, weil ihre Eltern finanziell belastet sind, über einen geringeren Bildungsabschluss verfügen oder einen Migrationshintergrund haben und deshalb mit der deutschen Sprache und dem Bildungssystem hierzulande weniger vertraut sind.

»Da für die Bewältigung emotionaler Probleme insbesondere bei jüngeren Kindern die Eltern eine wichtige Rolle spielen, kommt die Benachteiligung hier doppelt zum Tragen«, sagt Studienleiterin Dr. Alexandra Langmeyer. Deshalb plädiert die Leiterin der DJI-Fachgruppe »Lebenslagen und Lebenswelten von Kindern« für eine gezielte Entlastung von benachteiligten Familien und den Ausbau der Familienhilfe.

Trotz Anstrengungen werden Familien in prekären Lebenslagen an Grundschulen oft nicht erreicht

Wie schwierig es zuweilen ist, benachteiligte Familien zu erreichen, zeigt die soeben veröffentlichte DJI-Studie »Zusammenhänge zwischen prekären Lebenslagen und Bildungsverläufen« zum Übergang von Grundschulkindern auf weiterführende Schulen. Im Rahmen der Studie wurden Schulleitungen, Lehrkräfte und Schulsozialarbeiter:innen an vier Münchner Grundschulen unter anderem zur Gestaltung des Übertritts und zur Zusammenarbeit mit finanziell belasteten Familien befragt. Eltern und Kinder gaben Auskunft zu ihren Bildungszielen, ihrer Lebenslage sowie zur Kenntnis und Nutzung von unterstützenden Angeboten.

Die Forschungsergebnisse machen deutlich, dass sich Kinder aus benachteiligten Familien zwar häufig einen Übertritt in die Realschule oder das Gymnasium wünschen und ihre Eltern versuchen, sie dabei zu unterstützen. Jedoch behindern sie dabei unter anderem mangelnde Sprachkenntnisse, fehlendes Wissen über die für den Übertritt zu erbringenden Leistungen und ein eingeschränkter Zugang zu oft kostenintensiven Übungsmaterialien und Nachhilfe. Die Anstrengungen seitens der Schulen scheinen diese Kinder nicht ausreichend zu erreichen.

Die Interviews mit den Befragten geben Aufschlüsse über mögliche Hürden beim Zugang zu Unterstützungsangeboten. So beklagten die Schulakteure, die Eltern nicht zu erreichen. Diese fühlten sich wiederum mit den schulischen Anforderungen überfordert. Den Studienergebnissen zufolge wurde Armut und Ressourcenknappheit der Familien häufig nicht wahrgenommen oder die Familien gingen aus Angst vor Stigmatisierung nicht offen damit um. Zudem fehlten aus Sicht der Lehrkräfte und der Eltern unterrichtsbezogene und lernunterstützende Angebote wie Nachhilfe, Förder- und Sprachkurse.

»Letztlich kann nur sichergestellt werden, dass die Angebote zur Förderung der Kinder genutzt werden, wenn sie für möglichst alle Kinder verfügbar sind«, konstatieren die Studienleiterinnen Dr. Claudia Zerle-Elsäßer und Dr. Christine Steiner. Sie empfehlen daher beispielsweise Standardangebote zur Förderung an Schulen zu etablieren, außerunterrichtliche Angebote stärker mit dem Fachunterricht zu verbinden sowie eine intensivere Vernetzung der Schulen mit Jugendsozialarbeit, Horten, Vereinen, anderen Schulen und auch Migrant:innen-Selbstorganisationen im jeweiligen Sozialraum.

Berufswahlprozesse wurden in Pandemiezeiten verzögert

Eine wichtige Weiche in der Bildungsbiografie junger Menschen ist auch der Übergang von der Schule in Ausbildung und Beruf. DJI-Forschende untersuchten, wie sich Übergangswege bei Jugendlichen an Haupt- und Realschulen durch die Pandemie verändert haben, indem sie die Befragungsdaten zweier Kohorten aus Studien des Forschungsschwerpunkts »Übergänge im Jugendalter« am DJI miteinander verglichen.

Die Ergebnisse des Kohortenvergleichs zeigen, dass Berufswahlprozesse in Pandemiezeiten verzögert wurden: Während die Nachfrage nach Ausbildungsplätzen abnahm, stieg der Anteil an Jugendlichen, der eine weiterführende Schule besuchte.

Gleichzeitig trafen die jungen Menschen die Übergangsentscheidung weniger selbstbestimmt: Der Anteil derjenigen, die diese Wahl als »Notlösung« bezeichneten, war in der Corona-Kohorte doppelt so hoch. Von Autonomie und Kontinuität im Berufswahlprozess sprachen hingegen diejenigen, die einen konkreten Berufswunsch und Wissen über Berufe hatten.

»Folglich sind bei der individuellen Bewältigung der Krise gerade persönliche Ressourcen entscheidend«, erklärt DJI-Wissenschaftler Dr. Frank Tillmann, der zusammen mit Irene Hofmann-Lun und Dr. Karen Hemming die Analysen vornahm.

Die Studie zeigt auch, dass die Schulleistungen bei vielen Jugendlichen nachgelassen haben und sich mehr als jeder dritte junge Mensch an Haupt- und Realschulen an der Schwelle ins Berufsleben Sorgen über seine Zukunft macht. Während der Corona-Pandemie betraf dies überproportional Mädchen sowie Jugendliche mit Migrationshintergrund, die beim Online-Unterricht verstärkt auf Sprachbarrieren stießen. »Während der Pandemie kam es zu einer Verstärkung der Bildungsbenachteiligung«, sagt Dr. Frank Tillmann. Es zeige sich der große Einfluss von persönlichen Ressourcen wie eine gefestigte berufliche Perspektive und Wissen über Ausbildungsberufe. »Diese Kompetenzen müssen künftig bei den Jugendlichen gezielter gefördert werden«, empfiehlt Tillmann.


  VERWEISE  
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