Digitalisierung des Gesundheitswesens in Deutschland bleibt Mammutaufgabe

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 E Health

Deutschlands Weg in die digitale Gesundheitsversorgung - Status quo und Perspektiven

Ausbau der vernetzten Gesundheitsversorgung geht zögerlich voran

In den vergangenen 12 Monaten waren einige Fortschritte zu verzeichnen: Im zweiten Quartal 2022 waren 96% der Hausarztpraxen an die Telematikinfrastruktur (TI) angeschlossen. Sie bildet die technologische Basis und soll das Zusammenwirken von Patient*innen, Arztpraxen, Krankenhäusern, Apotheken und Krankenkassen vereinfachen und verbessern. Apotheken sind noch einen Schritt weiter: Mit 99% (Stand: Ende Juni 2022) haben sie sich der TI praktisch flächendeckend angeschlossen. Im Vorjahr betrug der Wert noch 75%.

Begünstigt wurde diese Entwicklung durch vier neue Gesetze und Verordnungen, die seit 2021 in Kraft getreten sind. Sie sollen günstigere Rahmenbedingungen für die Entwicklung der digitalen Versorgung und Pflege sowie für die IT-Interoperabilität schaffen.

Zudem sollen die Gesetzesinitiativen u.a. den Weg für die Skalierung zentraler E-Health-Anwendungen wie elektronische Patientenakte (ePA) und E-Rezept ebnen. »Die ePA und das E-Rezept spielen eine Schlüsselrolle. Sie bilden das Fundament für die künftige digitale Gesundheitsversorgung in Deutschland«, sagt Laura Richter, Herausgeberin der Studie.

Seit Januar 2021 steht die ePA allen gesetzlich Versicherten zur Verfügung. Die Versicherten besitzen dabei die »Datenhoheit« über ihre ePA und entscheiden, welche Leistungserbringer Zugriff auf die hochgeladenen Befunde, Therapiemaßnahmen oder Behandlungsberichte erhalten sollen.

Bislang ist die Nutzung für Versicherte freiwillig (Opt-in). Dies führte bisher zu geringer Anwendung: Aktuell nutzen weniger als 1% der gesetzlich Versicherten die ePA. Zudem sind viele der persönlichen Akten noch »leer«: Lediglich rund 135.000 Dokumente wurden in die ePA geladen. Um die Nutzung zu skalieren, hatte die Gesundheitsministerkonferenz im Juni 2022 beschlossen, ein Opt-out Verfahren zu prüfen – und die Gesellschafterversammlung der gematik hat Anfang November die Opt-out-ePA beschlossen. Versicherten würde so standardmäßig eine ePA eingerichtet. Wer aktiv widerspricht, bekommt keine digitale Akte.

Dies sind ausgewählte Ergebnisse des neuen E-Health Monitors von McKinsey & Company. Zum dritten Mal seit der Erstveröffentlichung 2020 misst der E-Health Monitor anhand von rund 30 Indikatoren den digitalen Fortschritt des deutschen Gesundheitssystems – vom Digitalisierungsgrad deutscher Krankenhäuser und Arztpraxen bis zur Akzeptanz und den Nutzeneffekten von E-Health-Lösungen für Patient*innen.

ePA und E-Rezept: erfolgskritische Anwendungen für Digitalisierungserfolg des deutschen Gesundheitssystems

Grundsätzlich ist das finanzielle Potenzial der Digitalisierung im deutschen Gesundheitswesen mit jährlich 42 Milliarden Euro groß. Ein Großteil dieses Potenzials (8 Milliarden Euro) entfällt dabei auf die ePA und das E-Rezept, wobei die ePA mit geschätzten 7 Mrd. EUR den mit Abstand größten potenziellen Nutzen aufweist.

Bislang wurden jedoch nur rund 1,4 Milliarden Euro des finanziellen Potenzials erschlossen. Aber es geht bei der Digitalisierung um mehr als Finanzen: »Der Mehrwert der Digitalisierung des Gesundheitssystems erschöpft sich nicht in Effizienzen für das Gesundheitssystem. Digitale Kommunikation und digitale Gesundheitsanwendungen sollen den Gesundheitszustand von Patient*innen verbessern – einfach, schnell und bequem«, sagt Tobias Silberzahn, einer der Herausgeber der Studie.

Innerhalb des Gesamtkontextes der künftig digitalen Gesundheitsversorgung in Deutschland bildet auch das E-Rezept eine tragende Säule. Bis Anfang November 2022 wurden ca. 550.000 E-Rezepte verschickt – eine relativ geringe Zahl, wenn man sie mit der Gesamtzahl der Rezepte von ca. 760 Millionen pro Jahr vergleicht.

Nun stockt die Skalierung über den bundesweiten Rollout: Ende August hatte sich die Kassenärztliche Vereinigung Schleswig-Holstein aus dem für 1. September geplanten E-Rezept-Start zurückgezogen. Anfang November setzte die Kassenärztliche Vereinigung Westfalen-Lippe (KVWL) die Einführung des E-Rezepts wegen der Haltung des Bundesdatenschutzbeauftragten aus. Trotz Rückschlägen bleibt das Ziel der flächendeckenden Einführung des E-Rezepts für 2023 laut gematik bestehen.

Digitale Services: Angebot und Nachfrage steigen langsam

Insgesamt bieten die meisten Hausarztpraxen (61%) in Deutschland mittlerweile digitale Services an. Der Großteil entfiel 2021 auf Videosprechstunden (37%) und Online-Terminvereinbarungen (21%). Insgesamt wurden im vergangenen Jahr rund 3,5 Millionen Videosprechstunden von Vertragsärzten abgerechnet – ein Anstieg von 29% gegenüber dem Vorjahr. »Offen bleibt, wie lange der Pandemie-Effekt noch anhält. Denn fast die Hälfte der Arztpraxen hat das Angebot im Zuge der Lockerung von Pandemiebeschränkungen reduziert«, sagt Laura Richter.

In Summe stehen den Bürger*innen in Deutschland mehr digitale Gesundheits-Services zur Verfügung als im letzten Jahr - etwa Online-Apotheken-Services, Gesundheitsportale oder Apps zur Prävention, Diagnose und Therapie von Krankheiten. Zum Beispiel hat sich der Anteil der Nutzer*innen von Online-Gesundheitskursen – mittlerweile eines der beliebtesten digitalen Angebote – im vergangenen Jahr auf 31% nahezu verdoppelt.

Die Anzahl der von den GKVen erstattungsfähigen digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA) stieg bis Anfang November 2022 auf 33 DiGA für 10 Therapiegebiete im DiGA Verzeichnis. Die Resonanz der DiGA-Nutzer ist bisher positiv: 63% der DiGA-Nutzenden meldeten einen positiven Versorgungseffekt und 86% würden bei einer erneuten Erkrankung wieder eine DiGA nutzen.

Dass mobile Apps und digitale Tools die Gesundheit von Patient*innen oder Pflegebedürftigen verbessern können, zeigt auch eine Analyse der Autor*innen von medizinischen Publikationen. Demnach belegen 80% der 2021 publizierten E-Health-Studien einen positiven Nutzeneffekt digitaler Anwendungen. 

Doch das Bild bei der Verschreibung von DiGA ähnelt der Nutzung der ePA: Würde der DiGA-Markt weiter wachsen wie in den ersten beiden Quartalen im Jahr 2022 (ca. 62.000 DiGA-Verordnungen im ersten Halbjahr 2022), würden 2022 ca. 125.000 DiGA verordnet werden (+177% ggü. 2021). Bei einem Durchschnittspreis von 458 Euro pro DiGA läge das Marktvolumen dann bei ca. 57 Millionen Euro.

Noch zu wenig Datenfluss und digitale Kommunikation zwischen Leistungserbringern

Ein weiteres zentrales Element der Digitalisierung des Gesundheitssystems ist die Optimierung der Kommunikation zwischen Leistungserbringern und dem reibungsfreien Datenaustausch. Trotz einer Verdreifachung des Anteils von mehrheitlich digitaler Kommunikation zwischen Arztpraxen und Krankenhäusern von 4% im Vorjahr auf nunmehr 12% ist das Skalierungspotenzial für digitalen Datenfluss zwischen den Leistungserbringern damit bei weitem nicht ausgeschöpft.

Einer der Gründe für die weiterhin hohe Präsenz von analoger Kommunikation ist die relativ geringe digitale Reife der deutschen Krankenhäuser: Diese bewerteten deutsche Krankenhäuser im DigitalRadar Krankenhaus mit durchschnittlich 33 von 100 Punkten. Das am besten bewertete Krankenhaus erreichte 64 Punkte. Außerdem bemängeln niedergelassene Ärzt*innen die reibungsfreie Nutzung der digitalen Infrastruktur: Die Hälfte der Arztpraxen, die an die TI angeschlossen sind, beklagt wöchentlich technische Fehler. Im Vorjahr lag der Wert noch bei 36%.

Ärzt*innen sehen die zunehmende Digitalisierung des Gesundheitswesens insgesamt zwiegespalten: Zwar zeigt sich laut Umfrage der KBV jede zweite Arztpraxis offen für digitale Innovationen.

Doch hinterfragen auch zwei von drei niedergelassenen Ärzt*innen (65%) das Kosten-Nutzenverhältnis der Digitalisierung. Und jede*r zweite Ärzt*in befürchtet, dass die Digitalisierung die Beziehung zu den Patient*innen verschlechtert. Dieser Wert liegt mit 51% sogar fünf Prozentpunkte über dem Vorjahreswert. Insgesamt attestieren nur 14% der befragten Ärzt*innen digitalen Services das Potenzial, den Therapieerfolg zu verbessern.

Soll die Digitalisierung des Gesundheitssystems in Deutschland gelingen, müssen Bereitschaft und Fähigkeit zur Datennutzung und Datenübermittlung bei allen Akteuren gesteigert werden. Einzelne Lösungen – von der Telekonsultation über Online-Terminbuchungen bis zur Corona-Warn-App – zeigen, dass eine breite Nutzung gelingen kann.

»Am Ende entscheiden die Nutzer*innen über den Erfolg der Digitalisierung. Akteur*innen und Entscheider*innen im Gesundheitswesen müssen sich der Erfolgsfaktoren bewusst sein: strikte Nutzerzentrierung, einfache Handhabung und Fokus auf das Nutzerlebnis aller Beteiligten – von Patient*innen über die Ärzteschaft bis zu den Apotheken«, sagt Tobias Silberzahn.

Hintergrund
Ergänzend zu den McKinsey-Analysen bietet der E-Health Monitor auch in diesem Jahr wieder in zahlreichen Gastbeiträgen eine mehrdimensionale Sicht auf das Thema E-Health in Deutschland, auf die vielfältigen Chancen, aber auch auf die Herausforderungen, die mit dem digitalen Wandel verbunden sind. Zu Wort kommen Institutionen wie AOK Bayern, BITMARCK, gematik, die Stiftung Gesundheit in Kooperation mit dem Bundesverband Gesundheits-IT, der Bundesverband Managed Care oder das Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI, und Perspektiven von E-Health-Anbietern, Patienten, Forschenden und Ärzt*innen .


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