Studie: »Klimaschutz braucht Schuldenschnitt«
61 hoch verschuldete Länder des globalen Südens sind auf eine Umstrukturierung ihrer Auslandsschulden in Höhe von mehr als 800 Milliarden US-Dollar angewiesen, als Voraussetzung für die Erreichung von Klima- und Entwicklungszielen.
Mindestens 30 Milliarden Dollar an Schuldendienstzahlungen sollten in den nächsten fünf Jahren für die am stärksten verschuldeten Länder ausgesetzt werden, um eine umfassende Schuldenlösung zu ermöglichen.
Zu diesem Ergebnis kommt das Projekt »Debt Relief for a Green and Inclusive Recovery (DRGR)«, das am 6. April 2023 im Vorfeld der IWF- und Weltbanktagung seine neue Studie veröffentlicht hat. Darin wird die Schuldenkrise der Länder des globalen Südens in ihrer Verbindung zur Klimakrise analysiert und ein detaillierter Vorschlag für eine umfassende Entschuldung vorgelegt.
Zum ersten Mal werden vom DRGR-Projekt Berechnungen zum Umfang der notwendigen Entschuldung angestellt. Besonders von der Klimakrise betroffene Länder gehören zu den Ländern mit den größten Schuldenproblemen: Eine höhere Klimavulnerabilität korreliert mit einem geringeren staatlichen Kreditspielraum und hohen Schuldendienstzahlungen im Vergleich zu den Exporten.
Das DRGR-Projekt ist eine Kooperation zwischen dem Global Development Policy Center der Boston University, der Heinrich-Böll-Stiftung und dem Centre for Sustainable Finance der SOAS University of London. Es setzt sich für eine umfassende Schuldenlösung und einen gerechten Übergang zu einer nachhaltigen, klimafreundlichen Wirtschaft ein. Zu seinen Co-Chairs gehören die ehemalige Präsidentin der UN Generalversammlung Maria Fernanda Espinosa, die ehemalige Gouverneurin der Zentralbank Pakistans Shamshad Akhtar und weitere hochrangige Fachleute.
Die Publikation erscheint rund 70 Jahre nach der Unterzeichnung des Londoner Schuldenabkommens von 1953, in dem der Bundesrepublik Deutschland rund die Hälfte ihrer Auslandsschulden erlassen und für die Restschulden eine großzügige Rückzahlung vereinbart wurde.
»Die Auslandsverschuldung der Länder des globalen Südens hat sich seit der globalen Finanzkrise 2008 mehr als verdoppelt. Unmittelbar liegt dies an den Folgen der Corona-Pandemie, die durch die ökonomischen Schocks des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine verschärft worden sind. Hinzu kommen die wachsenden Klimaschäden«, erklärt dazu Imme Scholz, Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung. »Die neue Studie liefert nun die erste Abschätzung des enormen Ausmaßes dieser neuen Schuldenkrise. Ihre Lösung weiter hinauszuzögern heißt, sie zu verschlimmern. Die Bundesregierung sollte sich daher im Rahmen der G20 für eine umfassende Reform des gemeinsamen Rahmens für Entschuldungen einsetzen.«
Jörg Haas, Referent Globalisierung und Transformation, erläutert weiter: »Eskalierende wirtschaftliche Risiken durch Klimaschäden, in der Folge erhöhte Risikoaufschläge auf Anleihen verwundbarer Staaten, und nun das weltweit steigende Zinsniveau sind die Zutaten eines toxischen Cocktails, der immer mehr Staaten in die Überschuldung treibt. Der Zahlungsausfall Ghanas ist erst das jüngste Beispiel.« Unzureichende Investitionen in Anpassung und Emissionsminderung, Klimaschäden und erhöhte Kapitalkosten schaffen eine sich selbst verstärkende Abwärtsspirale, aus der die betroffenen Staaten ohne Entschuldung nicht herausfinden.
»Ohne eine Entschuldung sind viele Staaten nicht in der Lage, selbst niedrig verzinste neue Gelder für den Klimaschutz aufzunehmen, wie sie aktuell verstärkt unter dem Namen Bridgetown Initiative diskutiert werden. Entschuldung ist ein zentraler Baustein einer Reform der internationalen Finanzarchitektur. Deutschland muss sich hier konstruktiv einbringen« fordert Sarah Ribbert, Referentin für Entschuldung und grüne Transformation.