Digitalreport 2024: Enormer Nachholbedarf bei Digitalisierung und KI in Deutschland

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IfD Allensbach

Deutschland kommt weiterhin bei der Digitalisierung viel zu langsam voran und die Hoffnungen auf Besserung sind begrenzt.

Weder Wirtschaft und Politik noch die Bevölkerung rechnen in den nächsten Jahren mit größeren Fortschritten. Dabei ist die Lage im Bereich digitaler Zukunftstechnologien prekär: 95 Prozent der Führungskräfte sehen Deutschland bei der Digitalisierung im Rückstand.

Das ist ein Ergebnis des Digitalreports 2024 des European Center for Digital Competitiveness der ESCP Business School und des Instituts für Demoskopie Allensbach. Der Digitalreport basiert auf einer aktuellen repräsentativen Bevölkerungsumfrage sowie auf Ergebnissen einer Umfrage von rund 500 Top-Führungskräften aus Wirtschaft und Politik; der Digitalreport erscheint 2024 zum fünften Mal.

Die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung hält es für zukunftsentscheidend, dass es bei der Digitalisierung rasche Fortschritte gibt; 74 Prozent sind auch überzeugt, dass die künftige Entwicklung des Wohlstands von dem Tempo der Digitalisierung abhängt. Lediglich 23 Prozent der Bevölkerung erwarten jedoch, dass es in den nächsten Jahren auf diesem Gebiet größere Fortschritte gibt, die Mehrheit rechnet höchstens mit langsamen und begrenzten Fortschritten.

Ähnlich kritisch urteilen die befragten Repräsentanten aus Wirtschaft und Politik. Von ihnen sehen nicht nur 95 Prozent einen Rückstand bei der Digitalisierung, sondern die große Mehrheit auch bei KI. 74 Prozent sehen hier nicht nur Deutschland, sondern Europa insgesamt im Rückstand. Völlig anders fällt die Bilanz im Bereich Greentech aus. Hier sind 70 Prozent überzeugt, dass Europa in diesem Bereich gut aufgestellt ist.

Wir brauchen eine Digitalagenda 2026

»Wir sollten uns besonders auf die Bereiche Greentech und KI fokussieren«, sagt Professor Philip Meissner vom European Center for Digital Competitiveness der ESCP Business School. »Bei Greentech können wir weltweit führend sein, bei KI können wir es uns nicht leisten zu verlieren.«

Außerdem brauche es endlich mehr Geschwindigkeit bei digitalen Basisangeboten wie der digitalen Verwaltung oder der digitalen Infrastruktur. Die Kompetenzen dafür müssten im Bund gebündelt werden, so Meissner: »Im Bereich GovTech gibt es in Europa schon exzellente digitale Lösungen. Diese können wir schnell und flächendeckend auch in Deutschland nutzen. Wir müssen das Rad nicht neu erfinden.« Deregulierung solle dazu führen, dass auch Unternehmen bei der digitalen Transformation wieder Geschwindigkeit aufnehmen können. »Deutschland muss wieder für weltweit führende Lösungen stehen und nicht für die strengsten Vorschriften, insbesondere beim Datenschutz«, fasst Meissner zusammen.

Bundesregierung in der Verantwortung: Es fehlt eine klare Strategie

Bei der Analyse der Ursachen für den digitalen Rückstand Deutschlands herrscht ein breiter Konsens: »Strategische Defizite, die Zersplitterung von Zuständigkeiten und unzureichende Investitionen werden als Hauptursachen für den fehlenden Fortschritt benannt«, sagt Professor Renate Köcher vom Institut für Demoskopie Allensbach. Die Führungskräfte aus Wirtschaft und Politik und die Bevölkerung stimmen bei dieser Einschätzung überein. In der Bevölkerung führen 65 Prozent den Rückstand bei der Digitalisierung auf das Fehlen einer klaren Strategie zurück, 62 Prozent auf die Zersplitterung der Zuständigkeiten auf Bund, Länder und Kommunen und 55 Prozent auf zu geringe Investitionen.

Die Bevölkerung sieht hier vor allem die Bundesregierung in der Verantwortung: 69 Prozent der Bevölkerung und 76 Prozent der politisch Interessierten sind überzeugt, dass vor allem die Bundesregierung die Digitalisierung forcieren könnte. Mit einigem Abstand folgen Länderregierungen, Wirtschaft und die kommunale Ebene: 46 Prozent sehen die Verantwortung auch bei den Länderregierungen, 39 Prozent bei den Kommunen und 41 Prozent bei der Wirtschaft.

Datenschutz wird zunehmend kritisch bewertet

Knapp die Hälfte der Bevölkerung macht auch die relativ strengen deutschen Datenschutzbestimmungen dafür verantwortlich, dass Deutschland bei der Digitalisierung zurückliegt. Immer mehr halten die deutschen Datenschutzbestimmungen für überzogen. Vor 5 Jahren waren davon 38 Prozent der Bevölkerung überzeugt, vor 2 Jahren 41 Prozent, aktuell 45 Prozent.

Die Bürger und Bürgerinnen haben mit der Sammlung und Auswertung von Daten im Allgemeinen kein Problem, wenn dies einen Nutzen für die Allgemeinheit stiftet. Zwei Drittel der Bevölkerung halten es für gerechtfertigt, Daten zu sammeln, um Behördenangelegenheiten zu vereinfachen, 71 Prozent, wenn der Staat durch die Sammlung von Daten Infrastrukturprojekte besser planen kann. Ebenfalls 71 Prozent unterstützen die Nutzung von Steuerdaten zur Verfolgung von Steuerhinterziehung, 85 Prozent die Auswertung von Telefon- oder Internetdaten, um Straftaten aufzuklären. Auch die Sammlung und Auswertung von Patientendaten für die medizinische Forschung ist aus Sicht von 85 Prozent der Bevölkerung in Ordnung.

Wenn Daten für Marketingzwecke, im Kontext von Onlinekäufen oder für die Überprüfung der Kreditwürdigkeit genutzt werden sollen, votiert die Mehrheit für prohibitive Regelungen.

Keine Partei überzeugt bei der Digitalisierung

»Das Vertrauen, dass die Politik die Digitalisierung forcieren wird, ist gering. Wie schon in den vergangenen Jahren wird aktuell keiner Partei ausgeprägte Kompetenz für Digitalpolitik zugeschrieben«, sagt Professor Renate Köcher vom Institut für Demoskopie Allensbach.

Noch am ehesten genießen hier die Unionsparteien Vertrauen, aber ebenfalls nur bei einer kleinen Minderheit: 15 Prozent sind überzeugt, dass die Unionsparteien das beste Konzept für die Digitalisierung haben, gefolgt von der FDP (8 Prozent) und der SPD (6 Prozent). 62 Prozent schreiben keiner Partei überzeugende Konzepte zu.

Hintergrund
Der Digitalreport erscheint jährlich und wird in diesem Jahr zum fünften Mal veröffentlicht. Er wurde vom European Center for Digital Competitiveness an der ESCP Business School Berlin entwickelt. In dessen Auftrag führt das Institut für Demoskopie (IfD) Allensbach eine repräsentative Befragung der Bevölkerung zu dem Stand der Digitalisierung in Deutschland und dem digitalen Kompetenzprofil der Politik durch. Darüber hinaus stützt sich der Report auf Ergebnisse einer Umfrage von rund 500 Spitzenkräften aus Politik und Wirtschaft, darunter Geschäftsführer und Vorstände aus der Wirtschaft sowie führende Politiker wie Minister, Staatssekretäre und Fraktionsspitzen. Die Bevölkerungsumfrage basiert auf insgesamt 1.013 mündlich persönlichen Interviews mit einem repräsentativen Querschnitt der Bevölkerung ab 16 Jahre.

Die Interviews wurden im Dezember 2023 durchgeführt. Die Leitung der Studie liegt bei Professor Dr. Renate Köcher vom IfD Allensbach sowie Professor Dr. Philip Meissner und Professor Dr. Klaus Schweinsberg vom European Center for Digital Competitiveness der ESCP Business School.


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