Deutschland-Monitor '24: »In welcher Gesellschaft wollen wir leben?«
Hohe Zustimmung zur Idee der Demokratie und zur Verfassungsordnung des Grundgesetzes
Deutschland-Monitor 2024: In Deutschland gibt es eine breite gemeinsame Wertebasis
Der Deutschland-Monitor 2024 untersucht umfassend die gesellschaftlichen und politischen Einstellungen der deutschen Bevölkerung. In diesem Jahr steht die Leitfrage »In welcher Gesellschaft wollen wir leben?«
Der Monitor beleuchtet, welche Werte, Zielvorstellungen und gesellschaftlichen Herausforderungen von den Bürgerinnen und Bürgern als besonders relevant angesehen werden.
ZENTRALE ERGEBNISSE DER STUDIE
1. Gesellschaftliche Werte und Zukunftsvorstellungen
Die Befragung zeigt, dass es in Deutschland eine breite gesellschaftliche Basis für zentrale Werte gibt. Dazu gehören insbesondere
- Gleichberechtigung von Mann und Frau (95 % Zustimmung).
- Soziale Gerechtigkeit, d.h. gleiche Lebenschancen für alle Menschen (92 % Zustimmung).
- Das friedliche Zusammenleben verschiedener Religionen und Kulturen (89 % Zustimmung).
- Ein starkes soziales Miteinander als Voraussetzung für gesellschaftlichen Zusammenhalt (86 % Zustimmung).
Trotz dieser Grundwerte zeigen sich deutliche Unterschiede in der Bewertung einzelner gesellschaftlicher Herausforderungen:
- Klimaneutralität wird von 57 % der Befragten als erstrebenswert angesehen, aber 26 % sind unentschieden und 16 % lehnen sie ab.
- Zuwanderung als Chance wird von 56 % befürwortet, während 30 % eine neutrale Haltung einnehmen und 14 % Zuwanderung kritisch sehen.
- Die europäische Integration findet mit 75 % breite Zustimmung, wobei ein deutlicher Unterschied zwischen Westdeutschland (82 %) und Ostdeutschland (68 %) besteht.
Jüngere und höher Gebildete stehen Themen wie Klimaschutz, Migration und internationale Zusammenarbeit eher aufgeschlossen gegenüber. In wirtschaftlich schwächeren Regionen wird dagegen stärker ein leistungsorientiertes Gesellschaftsmodell gefordert.
2. Freiheitsrechte: Bedeutung und wahrgenommene Umsetzung
Ein zentraler Aspekt der Studie ist die Bedeutung der Grund- und Freiheitsrechte in der Gesellschaft. Fast alle Befragten halten folgende Rechte für sehr oder eher wichtig:
- Meinungsfreiheit (96 % Zustimmung)
- Pressefreiheit (93 % Zustimmung)
- Religionsfreiheit und Eigentumsrechte (jeweils 91 % Zustimmung)
- Demonstrationsfreiheit (82 % Zustimmung)
- Streikrecht (74 % Zustimmung)
Allerdings besteht eine Diskrepanz zwischen der theoretischen Zustimmung zu diesen Rechten und ihrer tatsächlichen Wahrnehmung in der Gesellschaft.
Während die Mehrheit der Befragten die Glaubens- und Demonstrationsfreiheit als weitgehend gewährleistet ansieht (jeweils 69 %), bestehen erhebliche Zweifel an der praktischen Umsetzung der Pressefreiheit (nur 60 % sehen diese als erfüllt an) und der Meinungsfreiheit (57 %).
Besonders kritisch werden diese Einschränkungen von Befragten gesehen, die mit der politischen und medialen Landschaft unzufrieden sind.
Jüngere und formal höher Gebildete bewerten die Umsetzung der Freiheitsrechte positiver, während Personen mit mittlerer Bildung und mittlerem Alter tendenziell skeptischer sind.
3. Demokratieverständnis, Populismus und politische Einstellungen
Ein weiteres zentrales Thema der Studie ist die Einstellung zur Demokratie. Hier zeigen sich gemischte Ergebnisse:
- Hohe Zustimmung zur Demokratie als politisches System
Die große Mehrheit hält die Demokratie für die beste Staatsform. - Kritik an der Umsetzung
Viele Befragte äußern Zweifel, ob die Demokratie in Deutschland tatsächlich gut funktioniert. - Geringes Vertrauen in die politischen Institutionen
Vor allem Parteien, Parlamente und Regierungen genießen wenig Vertrauen, während Justiz und Polizei deutlich positiver wahrgenommen werden. - Zunehmende Polarisierung
Während einige Gruppen einen starken Staat und soziale Sicherheit fordern, wächst auf der anderen Seite der Wunsch nach mehr Eigenverantwortung und weniger staatlichen Eingriffen.
Eine Herausforderung für die Demokratie bleibt die Verbreitung populistischer und extremistischer Einstellungen.
Die Studie zeigt:
- Populistische Einstellungen sind vor allem in Gruppen mit geringem Institutionenvertrauen verbreitet.
- Fremdenfeindliche und sozialdarwinistische Einstellungen in Teilen der Bevölkerung existieren.
- Rechtsautoritäre Einstellungen in Teilen der Bevölkerung fortbestehen und die politische Polarisierung weiter verstärken.
4. Erwartungen der Gesellschaft an den Staat
Ein wichtiges Ergebnis der Studie ist, dass die Erwartungen an den Staat in Deutschland nach wie vor hoch sind:
- Die Mehrheit wünscht sich eine starke Rolle des Staates in Bereichen wie soziale Sicherheit, Bildung und Infrastruktur.
- Besonders stark sind die Erwartungen an den Wohlfahrtsstaat: In Ostdeutschland war diese Haltung traditionell stärker ausgeprägt, inzwischen nähern sich die Erwartungen in Westdeutschland dieser Haltung an.
- Gleichzeitig gibt es eine Debatte um Eigenverantwortung: Während viele Bürgerinnen und Bürger staatliche Unterstützung befürworten, gibt es auch Gruppen, die sich für mehr Eigenverantwortung in wirtschaftlichen und sozialen Fragen aussprechen.
Ein besonders kontroverses Thema ist die Balance zwischen Klimaschutz und Wirtschaftswachstum. Hier zeigt sich eine deutliche Spaltung: Während die einen eine stärkere Fokussierung auf die Klimapolitik fordern, halten andere das Wirtschaftswachstum für wichtiger.
5 Regionale Disparitäten und soziale Polarisierung
Ein weiterer wichtiger Aspekt der Studie sind regionale Unterschiede in den gesellschaftlichen Einstellungen. Der Deutschland-Monitor 2024 zeigt:
- Nach wie vor erkennbare Ost-West-Unterschiede, insbesondere bei Themen wie politisches Vertrauen, Demokratiezufriedenheit und soziale Sicherheit.
- Die jüngeren Generationen in Ost- und Westdeutschland nähern sich in ihren Einstellungen zunehmend an, während die älteren Generationen noch größere Unterschiede aufweisen.
- Deutliche Unterschiede zwischen wirtschaftlich starken und schwachen Regionen: In strukturschwachen Regionen werden Sicherheit, soziale Absicherung und Chancengleichheit stärker betont, in wirtschaftlich prosperierenden Regionen dagegen Individualismus und Eigenverantwortung.
Ein besonderer Befund ist, dass die soziale Spaltung nicht nur entlang des Ost-West-Gefälles verläuft, sondern auch zwischen strukturell unterschiedlichen Regionen innerhalb Deutschlands.
METHODIK DER STUDIE
Der Deutschland-Monitor 2024 basiert auf einer Kombination von quantitativen und qualitativen Erhebungen:
- Haupterhebung
Repräsentative telefonische Befragung von 3.986 Personen der deutschsprachigen Bevölkerung ab 16 Jahren. - Regionale Vertiefung
Fokus auf 12 Landkreise mit hoher und niedriger wirtschaftlicher Prosperität in Ost- und Westdeutschland (zusätzlich 3.999 Befragte). - Fokusgruppen-Diskussionen
Ergänzende qualitative Interviews mit 32 Teilnehmenden zur Vertiefung der Studienergebnisse.
ZUSAMMENFASSUNG: Gesellschaftliche Polarisierung und Konsens
Der Deutschland-Monitor 2024 zeigt, dass es in Deutschland trotz gesellschaftlicher Spannungen einen breiten Konsens über demokratische Grundwerte gibt. Themen wie Gleichberechtigung, soziale Gerechtigkeit und demokratische Grundrechte werden von einer großen Mehrheit der Bevölkerung unterstützt. Gleichzeitig gibt es erhebliche gesellschaftliche Spannungen, insbesondere in Fragen der Migration, der Klimapolitik, der wirtschaftlichen Sicherheit und der Rolle des Staates.
Während das gesamtgesellschaftliche »Wir-Gefühl« eher schwach ausgeprägt ist, gibt es auf lokaler Ebene oft einen starken sozialen Zusammenhalt. Die Studie legt nahe, dass viele Herausforderungen nicht nur durch politische Maßnahmen, sondern auch durch gesellschaftlichen Dialog und Engagement gelöst werden können.
Hintergrund
Gegenstand des Deutschland-Monitors ist eine jährlich wiederholte, regional differenzierte und konsekutiv im zeitlichen Längsschnitt vergleichende Untersuchung, mit der die Konstanz und der Wandel politischer und gesellschaftlicher Stimmungen und Einstellungen der Bürgerinnen und Bürger in Ost- und Westdeutschland empirisch erhoben und wissenschaftlich analysiert werden.
Ausgangspunkt und analytischer Leitfaden des Projekts ist die Frage: Inwieweit beeinflussen regionale Lebenswelten (»Kontexte«) die sozialen und politischen Einstellungen der dort lebenden Menschen?
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