Monitor Digitale Bildung: Kaum digitaler Fortschritt im Berufsschulalltag

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Bertelsmann Stiftung

Wenn am 1. August das Ausbildungsjahr beginnt, bleiben viele Stellen unbesetzt. Die Attraktivität und Qualität der Ausbildung könnte durch digitale Lernmedien steigen. Oft scheitert es jedoch an unzureichendem WLAN und an didaktischen Konzepten, wie eine repräsentative Studie der Bertelsmann Stiftung erstmals belegt.

Verhaltene Modernisierung statt breiter Innovation: Berufsschule und Ausbildung hinken beim Thema Digitalisierung hinterher. Zwar hat das Youtube-Video die DVD abgelöst, zwar werden Unterrichtsmaterialien auch im PDF-Format statt als Fotokopie zur Verfügung gestellt: Doch viele Rektoren der Berufsschulen und Ausbildungsleiter in den Betrieben erkennen im Einsatz digitaler Lernhilfen weniger eine strategische Herausforderung als vielmehr einen Imagefaktor. Nur gut jede dritte Berufsschule hat überhaupt eine gute WLAN-Versorgung. Das geht aus dem »Monitor Digitale Bildung« der Bertelsmann Stiftung hervor, dessen erste Ausgabe digitales Lernen in der Berufsausbildung untersucht.

Die 1,34 Millionen Auszubildenden in Deutschland stehen der digitalen Welt sehr viel offener gegenüber als ihre Lehrer und Ausbilder. Berufsschüler setzen digitale Medien beim Lernen zu Hause wesentlich häufiger ein als im Unterricht oder im Betrieb. Das gilt für Wikis (79 Prozent aller Azubis) und Video-Angebote (75 Prozent) ebenso wie für Chat-Dienste (68 Prozent) oder soziale Netzwerke (45 Prozent). In Berufsschule und Betrieb hingegen werden lediglich Wikipedia und andere Wikis von einem nennenswerten Teil der Schüler angewendet (49 Prozent beziehungsweise 37 Prozent), alle anderen digitalen Technologien bleiben zum Teil deutlich unter 20 Prozent. Einzig digitale Präsentationstools kommen im Unterricht häufiger als zu Hause zum Einsatz. Viele Auszubildende wünschen sich von ihrer Berufsschule einen stärkeren Einsatz digitaler Medien. 93 Prozent der Berufsschüler sprechen sich für einen sinnvollen Mix aus digitalen und analogen Angeboten aus. 85 Prozent sagen, Lehrer sollten «häufiger etwas Neues mit digitalen Medien ausprobieren«.

Innovation vor allem durch erfahrene Lehrkräfte

Dem »Monitor Digitale Bildung« zufolge setzen 97 Prozent der Berufschullehrer das Internet zur Recherche im Unterricht ein. Nur 34 Prozent der Lehrer nutzen hingegen Lernmanagementsysteme, Selbstlernprogramme oder digitale Medien zur Entwicklung eigenständiger Inhalte. Da verwundert es kaum, dass nur 33 Prozent der Berufsschullehrer digitale Lerntechnologien als Möglichkeit sehen, zu besseren Lernergebnissen zu kommen. In Ausbildungsbetrieben ist die Lage ähnlich: Hier spielen Selbstlernprogramme (32 Prozent) oder webbasierte Trainings (18 Prozent) nur eine geringe Rolle.

Unter den Befürwortern finden sich vor allem erfahrene Berufsschullehrer. Immerhin 77 Prozent derjenigen mit mehr als zehn Jahren Berufserfahrung nutzen Software im Unterricht, gefolgt von Wikis (70 Prozent) und elektronischen Tests (43 Prozent). Kollegen mit weniger Erfahrung bleiben dahinter zurück, obwohl sie zu den Digital Natives gezählt werden. Nur 56 Prozent von ihnen nutzen Software, 37 Prozent Wikis und 29 Prozent elektronische Tests. Grund dafür: Berufseinsteigern fehlt die Zeit, sich mit digitalem Lernen zu befassen.

So bleiben Chancen gerade für benachteiligte Gruppen ungenutzt. 34 Prozent der Azubis mit Hauptschulabschluss geben an, dass digitales Lernen sie motiviert. Besonders beliebt bei ihnen: die eigenständige Gestaltung von Inhalten mit digitalen Mitteln (29 Prozent). Unter den Azubis mit Abitur sind beide Werte nur halb so hoch. Bislang verpassen Berufsschulen und Betriebe diese Gelegenheit für mehr Teilhabe und Chancengerechtigkeit.

Imagefaktor oft wichtiger als strategische Schul- und Unterrichtsentwicklung

Die Mehrzahl der Berufsschulrektoren (62 Prozent) misst digitalen Lernformen strategische Bedeutung bei. Unter den Ausbildungsleitern in den Betrieben tun dies nicht einmal 30 Prozent. Erheblich höher ist die Zustimmung bei der Frage, ob der Einsatz digitaler Medien die Attraktivität der Schule und des Ausbildungsgangs steigere (86 und 58 Prozent). Angesichts des Tiefststands von nur 522.000 neuen Azubis 2015 und 41.000 nicht besetzter Ausbildungsstellen stünden Betriebe und Berufsschulen unter Druck, ihre Attraktivität zu erhöhen. Jörg Dräger, Vorstand der Bertelsmann Stiftung, warnt aber: »Digitales Lernen ist weit mehr als ein Imagefaktor. Berufsschulen und Betriebe brauchen Strategien fürs digitale Zeitalter. Nur so können sie das Potenzial neuer Technologien für chancengerechte Bildung nutzen«.

Innovation in der Berufsausbildung scheitert vor allem an mangelnden Kompetenzen und Res-sourcen. Die Studie zeigt, dass viele der 122.000 Lehrer an den knapp 9.000 Berufsschulen in Deutschland durchaus in die Weiterentwicklung ihres Unterrichts investieren. 92 Prozent geben an, sich im Selbststudium für den Einsatz digitaler Lernmedien weitergebildet zu haben. Es fehlt aber an Unterstützung: 53 Prozent der Lehrer und 43 Prozent der Ausbilder vermissen Orientierungshilfen im Angebot digitaler Lernhilfen, 60 Prozent beider Gruppen klagen über Zeitmangel und fehlende Anrechnung des Mehraufwands. Fast ebenso viele Lehrer bemängeln zu hohe Kosten für Lehrinhalte sowie Anschaffung und Wartung von Geräten. Nur 38 Prozent aller Berufsschulen verfügen zudem über eine WLAN-Versorgung von guter Qualität; 40 Prozent aller Berufsschulen in Deutschland hingegen haben überhaupt kein WLAN. Dräger: »Digitales Lernen braucht gute Infrastruktur und Qualifizierung. Ohne zuverlässiges WLAN kann pädagogische Innovation nicht funktionieren. Ohne Fortbildungen für Berufsschullehrer und Ausbilder bleibt zu viel Potenzial der Digitalisierung ungenutzt«.

Hintergrund
Mit dem »Monitor Digitale Bildung« schafft die Bertelsmann Stiftung erstmals eine umfassende und repräsentative empirische Datenbasis zur Digitalisierung der verschiedenen Bildungssektoren in Deutschland. Der erste Bericht analysiert die berufliche Ausbildung, es folgen in Kürze: Hochschule, Schule und Weiterbildung. Für die erste Ausgabe hat das «mmb Institut – Gesellschaft für Medien- und Kompetenzforschung mbH« (Essen) rund 1.700 Azubis, 300 Berufsschullehrer, 120 Schulleiter, 200 betriebliche Ausbilder und 50 Ausbildungsleiter befragt und ergänzend 30 Experten aus Kammern, Berufsverbänden und Behörden interviewt.

 

 

 

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