Bildungsverband: Bildungs- und arbeitsmarktpolitische Erwartungen an eine neue Bundesregierung
Wenn auch zur Zeit die Konstituierung einer neuen Bundesregierung kurzfristig (noch) nicht zu erwarten ist, so hat der Bundesverband der Träger Beruflicher Bildung (Bildungsverband, BBB) doch bereits seine »Bildungs- und arbeitsmarktpolitischen Erwartungen an die neue Bundesregierung« formuliert .
Angesichts des demografischen Wandels, angesichts eines sich abzeichnenden Fachkräftemangels und des Strukturwandels, der durch die Digitalisierung hervorgerufen und beschleunigt wird, ist berufliche Weiterbildung ein mehr denn je virulentes Thema, stellt der BBB fest.
Wir geben den vollständigen Text hier im Wortlaut wieder:
Bildungs- und arbeitsmarktpolitische Erwartungen des Bildungsverbandes an die neue Bundesregierung
Gute Bildung und gute Arbeitsmarktpolitik sind die Schlüssel für die Zukunft jedes einzelnen und unserer Gesellschaft. Dies wird vermutlich Konsens zwischen allen an der neuen Bundesregierung beteiligten Parteien sein – allerdings gibt es unterschiedliche Einschätzungen darüber, wie dies umgesetzt werden kann.
Ziele, die mit guter Bildungs- und Arbeitsmarktpolitik erreicht werden, sind aus unserer Sicht:
- Oberstes Ziel ist die Möglichkeit der Teilhabe aller an Gesellschaft und Arbeitsmarkt
- Die Erhaltung beziehungsweise Wiederherstellung der Beschäftigungsfähigkeit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern muss gewährleistet werden
- Die dauerhafte Konkurrenzfähigkeit der Wirtschaft muss ermöglicht und erhalten werden
Der allgemeinen sowie der beruflichen Weiterbildung kommt bei der Verwirklichung dieser Ziele eine herausragende Bedeutung zu. Lebensbegleitendes Lernen, der Erwerb neuer beruflicher – und insbesondere digitaler – Kompetenzen, die Bewältigung von Strukturwandel am Arbeitsplatz sind Themen, die angesichts der demografischen Entwicklung und des Fachkräftemangels mit Hochdruck und großem Engagement angegangen werden müssen.
Rahmenbedingungen für effektive und zielorientierte Weiterbildung sicherstellen: Weiterbildungsgesetz verabschieden und Weiterbildungsbeauftragten einsetzen!
Weiterbildung soll Prozesse der Individualisierung und Pluralisierung sowie des Strukturwandels und der Digitalisierung unterstützen und die Zivilgesellschaft mit- und weiterentwickeln. Diese hohen Ziele können nur erreicht werden, wenn Regelungen zum Zugang, zur Finanzierung von Weiterbildung und zu Information und Weiterbildungsberatung durch ein Bundesgesetz für die Weiterbildung gestrafft und koordiniert werden. In einem solchen Gesetz müssten die Aufgaben einer »Bundesagentur für Arbeit und Qualifizierung« ebenso geregelt werden wie die länderbezogenen Weiterbildungsmöglichkeiten, außerdem die individuellen aufstiegsorientierten Angebote des BMBF auf Bundesebene. Das Kooperationsverbot zwischen Bund und Ländern stellt hier noch einen gravierenden Hemmschuh dar. Die Weiterbildungsangebote von Arbeitsministerium BMAS, Bildungsministerium BMBF, Familien-/Jugendministerium BMFSFJ und Bundesagentur für Arbeit wären hier mit den Angeboten der Bundesländer zu koordinieren.
Dies könnte (neben dem Weiterbildungsgesetz) am effektivsten durch die Einsetzung eines Beauftragten für Weiterbildung geschehen. Die Aufgabe eines solchen Beauftragten wäre es, das derzeitige meist nicht abgestimmte Nebeneinander von Programmen und Fördermöglichkeiten von Bund, Ländern und Bundesagentur für Arbeit zu koordinieren, Transparenz herzustellen und Synergien zu ermöglichen.
Grundbildung und Alphabetisierung verstärken und verstetigen!
Grundbildung und Alphabetisierung sind bei 7,5 Mio. funktionalen Analphabeten in Deutschland eine wichtige gesamtgesellschaftliche bildungspolitische Aufgabe. Alphabetisierung und Grundbildung müssen fortgeführt und dauerhaft gesichert werden. Auch hier ist eine Koordinierung der Bundes- und Länder-Aktivitäten dringend erforderlich.
Digitalisierung
Wir wissen, dass die Digitalisierung große Teile unseres Arbeitsmarktes grundlegend verändern wird. Hier müssen neben betrieblichen Aktivitäten, die die Mitarbeitenden fit machen und im Umgang mit neuen Techniken/Medien fortbilden, auch präventive Angebote ermöglicht werden: Bei voraussehbaren und erwarteten konkreten Digitalisierungsfolgen müssen die Mitarbeitenden darauf vorbereitet und motiviert werden, sich in für sie bislang noch neuen oder grundlegend anderen Arbeitszusammenhängen zurechtzufinden und eine positive Haltung zu den Veränderungen zu entwickeln. Dies ist insbesondere im Zusammenhang des lebensbegleitenden Lernens zu fördern.
Migration
Die zu uns Geflüchteten, aber auch die im Rahmen von Arbeitsmigration zu uns gekommenen Personen müssen so schnell wie möglich in den Arbeits- beziehungsweise Ausbildungsstellenmarkt integriert werden. Die dazu notwendigen Förderangebote (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Bundesagentur für Arbeit) müssen in einer ganz anderen als der bisherigen Qualität koordiniert, aufeinander abgestimmt und integriert werden. Unterschiedliche und gegensätzliche Förder- und Steuerungslogiken, etwa des Innenministeriums und des Arbeitsministeriums müssen im Sinne einer ganzheitlichen Förderung von sprachlichen und beruflichen Kompetenzen zusammengeführt werden. Bei noch vorhandenen Defiziten, etwa im berufs- und umgangssprachlichen Bereich, muss unbürokratisch und individuell nachgesteuert werden.
Förderung Jugendlicher zwischen Schule und Beruf
Immer noch befinden sich etwa 250.000 Jugendliche in Fördermaßnahmen der Berufsorientierung und Berufsvorbereitung. Davon sind weitaus die meisten »ausbildungsreif«, einige brauchen noch individuelle Unterstützung. Programme wie Ausbildungsbegleitende Hilfen oder »assistierte Ausbildung« dürfen auch angesichts eines annähernd ausgewogenen Ausbildungsmarktes nicht zurückgefahren werden: Der Zugang zur Berufsausbildung muss verbessert werden, eine Ausbildungsgarantie muss endlich umgesetzt werden, damit diejenigen Jugendlichen, die (noch) keinen betrieblichen Ausbildungsplatz finden, auch außerbetrieblich gefördert und ausgebildet werden können.
Nachqualifizierung; Förderung von Geringqualifizierten
Noch immer sind 1,95 Mio. junge Erwachsene zwischen 20 und 34 Jahren ohne einen beruflichen Abschluss. Diese Personen müssen wesentlich mehr Angebote zur Nachqualifizierung und zum Nachholen von Abschlüssen erhalten als dies bisher der Fall ist. Dabei muss für jede/n die Möglichkeit bestehen, auch bei Teilnahme an Qualifizierung einen angemessenen Lebensunterhalt beizubehalten: Personen im Alter von 30 Jahren, die teilweise auch bereits Familie haben, können nicht von Ausbildungsvergütung leben.
Förderung besonders arbeitsmarktferner Gruppen
Der Rückgang der Arbeitslosigkeit ist bei einem großen Teil der Langzeitarbeitslosen leider noch nicht angekommen. Für diese Personengruppen, die durch mehrfache Benachteiligungen noch daran gehindert sind, eine Beschäftigung aufzunehmen, müssen Modelle von öffentlich geförderter Beschäftigung und Hilfen zur Teilhabe geschaffen beziehungsweise verstärkt werden.
Dauerhafte, kontinuierliche und auskömmliche Förderung von Weiterbildung gewährleisten – Vertrauen schaffen in die Weiterbildung und ihre Akteure!
Das Nebeneinander von unterschiedlichsten Steuerungs- und Finanzierungslogiken bei teilweise inhaltlich identischen Förderprogrammen hat zu einer Atomisierung der Weiterbildung geführt. Es fehlt Koordinierung und Kooperation, gleichzeitig wurde die Weiterbildung wie kein anderer Zweig des Bildungswesens den Steuerungsprinzipien von Markt und Wettbewerb unterworfen. Dies hat in weiten Teilen zu prekären Beschäftigungsverhältnissen der in der Weiterbildung Tätigen geführt. Ein Mindestlohnniveau, das immer noch weit unter vergleichbaren Tätigkeiten etwa in Berufsschulen liegt, führt dazu, dass die gesamtgesellschaftlich wichtige und wertvolle Aufgabe der Weiterbildung abgewertet wurde und jetzt massive Probleme bei der Personalgewinnung hat.
Verbesserung der Rahmenbedingungen und die Entlastung von überbordender Bürokratie und Kontrollzwängen durch immer neue Dokumentations-, Nachweis- und Zertifizierungsanforderungen sind Ausdruck von fehlendem Vertrauen in die Institutionen, die Programme und konkret die Beschäftigten in der Weiterbildung. Hier muss gegengesteuert werden, indem den Bildungsunternehmen mehr Freiraum eingeräumt wird und kleinstteiliges Controlling abgeschafft wird, was nicht zuletzt auch eine Kostenreduzierung im Bürokratiebereich zur Folge hätte.
Die Akteure der Weiterbildung hoffen hier auf einen Sinneswandel in der Einstellung der fördernden Institutionen gegenüber der gesamtgesellschaftlich wichtigen Aufgabe der Weiterbildung!
Wir werden diese Erwartungen auch gern in Gesprächen im Rahmen der Koalitionsverhandlungen präzisieren und konkretisieren. Wir halten diese Themen für ganz wesentliche Elemente einer Politik, die im bildungs- und arbeitsmarktpolitischen Bereich im Zeitalter von Fachkräftemangel und Digitalisierung Teilhabe an Arbeitsmarkt, Bildung und damit auch an der Gesellschaft ermöglicht.
Berlin, 16. November 2017
Hintergrund
Der Bundesverband der Träger beruflicher Bildung (Bildungsverband) e.V. ist der Interessen- und Arbeitgeberverband der Aus- und Weiterbildungsbranche nach den Sozialgesetzbüchern II und III (Grundsicherung und Arbeitsförderung). Er vertritt annähernd 25.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Arbeitsmarktdienstleistungen und in der beruflichen Erwachsenenbildung und Weiterbildung.
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